Nach Ansicht von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gibt es bereits eine Eingreiftruppe in Europa, und das sei die NATO Response Force, wie er heute auf der Berliner Sicherheitskonferenz ausführte. Dabei bezog sich Stoltenberg auf die Bemühungen der Europäischen Union, die eigenen militärischen Fähigkeiten zu stärken. Diese beinhalten auch die Aufstellung einer EU-Eingreiftruppe. Zudem sprach sich der Norweger für die Vergabe von Krediten durch den privaten Finanzsektor an die Rüstungsindustrie aus, warnte vor ökonomischen Abhängigkeiten von autoritären Staaten und betonte die Wichtigkeit der Instandhaltung westlicher Waffensysteme, die sich bereits in der Ukraine befinden.
Die Bemühungen der Europäer zur Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten begrüßte Stoltenberg grundsätzlich sehr. Einen Vorbehalt machte er aber deutlich: „Wir müssen Doppelungen und Konkurrenz verhindern.“ Solange mit den europäischen Bemühungen eine Erhöhung der Verteidigungshaushalte, eine Harmonisierung der Waffensysteme oder die Vorhaltung von mehr Fähigkeiten einhergehe, sei dies zu unterstützen. Die NATO würde darauf bereits seit langem hinweisen. In den Plänen der EU eine „Rapid Deployment Capacity“, eine bis zu 5000 Mann starke Eingreiftruppe aufzubauen, sieht Stoltenberg aber offensichtlich eine unnötige Dopplung und Konkurrenz zur NATO Response Force. Diese verfüge bereits über funktionierende Strukturen und sei einsatzbereit.
Die Institutionen der NATO dürften nicht geschwächt werden, gerade in Zeiten, in denen Regierungen an die Macht kommen könnten, die das Bündnis womöglich in Frage stellten, so der Generalsekretär. Die NATO sei die Basis für die europäische und transatlantische Sicherheit, betonte er.
Zudem kritisierte Stoltenberg das Verhalten des Finanzsektors. Er könne nicht verstehen, warum dieser sich zurückhalte, der Rüstungsindustrie Kredite zu gewähren. Auch habe er bereits Gespräche mit der EU geführt, um darauf hinzuweisen, dass die aufgestellten ESG-Kriterien zur Klassifizierung nachhaltiger Investments in der aktuellen Ausgestaltung nicht förderlich seien. Es braucht nach seiner Einschätzung die Fähigkeiten der Rüstungsindustrie. Es sei immer schöner in Bildung oder Infrastruktur zu investieren, so der Generalsekretär. Aber bei einem ausgewachsenen Krieg, wie in der Ukraine, rettet man am besten Leben, indem man Waffen liefere.
Der Krieg in der Ukraine habe darüber hinaus gezeigt, was passiert, wenn man sich in die Abhängigkeit von autoritären Staaten begebe. Dies müsse den Mitgliedstaaten bewusst werden. Dabei bezog sich Stoltenberg vor allem auf die Abhängigkeit von russischem Gas und von Seltenen Erden aus China. Entscheidungen zu Lieferbeziehungen dürften nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet werden. Sicherheitspolitische Erwägungen müssten immer mit einfließen.
Bezüglich der Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriff betonte Stoltenberg nochmals die Solidarität der NATO und sicherte Hilfeleistungen zu, solange die nötig sei. Dabei ließ er aber nicht außer Acht, dass die Unterstützung auch mit einem Preis für die Staaten in der NATO einhergehe. Hier betonte der NATO-Spitzenbeamte aber: „Den Preis, den wir dafür bezahlen ist ein finanzieller, die Ukraine bezahlt in Blut.“
Über weitere Waffenlieferungen sei man ständig mit der ukrainischen Seite im Gespräch. Mindestens genauso wichtig, wie die Lieferung neuer Waffen sei jetzt aber auch die Instandhaltung der Systeme, die bereits in der Ukraine sind. „Wir haben eine Menge Systeme geliefert und die brauchen Munition, die brauchen Ersatzteile und die brauchen Instandsetzung“, so Stoltenberg. Es sei eine riesige logistische Herausforderung, dafür zu sorgen, dass die Systeme die schon vor Ort sind, auch eingesetzt werden können. Darauf werde man sich jetzt ebenfalls fokussieren.
Ole Henckel