Ende Februar hat Vincent Breton, Generalmajor der französischen Luftwaffe und Direktor des CICDE (Centre interarmées de Concepts, de Doctrines et d’Expérimentations) bei einer Pressekonferenz im Verteidigungsministerium in Paris die offiziellen Lehren vorgestellt, die dort bisher aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gezogen werden:
- „Mit der Rückkehr des Krieges hoher Intensität und der nuklearen Rhetorik vor der Haustüre Europas hat sich der Maßstab der Kriegsintensität gewandelt.
- Dieser Krieg bewegt sich in allen sieben Konfliktdimensionen: den traditionellen fünf – Land, See, Luft, Weltall und auf dem Gebiet des Elektromagnetismus – sowie in den zwei neuen Dimensionen – Cyber-Raum und Informationsraum.
- Es ist immer schwieriger, sich auf dem Schlachtfeld zu tarnen, da dieses immer transparenter wird.
- Trotz dieser Transparenz ist es immer auch schwierig, die Absichten und die Fähigkeiten seiner Gegner abzuschätzen.
- Der Krieg bleibt eine Auseinandersetzung des Willens und der Kampfmoral.
- Die Notwendigkeit, über eine große strategische Tiefe zu verfügen, um in einem solch langen Krieg durchzuhalten.
- Schlüsselfaktoren für die Überlegenheit sind Agilität, Innovation und Anpassungsfähigkeit“, so General Breton abschließend.
Für viel größeres Aufsehen hat einige Tage später der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bei der von ihm einberufenen Unterstützungskonferenz für die Ukraine im Élysée-Palast gesorgt: „Es gibt heute keinen Konsens darüber, dazu zu stehen und es auf sich zu nehmen, offiziell Bodentruppen zu entsenden. Aber in dieser Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden. Wir werden alles tun, was nötig ist, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnen kann“, so das französische Staatsoberhaupt. In diesem Zusammenhang verwies Macron auf das Prinzip der „strategischen Ambiguität“, wonach in einem Konflikt der Gegner im Ungewissen und in der Unberechenbarkeit über künftige eigene Handlungen verharren soll. Letztlich soll dadurch der Gegner verunsichert werden.
Die Äußerungen von Macron haben nicht nur zu viel Aufsehen, sondern auch zu viel Kritik geführt. Entsprechend ablehnend äußerten sich innerhalb Frankreichs beispielsweise Olivier Faure, Erster Sekretär der Sozialistischen Partei (PS), Jean-Luc Mélenchon, Führer der linkspopulistischen Bewegung „Unbeugsames Frankreich“ (LFI), und Marine Le Pen, Fraktionschefin des rechtspopulistischen „Rassemblement National“ (RN).
Bei den internationalen Partnern kritisierten vor allem Robert Fico, russlandfreundlicher slowakische Ministerpräsident, und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz die als Vorpreschen empfundenen Äußerungen Macrons. Zuvor hatte die deutsche Seite bemängelt, Frankreichs Ukraine-Hilfe sei viel zu gering. Umgehende Absagen kamen auch aus Großbritannien, Italien, Polen und Schweden.
Macron dürften diese Reaktionen kaum überrascht haben. Offenkundig war es ihm aber wichtig, eine allgemeine Diskussion über die künftige westliche Hilfe für die Ukraine proaktiv anzustoßen, um nicht immer nur reagieren zu müssen.
Dr. Gerd Portugall