Nachfolge der Walrus-Klasse – Beschaffungsentscheidung in den Niederlanden zugunsten Frankreich
Hans Uwe Mergener
Die Spatzen pfiffen es seit Tagen von den Dächern, nun ist es Tatsache: im Vergabeverfahren zum Ersatz der Walrus U-Boote hat sich der Entwurf der Naval Group durchgesetzt. Im Juni 2023 wurden drei Bieter in die engere Wahl gezogen (wir berichteten).
Die Vergabeentscheidung ist vorläufig, da die jetzige Entscheidung im Ministerrat einer parlamentarischen Billigung bedarf. Für den 27. März ist eine erste Unterrichtung des Repräsentantenhauses über die Entscheidung geplant. Im Mai soll der Prüfbericht über die Auswahlentscheidung vorlegen, der Grundlage für die parlamentarische Debatte und die endgültige Vergabeentscheidung sein wird. Das Verteidigungsministerium möchte den Vertrag noch vor Juli unterzeichnen, da danach die Fristen, die mit der Angebotserstellung anliefen, auslaufen. Außerdem wird zwischen den beiden Regierungen ein Memorandum of Understanding (MoU) zu Nutzungsrechten, Informationssicherheit und Wissensaustausch sowie weiteren Vereinbarungen zu schließen sein.
Mit der Bekanntgabe der Beschaffungsentscheidung durch Staatssekretär Christophe van der Maat, der sich dazu eigens nach Den Helder begab, wurden auch die Namen der vier Boote veröffentlicht: „Orca“, „Schwertfisch“, „Barrakuda“ und „Tigerhai“. Die beiden ersten Boote sollen innerhalb von zehn Jahren nach Unterzeichnung des Liefervertrages zur Verfügung stehen.
Nach Angaben des niederländischen Verteidigungsministeriums hat der Auftrag einen Gesamtwert von 5,6 Mrd. Euro, worin die Kosten für den Bau und weitere Kosten enthalten sind.
Naval Group bot die Neuentwicklung Barracuda-Klasse als Ersatz für die Walrus-Klasse an, die, mit nuklearem Antrieb, in der französischen Marine gefahren wird. Die für die Niederlande in Frage kommende dieselelektrische Variante der Barracuda-Klasse wird als Shortfin bezeichnet.
Neben sechs Minenbekämpfungsschiffen wird die niederländische Marine nun auch vier U-Boote französischer Produktion erhalten. Dies ist an und für sich nichts bemerkenswertes, da in einem Auswahlverfahren der beste Entwurf bestehen sollte. Immerhin geht es um Sicherheit für die Besatzung und Effizienz im operativen Einsatz. Die operativen Forderungen der Königlich Niederländischen Marine waren hoch. Aufbauend auf dem Einsatzprofil der Walrus hielt die Marine des Nachbarlandes an weltweiten Operationen fest.
Die Kosten sollten sich nach früheren Verlautbarung des Ministeriums auf mehr als 2,5 Milliarden Euro, in Pressemeldungen auf mehr als 3,5 Milliarden Euro belaufen. Für Australien schlug Naval Group 2016 die Variante Shortfin Barracuda Block 1A für umgerechnet 2,5 Milliarden Euro pro Boot vor.
Eine Vergabe nach Frankreich wurde im Vorfeld mit der Unterstützung Frankreichs für die Bewerbung des niederländischen Premiers Mark Rutte für den Dienstposten als NATO-Generalsekretär in Verbindung gebracht. Die Regierung sah sich in der vergangenen Woche mit der Forderung von vier Provinzen konfrontiert, sich für den Auftragnehmer zu entscheiden, der den größtmöglichen niederländischen Anteil am bevorstehenden U-Boot-Vertrag bereitstellt. Die nicht erwartete Ankündigung zweier anderer Marinerüstungsprojekte, vier Luftabwehr- und Führungsfregatten sowie sechs amphibische Transportschiffe (wir berichteten), wurde als Fingerzeig betrachtet. Eine breite Einbindung der Marineschiffbauer könnte damit erreicht werden.
Für den Verbund Damen-Saab bedeutet die Entscheidung, dass der schwedische Rüstungskonzern sich vorerst mit der Befriedigung der U-Boot-Bedürfnisse der schwedischen Marine zu bescheiden hat. Saab Kockums und Damen Naval gingen 2015 eine Kooperation ein. Saab Kockums wollte seine Produktionslinie ausbauen und sein Renommee als U-Bootbauer aufpolieren. Das wird nun schwieriger. Anders Damen-Naval, die sich weiterhin gefüllter Auftragsbücher erfreuen kann.
Die Niederländer bekümmert vielmehr, dass mit der jetzt schon in zwei Rüstungsprogrammen eingebundenen Naval Group der niederländische Marineschiffbau sich bei einer europäischen Konsolidierung schwerer tut. Ohnehin wird die Vergabe an einen ‚Staatsbetrieb‘ nicht als ‚Level Playing Field‘ empfunden.
In den Augen von thyssenkrupp Marine Systems haben die Niederlande eine Chance zur europäischen Zusammenarbeit sowie zur Standardisierung ausgelassen. Zur Einordnung: mit dem deutsch-norwegischen U-Boot U212CD sowie der Zusammenarbeit bei Beschaffung und Betrieb von U-Booten mit Italien und Portugal besteht ein breites Kooperationsnetzwerk, das Kosteneffizienz und Optimierung der Einsatzfähigkeit ermöglicht. In einem uns vorliegenden Statement bedauern die Kieler, dass nicht sie den Zuschlag erhalten haben. Und weisen darauf hin: „Die aktuelle Entscheidung im U-Boot-Programm der Niederlande hat keine Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation als auch auf strategische Entscheidungen bei thyssenkrupp Marine Systems.“
Aus deutscher Sicht bleibt festzuhalten, dass mit europäischen Ausschreibungen nicht nur zu hadern ist. Und: in anderen europäischen Ländern werden Vergabeentscheidungen auch ohne vermeintliche Definitionen von ‚Schlüsseltechnologien‘ getroffen. Bitter schmeckt die Pille, dass es nach der Vergabe von F126 nun doch kein ‚Give and Take‘ gibt.
Hans Uwe Mergener