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Die Bälle, mit denen Politiker in Brüssel jonglieren müssen, werden nicht weniger. Die Stichworte Corona, Libanon, Weißrussland, Libyen, Mali, Brexit, Östliches Mittelmeer, Alexei Nawalny – und nicht zuletzt der Rücktritt von Handelskommissar Phil Hogan – unterstreichen dies. Mit dem brennenden Flüchtlingslager auf Lesbos drängt die Flüchtlings- und Migrationskrise auf die Tagesordnung der EU zurück. Sie hatte sich schon vorher angedeutet – erst am Abend des 12. September konnten endlich 27 vom Tanker „Maersk Etienne“ Anfang August aus Seenot gerettete Flüchtlinge nach 38 Tagen das Schiff nach Italien verlassen. Nun wird die Asylpolitik der EU einen neuen Harmonisierungsversuch erleben.

Nach der Einigung über den EU-Haushalt herrscht nunmehr auch Klarheit über die Beträge für die europäischen Sicherheits- und Verteidigungsbemühungen. Der Europäische Verteidigungsfonds (EDF), mit dem gemeinsame Entwicklungs- und Forschungsprojekte im Bereich der Verteidigungsfähigkeit finanziert werden sollen, wird mit 7,014 Milliarden Euro ausgestattet. 1,5 Milliarden Euro sollen in militärische Mobilität fließen. Fünf Milliarden Euro werden der Europäischen Friedensfazilität (EPF) zur Verfügung gestellt, um EU-Operationen zu finanzieren.

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Für heftige Aufregungen sorgen die türkischen Bemühungen, Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer zu erforschen. Solange die Gebietsansprüche nicht geregelt sind (ES&T berichtete), überziehen sich Griechenland und die Türkei gegenseitig mit Vorwürfen und Drohungen. Die Bundesregierung, die gegenwärtig die EU-Ratspräsidentschaft innehat, versuchte zu vermitteln. Mitte September stellte das türkische Forschungsschiff „Oruç Reis“ seine Arbeit zunächst ein. Damit ist eine leichte Entspannung eingetreten. Ankara betont allerdings, dass dies kein Einlenken in der Sache sei. Die Szene ist in Bewegung: Die EU kritisiert die Türkei massiv. Zweifel an ihrem Status als EU-Beitrittskandidat werden laut.

Zudem wurde mit „Med7“ ein neues Gremium geschaffen. Bei einem von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron initiierten Treffen der Regierungschefs aus Griechenland, Italien, Malta, Portugal, Spanien und Zypern auf Korsika einigten sich die sieben mediterranen Staaten auf Sanktionen gegen die Türkei, sollten die Spannungen im Osten des Mittelmeers nicht enden. Griechenland geht derweil den Weg der Aufrüstung und kauft 18 Rafale-Kampfjets in Frankreich. Darüber hinaus beabsichtigt Athen, vier Mehrzweck-
fregatten zu kaufen. In diesem Marktsektor konkurrieren Italiener und Franzosen (mit dem gemeinsamen Produkt der „Fregata Multi-Missione” sowie der „Belh@rra”, der Exportversion der französischen „Frégate de Défense et d’Intervention”), die Amerikaner mit einer Version ihres „Littoral Combat Ships” und die Briten mit der Fregatte Type 23 oder dem Neubau Type 31e. Die Niederlande sollen bereits Gespräche über die Überlassung von zwei M-Fregatten der Königlich Niederländischen Marine geführt haben. Die Einstellung zusätzlichen Personals (15.000) in die griechischen Streitkräfte ist bereits verfügt.

Es wirkt grotesk: Während Flüchtlinge in Moria verzweifeln, kauft Griechenland Kriegsgerät z.B. in Frankreich, das bei der Aufnahme von Flüchtlingen sehr zurückhaltend ist. Welche Moral könnte man ausrufen – sowohl in Athen als auch in Paris.

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Weißrussland und Libanon, Libyen und Syrien, aber auch die Aussöhnung zwischen den arabischen Staaten Bahrein und Vereinigte Arabische Emirate mit Israel sind Beispiele, dass die EU von dem Ziel einer geopolitischen Union, das ihre Kommissionspräsidentin von der Leyen ausgegeben hat, weit entfernt ist. Zwar zeigt sich die EU engagiert. Doch die einflussschaffenden Erfolge fahren andere ein.

Dies soll anders werden. Die am 24. Juli vorgestellte Strategie für die Sicherheitsunion ist der Versuch, den Handlungsbedarf zu skizzieren, um die externe Politik zu dem zu machen, was sie vom Namen her sein soll: eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. In einem nächsten Schritt, dem Strategischen Kompass, soll ein neues sicherheitspolitisches Grundlagendokument entwickelt werden. Es beginnt mit einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse, die es in der EU in der Form noch nicht gab. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell soll sie bis Ende 2020 vorlegen. Auf ihrer Grundlage werden die Mitgliedstaaten dann in einen strukturierten Dialog treten und sich über die strategischen Ziele zu vier Hauptthemen austauschen: Krisenmanagement, Resilienz, Fähigkeiten und Partnerschaften. Im ersten Halbjahr 2022, dann unter französischer Ratspräsidentschaft, soll der Strategische Kompass finalisiert werden. Vielleicht hört es dann auf, dass europäische Außenpolitik eher einem Feuerlöschen gleicht und nicht einer langfristig konstruktiv ausgerichteten Gestaltung. Für die deutsche Ratspräsidentschaft erwächst auch hier eine Verantwortung, diesen auf deutsche Initiative begonnenen Prozess auf die Füße zu stellen.

Hans-Uwe Mergener