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Eine der drängenden Fragen auf der Pressekonferenz zum Abschluss des NATO-Verteidigungsministertreffens vom 15. und 16. Juni war die Nachfolge des Generalsekretärs. Die lakonische Antwort von Jens Stoltenberg: „Nun, dazu habe ich nichts mehr zu sagen. Ich habe immer wieder erklärt, dass ich keine Verlängerung anstrebe und dass ich keine anderen Pläne habe, als meine Arbeit zu beenden, und meine Amtszeit endet in diesem Herbst, und das habe ich schon seit einiger Zeit gesagt.“

Das hörte sich ein wenig anders an als seine Formulierung vom Donnerstagmorgen: „Ich bin für alle Entscheidungen verantwortlich, die getroffen werden, aber über meine Zukunft müssen die 31 Verbündeten entscheiden.“

Obwohl wenig aus den internen Gesprächen herausdringt, scheint die Frage seiner Nachfolge weiter offen zu sein und nicht alle Namen konsensfähig. Da helfen auch die Verlautbarungen des Weißen Hauses auf die Besuche des britischen Premierministers, der dänischen Regierungschefin und des NATO-Generalsekretärs – alle innerhalb von zehn Tagen zu Gast in Washington – nicht weiter. Laut Politico weigerte sich John Kirby, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, Klarheit zu schaffen: „Es muss jemand sein, hinter dem das gesamte Bündnis stehen kann und der eine transformative Führungspersönlichkeit sein kann“. In der Pressekonferenz mit Rishi Sunak am 9. Juni erklärte der US-Präsident Joe Biden auf die Frage nach seinen Gedanken über den britischen Verteidigungsminister Ben Wallace als Kandidat für das Amt des NATO-Generalsekretärs, dass er diese Möglichkeit nicht ausschließe. Er fügte lapidar hinzu, dass die Entscheidung einen breiteren Konsens erfordere, der sich erst noch herauskristallisieren müsse.

Stoltenberg übernahm 2014 den Posten als NATO-Generalsekretär, seine Amtszeit wurde dreimal verlängert. Der US-Präsident hatte sich 2022 dafür verwendet, dass Stoltenbergs Amtszeit um zwei weitere Jahre verlängert wird. Infolge französischer Vorbehalte wurde daraus nur ein Jahr.

Somit wird in den europäischen Hauptstädten die Nachfolgefrage akut. In den letzten Wochen engte sich die Suche auf die dänische Premierministerin Mette Frederiksen und den britischen Verteidigungsminister Ben Wallace ein. Zu den weiteren genannten Namen gehören die estnische Premierministerin Kaja Kallas, die litauische Premierministerin Ingrida Simonyte, die stellvertretende Premierministerin Chrystia Freeland in Kanada, die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova sowie die Ministerpräsidenten der Niederlande und Spaniens, Mark Rutte und Pedro Sanchéz. Auch die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen wird immer wieder ins Spiel gebracht.

In Brüsseler Kreisen wird eine weitere Verlängerung Jens Stoltenbergs jedoch nicht ausgeschlossen. Unter Berufung auf anonyme Quellen meldete die norwegische Dagens Naeringsliv am Nachmittag des 16. Juni, dass sich Joe Biden für ein Verbleiben des Norwegers ausgesprochen habe.

Dies wäre zwar ein Zeitgewinn. Doch würde die Entscheidung dann in das Jahr der EU-Wahl verschoben. In dem über die Besetzung der Institutionen der EU entschieden wird. Die gleichzeitige Besetzung von Spitzenpositionen in NATO und EU stellte die europäischen Hauptstädte vor eine neue Herausforderung. Ob sie die Verhandlungen erleichtern, da zwischen vier zu vergebenden Posten balanciert werden kann, könnte sich ebenso vorteilhaft wie nachteilig herausstellen. Somit stehen die europäischen Hauptstädte bis zum NATO-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius auch vor einer überaus wichtigen Personalentscheidung.

Wobei der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius am Donnerstag bekannte: „Wenn wir uns nicht auf einen Kandidaten einigen, wird die NATO natürlich nicht ohne Generalsekretär dastehen. Und deshalb bin ich natürlich für eine Verlängerung.“ Ein ‚Stoltenberg for ever‘?

Hans Uwe Mergener