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In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag haben Teile des nigrischen Militärs die zivile und demokratisch gewählte Regierung von der Macht geputscht. Auch wenn der Ausgang der aktuellen Ereignisse noch nicht abschließend klar ist, hat nun ein weiterer Militärputsch in der Sahelregion stattgefunden, der insbesondere die Europäer hart trifft, da man das Land als letzten Stabilitätsanker in der Region gesehen hat. ES&T hat mit Ulf Laessing, dem Leiter des Regionalprogramms Sahel der Konrad Adenauer Stiftung (KAS), über die aktuelle Situation in Niamey, der Hauptstadt Nigers, die Auswirkungen des Putsches auf den aktuellen Mali-Abzug der Bundeswehr sowie auf das europäische Engagement in dieser Weltregion gesprochen.

ES&T: Herr Laessing, gestern kamen die ersten Meldungen, dass der demokratisch gewählte nigrische Präsident Mohamed Bazoum von Soldaten in seinem Präsidialpalast festgesetzt wurde. In der Nacht verkündete dann Col Maj Amadou Abdramane, dass die Streitkräfte nun die Macht im Land übernommen hätten. Wie ist die aktuelle Lage vor Ort?

Laessing: Die Lage vor Ort ist unklar. Gestern gab es die Ankündigung eines Oberst der Streitkräfte, die Macht zu ergreifen. Es ist unmöglich zu sagen, was die Motive sind und ob die gesamten Streitkräfte dahinterstehen. Auch wenn es jetzt angeblich eine Erklärung der Armeeführung gibt, die besagt, dass die Armee hinter dem Putsch steht, habe ich Zweifel an der Geschlossenheit. Ich glaube, die Armee wird gespalten aus diesem Konflikt hervorgehen.

Das ist natürlich für den Kampf gegen die Dschihadisten schlecht, wenn die Armee jetzt intern um die Macht kämpft, denn dann fehlen Ressourcen für den eigentlichen Kampf.

ES&T: Welches Verhältnis besteht in Niger grundsätzlich zwischen den Streitkräften und der Regierung?

Laessing: Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen den Streitkräften und der Regierung gut. Die Streitkräfte haben sehr unter der Regierung von Bazoum profitiert, mit Blick auf die ganzen Ausbildungsprogramme und die materielle Unterstützung, beispielsweise aus Deutschland oder der Europäischen Union. Den Streitkräften ging es eigentlich sehr gut. Dies war auch ein Hintergedanke der Europäer, dass, wenn sie die Armee unterstützen, das Risiko eines Coups geringer wird. Aber das hat es offenbar leider nicht verhindert.

ES&T: Wie steht die Opposition zum Putsch der Militärs?

Laessing: Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. Das ist alles noch im Fluss.

ES&T: Der aktuelle Militärputsch in Niger reiht sich in eine Kette an Machtübernahmen durch das Militär in der Sahelregion ein. Mali (2020), Guinea (2021), Tschad (2021), Burkina Faso (2022) und jetzt Niger. Gibt es hier einen übergreifenden Zusammenhang oder gemeinsame Ursachen?

Laessing: Ich glaube nicht, dass es einen Zusammenhang mit Mali, Guinea, Tschad oder Burkina Faso gibt. Es gibt nur eine allgemeine Frustration in der Bevölkerung, dass die Sicherheitslage von Jahr zu Jahr schlechter wird und immer weniger Ressourcen durch den Staat bereitgestellt werden. Die Bevölkerung wächst, die Sicherheitslage ist schlecht, die Armut breitet sich aus und es gibt dann auch einige Leute, die danach Fragen, ob es die Militärs vielleicht besser könnten als eine zivile Regierung. Dieser Ruf nach dem Militär ist ein Problem.

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Erst vor wenigen Monaten, im April, waren Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin Svenja Schulze gemeinsam nach Niger gereist. (Foto: BMVg)

ES&T: Aus Sicht vieler europäischer Staaten war Niger ein letzter Stabilitätsanker in der Region, in den man viele Hoffnungen gesteckt hat. Was denken Sie, welche Konsequenzen der Putsch auf die Zusammenarbeit zwischen den Europäern und auch den USA auf der einen Seite und Niger auf der anderen Seite haben wird, insbesondere im Hinblick auf die vielen Truppen, die im Land stationiert sind, sowie die gerade erst anlaufende EU-Mission EUMPM-Niger?

Laessing: Ich vermute, dass ähnlich wie in Mali und Burkina Faso die Europäer und die USA die Zusammenarbeit runterfahren und auf Eis legen werden. Während die Putschisten in Mali und Burkina Faso sehr stark antiwestlich geprägt sind und den Kontakt zu Russland gesucht haben, kennen wir die Motive der Putschisten in Niger nicht. Dennoch könnte das Gleiche auch hier passieren.

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ES&T: Derzeit zieht die Bundeswehr aus der UN-Mission MINUSMA in Mali ab und nutzt dafür den Flughafen in Niamey als zentralen Umschlagspunkt. Welche Auswirkungen könnte der Putsch auf den Abzug haben?

Laessing: Der Putsch hat ganz klar Auswirkungen auf den MINUSMA-Abzug. Niamey ist der Luftumschlagspunkt für die Bundeswehr. Zudem sollen wohl auch einige Dinge per LKW über Niger transportiert werden. Hier ist man nun völlig abhängig von der neuen Regierung in Niger, ob diese weiterhin mit den Deutschen zusammenarbeiten will.

Das ist aber nicht nur ein Problem für Deutschland, sondern ein grundsätzliches der UN. Die UN-Mission wurde insgesamt aus Niamey versorg, per LKW und per Flugzeug.

ES&T: Die Bundeswehr hat im Rahmen der Mission Gazelle in den vergangenen Jahren nigrische Spezialkräfte ausgebildet. Ist eine Teilnahme dieser Kräfte am Putsch zu erkennen?

Laessing: Ob Spezialkräfte am Putsch beteiligt waren, weiß ich nicht. Das ist noch unklar.

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Deutsche Kampfschwimmer haben im Rahmen der Mission Gazelle, die bis Ende 2022 lief, nigrische Spezialkräfte ausgebildet. (Foto: Bundeswehr / Bendig)

ES&T: Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich bezieht einen Großteil ihres Urans für die französischen Atomkraftwerke aus dem Niger. Welche Handlungszwänge könnten sich aus dieser Abhängigkeit für Paris ergeben?

Laessing: Die ursprüngliche Mine der Franzosen in Niger ist erschöpft. Ich glaube, für Frankreich ist es eher wichtig, dass es nun ein weiteres Land gibt, das mal sehr eng mit ihnen verbündet war und ihnen nun entgleitet. Ich denke, dass die Franzosen eher in dieser Beziehung besorgt sind. Das Uran können sie sicherlich auch noch woanders herbekommen.

ES&T: Mit der zunehmenden Zurückdrängung der Europäer aus der Sahelzone ist gleichzeitig der Einfluss Russlands in diesen Ländern gestiegen. Könnte Russland diesen Putsch befördert haben oder nun die Gelegenheit nutzen Einfluss in Niger zu nehmen?

Laessing: Ich glaube nicht, dass Russland am Putsch beteiligt war. Sicherlich, Desinformationskampagnen gab es, auch gestern sehr stark. Es gibt aber nicht einmal eine russische Botschaft in Niamey und das Land war eigentlich immer pro Europa. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass die Russen damit etwas zu tun haben.

ES&T: Was denken Sie, wie sich die Lage in den kommenden Tagen und Wochen entwickeln wird?

Laessing: Das weiß ich nicht. Aber es wurde nun viel investiert in den Niger, die ganzen Programme sowohl im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit als auch für die Armee. Ich habe heute mit einem in Niamey gesprochen. Die sind alle so ein bisschen in der Schockstarre. Man weiß nicht, wie es weitergeht. Wir selbst als Konrad Adenauer Stiftung sind auch am Überlegen, wie es weiter geht. Ich war letzte Woche da, um ein EU-Projekt zu starten, aber das ist jetzt alles erstmal on hold.

Die Fragen stellte Ole Henckel.