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Es war zu erwarten – nun ist es amtlich: Jens Stoltenberg bleibt NATO-Generalsekretär. Am 4. Juli entschied der Nordatlantik-Rat im Format der Botschafter, die Amtszeit des Norwegers bis zum 1. Oktober 2024 zu verlängern. Der Beschluss soll beim NATO-Gipfel in Vilnius formell von den Staats- und Regierungschefs bestätigt werden.

Stoltenberg übernahm 2014 den Posten als NATO-Generalsekretär, seine Amtszeit wurde dreimal verlängert. Der US-Präsident hatte sich 2022 dafür verwendet, dass Stoltenbergs Amtszeit um zwei weitere Jahre verlängert wird. Infolge französischer Vorbehalte wurde daraus nur ein Jahr. Seine jetzige Verlängerung wurde in Brüsseler Kreisen seit längerem diskutiert (ESuT berichtete).

Die Entscheidung sorgt in der aktuell herausfordernden weltpolitischen Situation für Konsistenz und Kontinuität. Die NATO steht vor der Rückkehr zu ihren Kernaufgaben Abschreckung und Verteidigung. Stoltenberg ist es gelungen, den vorherigen US-Präsidenten Donald Trump mit seiner NATO-skeptischen Position einzuhegen. Es ist sicherlich auch ihm zuzuschreiben, dass die Allianz seit dem russischen Angriff auf die Ukraine auf einem eng abgesteckten Kurs blieb, die Ukraine unter Vermeidung einer direkten Konfrontation mit Moskau militärisch zu unterstützen. In der Frage des mit dem schwedischen NATO-Beitritt verbundenen türkischen Vetos wirkt er aktiv auf Ankara ein. Moskaus Hinwegsetzen über die INF-Stationierungsvereinbarungen und das Einfrieren der Zusammenarbeit sah er fast wie eine persönliche Niederlage.

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Jens Stoltenberg bleibt NATO-Generalsekretär. (Foto: NATO)

Unter seiner Ägide erhielt die Verteidigungsplanung der NATO einen neuen Impetus durch die engere Verknüpfung der nationalen Pläne und Verteidigungsinvestitionen mit dem Verteidigungsplanungsprozess der NATO. Er intensivierte die Zusammenarbeit mit der Verteidigungsindustrie und versucht, die Kohärenz mit dem Verteidigungsplanungsprozess zu optimieren. Ein Ergebnis dieser Anstrengungen ist der im Zusammenhang mit der Unterstützung für die Ukraine entwickelte Aktionsplan für die Rüstungsproduktion (Defence Production Action Plan).

Herausforderungen

Der Norweger wird die NATO nun in die Modalitäten des beim Madrider Gipfel 2022 vereinbarten neuen Strategischen Konzeptes führen. Zu seiner Umsetzung gehört, Verteidigung und Abschreckung durch drei zentrale Verpflichtungen zu stärken: ein neues Streitkräftemodell mit ab 40.000 Mann skalierbaren Eingreiftruppen in hoher Bereitschaft, die Stationierung robuster und einsatzbereiter Kräfte an der Ostflanke, ein erweitertes Programm kollektiver Verteidigungsübungen und eine wesentlich größere Reserve mit hoher Bereitschaft zur schnellen Verstärkung im Krisenfall. Darüber hinaus gilt es, die nationalen Planungen in die operativen Vorstellungen der NATO zu integrieren.

Hinzu kommen die neuen Ansätze des Bündnisses in der Behandlung Chinas und der nicht unumstrittenen Folgerungen für ein Engagement der NATO im indo-pazifischen Raum. Die Frage neuer Mitgliedschaften steht seit längerem im Raum, über die Ukraine hinaus. Für diese wird sich die Herausforderung in der Ausgestaltung von Sicherheitsgarantien stellen. Behandelt werden muss auch die Frage des Umgangs mit Russland in irgendeiner Form einer europäischen Nachkriegsordnung.

Letztendlich ist Stoltenbergs Verbleiben ein Zeitgewinn für die Allianz. Mit einer kritischen Kehrseite. Denn die Entscheidung zur Neubesetzung des NATO-Generalsekretärs wurde nun in das Jahr der EU-Wahl verschoben. Neben dem Parlament wird 2024 auch über die Besetzung der Institutionen der EU entschieden. Die gleichzeitige Besetzung von Spitzenpositionen in NATO und EU wird die europäischen Hauptstädte vor eine Herausforderung stellen. Ob sie die Verhandlungen erleichtern, da zwischen vier zu vergebenden Posten balanciert werden kann, könnte sich ebenso vorteilhaft wie nachteilig herausstellen. Zumal idealerweise Konsens über den zukünftigen NATO-Generalsekretär bis zum Washingtoner Jubiläumsgipfel (9.-11. Juli 2024) erzielt werden muss.

Hans Uwe Mergener