Print Friendly, PDF & Email

Die militärische Kooperation zwischen der Bundeswehr und den litauischen Streitkräften wird immer enger. Insbesondere, seitdem klar ist, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine Kampfbrigade außerhalb der eigenen Grenzen dauerhaft stationiert wird, nämlich in Litauen. Im April 2024 soll das Vorkommando der Litauen-Brigade im baltischen Land eintreffen. ES&T hat im Interview mit dem litauischen Verteidigungsattaché, Kapitän zur See Egidijus Oleškevičius, über diese enge Partnerschaft, den Krieg gegen die Ukraine, die russische Bedrohung und die geplanten Veränderungen in den litauischen Streitkräften gesprochen. Diese sollen neben einer neuen Führungsebene auch eine neue Waffengattung erhalten, eine Panzertruppe, ausgestattet mit Leopard-2-Kampfpanzern.

Der litauische Verteidigungsattaché im Interview.

blank
Der litauische Verteidigungsattaché in Deutschland, Kapitän zur See Egidijus Oleškevičius (Foto: Botschaft Litauen)

ES&T: Wie beurteilen die litauischen Streitkräfte die aktuelle militärische Lage in der Ukraine? Und was brauchen die Ukrainer aus Ihrer Sicht, um wieder in die Offensive zu kommen?
Oleškevičius: Tatsache ist, dass die Situation im Moment sicherlich nicht einfach ist. Aber die bessere Frage ist, warum wir da sind, wo wir sind. Und die beste Einschätzung, die mir dazu einfällt, ist: zu wenig und zu spät. Was Litauen betrifft, so haben wir unsere Unterstützung für die Ukraine nie nachgelassen. Natürlich sind unsere Möglichkeiten dazu begrenzt, aber unsere Unterstützung ist sowohl in der Politik als auch in der Öffentlichkeit tief verwurzelt. Uns ist klar, dass die Ukraine unseren Krieg kämpft.

Nun zu Ihrer Frage: Was brauchen sie, um in die Offensive zu gehen? Sie brauchen Material. Das ist offensichtlich. Ansonsten haben sie eine fähige politische und militärische Führung, daher äußern wir uns eher nicht dazu, was und wie sie es tun sollten, denn sie sind diejenigen, die den Krieg führen und Menschen verlieren.

ES&T: Und was sollte Ihrer Meinung nach die oberste Priorität für die westlichen Länder bei der Unterstützung sein?
Oleškevičius: Offensichtlich sind 155-mm-Granaten ein gewaltiger Engpass. Die Ukrainer können diesen Krieg nicht richtig führen. Russland hat mehr Kapazitäten geschaffen, um militärische Güter zu produzieren und alles an die Front zu werfen. Das beobachten wir im Moment. Die Lage für die Ukraine ist sehr prekär. Sie sind gezwungen, ihre Munition zu sparen.

Ich würde auch sagen, dass die Fähigkeit für Schläge auf große Distanzen notwendig ist. Das ist das, was sie brauchen, um russische militärische Ziele zu zerstören und sie zu lähmen. Nicht an der Front, sondern in der Tiefe.

ES&T: Was sagen Sie vor diesem Hintergrund zu der Taurus-Debatte in Deutschland?
Oleškevičius: Es ist eine sehr lange Debatte. Ich denke, man muss da ein bisschen mehr Entschlossenheit zeigen. Denn wenn die Entschlossenheit nicht da ist, dann kommen wir in der Situation zu wenig zu spät. Wir lassen einfach zu, dass Russland sich erholt und besser vorbereitet. Das haben wir bei der Frühjahrsoffensive erlebt. Sie waren in der Lage, alles zu verminen, und die Ukrainer mussten dann versuchen, in die verstärkten und befestigten Verteidigungslinien vorzustoßen.

ES&T: In einem Interview mit dem US-Amerikaner Tucker Carlson hat der russische Präsident Wladimir Putin bestritten, beispielsweise Polen oder Lettland angreifen zu wollen. Wie schätzen die litauischen Streitkräfte die Bedrohung durch Russland ein? Und welche Szenarien sind aus ihrer Sicht am wahrscheinlichsten?
Oleškevičius: Zunächst einmal haben Putin und russische Politiker viele Dinge abgestritten. Sie bestreiten weiterhin Dinge, die sie offensichtlich tun. Daher ist es praktisch unmöglich, der derzeitigen Führung Russlands zu vertrauen.

Und nun zur Einschätzung der Bedrohung. Für uns besteht diese Bedrohung schon seit dem Mittelalter. Sie ist nie verschwunden. Und wir haben immer gesagt, dass Russland auch in der Zeit dieses sogenannten ewigen Friedens eine Bedrohung darstellt. Bedauerlicherweise haben sich unsere Warnungen bewahrheitet.

Außerdem macht die Nähe Russlands zu unseren Grenzen die Wahrnehmung der Bedrohung in Litauen viel drängender, als dies in anderen westlichen Ländern der Fall ist. Litauen ist seit seiner Unabhängigkeit ständig den Grauzonenaktivitäten Russlands ausgesetzt. So gab es beispielsweise schon immer Desinformationsoperationen. Ein weiteres Beispiel ist die Überführung von Migranten nach Belarus, die dann an unsere Grenzen geschickt wurden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Russland Pläne hat, gegen die NATO vorzugehen, auch wenn ich nicht glaube, dass es derzeit dazu bereit wäre. Aber es ist ganz einfach: Sie sehen die NATO als ihren Feind und sprechen offen darüber.

Aus diesem Grund müssen wir eine starke Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit aufbauen. Aufgrund der Vorgehensweise Russlands – man kann es Salamitaktik nennen, man kann es Mobbing nennen – werden sie nur aufhören, wenn sie sich eine blutige Nase holen. So einfach ist das. Für uns war die Bedrohung also schon immer da, und wir spüren sie auch. Ich denke, das beste Beispiel dafür sind die Umfragen, die zeigen, dass über 80 % aller Befragten in Litauen an unsere Streitkräfte und an die NATO glauben und die ständige Präsenz von NATO-Truppen wünschen.

Nun, wenn es um detaillierte Szenarien geht, ist das meiner Meinung nach Sache der militärischen Planung. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir über verschiedene Szenarien nachdenken, von der hybriden Vorgehensweise bis hin zu einer vollständigen Invasion.

blank
Neben der litauischen weht auch die ukrainische Flagge vor dem Verteidigungsministerium in Vilnius (Foto: MoD Lithuania)

ES&T: Stichwort Abschreckung: Welche militärischen Fähigkeiten und Infrastrukturen werden benötigt, um Litauen und die anderen baltischen Staaten, Estland und Lettland, zu verteidigen?

Print Friendly, PDF & Email