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Die Beschaffung des Nachfolgers zielt ausdrücklich darauf ab, die bisher von der Tornado-Flotte zur Wirkung gegen Ziele am Boden bereitgestellten Fähigkeiten insgesamt zu erhalten und den Anforderungen zukünftiger Operationen anzupassen.

Seit über drei Jahrzehnten ist das Waffensystem Tornado ein wesentlicher Träger der Fähigkeiten der Luftwaffe zur Wirkung gegen Ziele am Boden. Seine Aufgaben umfassen:

  • taktische Luftaufklärung (Tactical Air Reconnaissance, TAR),
  • Unterstützung eigener Kräfte auf dem Gefechtsfeld (Close Air Support, CAS),
  • Abriegelung des Gefechtsfeldes aus der Luft (Air Interdiction, AI),
  • Wirkung gegen die gegnerischen Luftstreitkräfte am Boden (Offensive Counter Air, OCA),
  • Unterdrückung der gegnerischen Luftverteidigung (Suppression of Enemy Air Defence, SEAD),
  • Wirkung gegen Überwassereinheiten (Anti-Surface Warfare, ASuW),
  • Nukleare Teilhabe (NT).

Die möglichen Nachfolger des Tornados sollen über ähnlich umfassende Luft-Boden-Fähigkeiten verfügen, die zudem auf die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende technische und operative Entwicklung ausgerichtet werden müssen. Jede dieser Fähigkeiten stellt Forderungen hinsichtlich bordseitiger Hard- und Software sowie in das Waffensystem zu integrierende Außenlasten (Sensoren, Waffen).

Das Feld der Bewerber um die Nachfolge des Tornados umfasste ursprünglich vier Waffensysteme (aktuelle oder zukünftige Varianten von Eurofighter, F-35, F-18 und F-15). Die sogenannte Richtungsentscheidung vom Januar 2019 verkleinerte das Bewerberfeld auf nur noch zwei Waffensysteme: F-18 und Eurofighter.

Sicher haben bei dieser Entscheidung nicht nur technische oder operative Erwägungen eine Rolle gespielt, sondern auch rüstungspolitische und -wirtschaftliche – möglicherweise auch solche, die nur in einem indirekten Zusammenhang mit der Tornado-Nachfolge stehen (wie z.B. die Auffassung Frankreichs, dass die Beschaffung der F-35 nachteilig für die gemeinsame Entwicklung von Waffensystemen der nächsten Generation sei).

Der Versuch, die technisch/operative Leistungsfähigkeit der beiden Systeme abzuwägen, wird folglich nicht nur durch die Geheimhaltung erschwert, die solche Waffensysteme notwendigerweise umgibt, er könnte auch in eine falsche Richtung weisen, weil andere Faktoren den Ausschlag geben könnten. Dennoch bleibt die Frage interessant, was die beiden verbleibenden Kandidaten befähigen könnte, die Aufgaben des Tornados zu übernehmen.

Die Finalisten

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Frage, welche Varianten der beiden Waffensysteme Gegenstand der Betrachtung sein sollen. Es ist davon auszugehen, dass die Grundlage des Angebotes von Boeing die F-18E/F Block III ist. Maschinen dieser Variante sollen in Kürze sowohl an die US Navy (auch als Nachrüstungen bereits vorhandener Maschinen) als auch an einen Exportkunden (Kuwait, neue Flugzeuge) ausgeliefert werden. Block III bringt als wesentliche Weiterentwicklungen eine Verlängerung der Lebensdauer der Zelle auf 9.000 Flugstunden, neue Elemente für die Mensch-Maschine-Schnittstelle (insbesondere große Displays), eine fortschrittliche Netzwerkinfrastruktur, einen weitreichenden Infrarotsensor für Zielerfassung und -verfolgung sowie konforme Außentanks auf der Rumpfoberseite.

Grafische Darstellung einer F-18F Block III (Grafik: Boeing)

Das Angebot von Eurofighter richtet sich offensichtlich auf Maschinen mit Eigenschaften, die über das hinausgehen, das für die Maschinen vorgesehen ist, die als Ersatz für die Eurofighter der Tranche 1 beschafft werden sollen. Das deutet daraufhin, dass sie zusätzlich zu bereits unter Vertrag befindlichen Komponenten wie dem AESA-Radar, der Verbesserung der elektronischen Selbstschutzanlagen und der Integration des Lenkflugkörpers Brimstone auch bereits über einige Elemente aus dem sogenannten Long Term Evolution Programme (LTE) verfügen sollen. Das LTE enthält unter anderem leistungsgesteigerte Triebwerke, weitere Verbesserungen im Elektronischen Kampf, eine erneuerte Mensch-Maschine-Schnittstelle (große Displays, überarbeitete Steuerung), eine auf den Umgang mit großen Datenmengen ausgerichtete vernetzte Systemarchitektur sowie gesteigerte operative Flexibilität durch größere Kapazität bei elektrischer Energie und Kühlung, was die „agile“ Integration fortschrittlicher Bewaffnung und flexible Konfigurationen erlauben soll. Auch konforme Außentanks könnten bereits bei den jetzt zulaufenden Maschinen der Tranche 3 integriert werden; bisher hat jedoch noch kein Kunde von dieser Option Gebrauch gemacht.

Grafische Darstellung des Eurofighters ECR (Grafik: Eurofighter)

Die „generellen Jagdbomber-Aufgaben“

Grundsätzlich kann man sowohl von der F-18E/F als auch vom Eurofighter erwarten, dass sie die generellen Aufgaben von Jagdbombern so gut wahrnehmen können, wie dies Waffensystemen der Generation 4(+) heute und in den nächsten Jahrzehnten möglich sein dürfte. Beide verfügen über elektronische Selbstschutzanlagen, die ihnen eine ausreichende Durchsetzungsfähigkeit verleihen (was noch durch die Einbindung in ein umfangreicheres System für den Elektronischen Kampf verstärkt werden kann, s.u.), und über tatsächliche oder potenzielle Bewaffnungsoptionen (einschließlich Abstandswaffen), die ihnen ausreichende Wirksamkeit gegen ein großes Spektrum von Zielen garantieren.

Die wohl deutlichste Einschränkung für die deutschen Eurofighter in der Luft-Boden-Rolle ist die zurzeit immer noch geringe Anzahl an integrierten Waffen. Dabei ist die Liste der grundsätzlichen Möglichkeiten und Absichten durchaus vielversprechend – nur der Fortschritt war bisher eher gering. Die Eurofighter der Luftwaffe können zurzeit die GBU-48 einsetzen. Die Integration der schon beim Tornado genutzten GBU-54 LJDAM (Laser Guided Joint Direct Attack Munition) und des sogenannten Dual Mode Brimstone ist geplant. Für den Einsatz gegen stark verteidigte Ziel wären darüber hinaus vor allem Waffen erforderlich, die einen größeren Abstand zum Ziel ermöglichen. Neben Taurus wären dies auch kleinere Waffen, wie z.B. Spice 250 oder Spear. Die Integration von Taurus und Spear ist auch deshalb attraktiv, weil sie – gewissermaßen als ein erster Schritt hin zu den Remote Carriern des Future Combat Air Systems – Potenzial für Anwendungen bietet, die über das aktuelle Profil der Flugkörper hinausgehen (TAR, SEAD) und die Fähigkeiten des Eurofighters erweitern könnten.

Die eigentliche Herausforderung für beide Kandidaten sind jedoch die zwei besonderen Punkte in der Aufgabenliste, die Nukleare Teilhabe und die Unterdrückung der gegnerischen Luftverteidigung beziehungsweise der Elektronische Kampf generell.

Die Nukleare Teilhabe

Da die Bundesregierung entschlossen zu sein scheint, die als „Nukleare Teilhabe“ bezeichnete, aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Bereitstellung deutscher Plattformen für den Einsatz freifallender taktischer Kernwaffen der US Air Force auch weiterhin aufrechterhalten zu wollen, könnte dieser Punkt zu einem bedeutenden Auswahlkriterium für den Tornado-Nachfolger werden. Zurzeit sind die beiden Finalisten in diesem Punkt jedoch gleich: Keiner von ihnen ist für den Einsatz von Kernwaffen zertifiziert.

Das dazu erforderliche Verfahren ist aufwendig, kostspielig und zeitraubend, weshalb es im Allgemeinen nur dann angewendet wird, wenn das betreffende Waffensystem unausweichlich für eine nukleare Rolle benötigt wird. Die Zertifizierung bedingt auch, dass die zertifizierende Stelle umfangreichen Einblick in Hard- und Software des Waffensystems erhalten muss, was Konflikte mit den Vorstellungen der Hersteller bezüglich des Schutzes ihres geistigen Eigentums mit sich bringen kann. Die Bedingungen der Zertifizierung werden aktuell noch dadurch verschärft, dass das Waffensystem durch einen sogenannten Penetrationstest auch seine Widerstandsfähigkeit gegen Angriffe aus dem Cyber-Raum nachweisen muss.

Dass der Eurofighter alle Rollen des Tornados übernehmen können soll, bedeutet auch, dass es grundsätzlich keine unüberwindlichen Hindernisse für seine Zertifizierung geben kann – was jedoch nicht heißt, dass sie nicht doch schwieriger und damit langwieriger und teurer werden könnte als die der F-18. Manche argwöhnen, dass ein deutliches Delta im Zeitbedarf und den Kosten bewusst geschaffen werden könnte, um ein gewichtiges Argument für die Auswahl der F-18 zu gewinnen.

Denn eine signifikante Verzögerung der Zertifizierung würde die Bundewehr zwingen, entweder die Nukleare Teilhabe für einen bestimmten Zeitraum auszusetzen oder einige der zertifizierten Waffensysteme, also Tornados, weiterhin im Dienst zu halten. Ersteres sendet ein anderes als das gewünschte sicherheitspolitische Signal und letzteres würde eine unverhältnismäßig kostspielige Mini-Flotte von Flugzeugen schaffen, die eigentlich mangels adäquater Versorgbarkeit aus dem Dienst genommen werden sollten.

Der Elektronische Kampf

Mit der Entscheidung gegen die F-35 verzichtet die Bundeswehr auf ein Kampfflugzeug der fünften Generation. Das zentrale Mittel von Kampfflugzeugen der fünften Generation zur Sicherstellung ihrer Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit sind ihre geringen (Radar-) Signaturen (Stealth). Der Eurofighter wie auch die F-18 sind nicht als Stealth-Flugzeuge konstruiert worden und können auch keine mehr werden, da die Wirkung von Stealth im Wesentlichen auf der (nur sehr bedingt veränderbaren) äußeren Form des Flugzeugs beruht. Auch wenn man bei beiden Waffensystemen bemüht war und ist, ihre Radarrückstrahlfläche im Rahmen des Möglichen weiter zu verringern (Form der Triebwerkseinläufe, Beschichtungen), wird sie weiterhin deutlich über der reiner Stealth-Flugzeuge bleiben. Folglich benötigen beide Waffensysteme andere Mittel, um ihre Überlebens- und Durchsetzungsfähigkeit auf dem erforderlichen Niveau zu halten.

Da ist vor allem die in jüngster Zeit wieder entdeckte Fähigkeit zum Elektronischen Kampf (EloKa). Auf diesem Gebiet besitzen beide Systeme – wie bereits erwähnt – zeitgemäße, robuste Fähigkeiten im Selbstschutz. Da der reine Selbstschutz aber heute (wieder) für militärische Auseinandersetzungen mit modern ausgerüsteten, annähernd gleichwertigen Gegnern als nicht ausreichend angesehen wird, hat die Bundeswehr angesichts des seit langem in der NATO vorherrschenden Mangels an EloKa-Ressourcen zugesagt, die einschlägigen Fähigkeiten der Luftwaffe insgesamt zu steigern.

Das unter der Bezeichnung „Luftgestützte Wirkung im elektromagnetischen Spektrum“ (LUWES) laufende Vorhaben sieht die Beschaffung von drei Arten von Systemen vor:

  • Abstandstörer (Stand-off Jammer, SOJ) sind typischerweise umgebaute Transport- oder Verkehrsflugzeuge. Als Lösungen kämen eine (Eigen-)Entwicklung, z.B. in Form einer schon hin und wieder ins Gespräch gebrachten Variante der A400M, oder der Kauf einer Komplettlösung infrage.
  • Begleitstörer (Escort Jammer, EscJ) sind zumeist Kampfflugzeuge mit internen Modifikationen und speziellen Außenlasten. Seit Kurzem gibt es eine konkrete Vorstellung, dies auch auf Basis des Eurofighters zu realisieren. Alternativ wäre der Kauf einer bereits verfügbaren Komplettlösung, der EA-18G Growler, möglich.
  • Von bemannten Flugzeugen einsetzbare Täuschflugköper (Air Launched Decoys, ALD), die nahe an gegnerischen Luftverteidigungsanlagen operieren, um diese zu stören (Stand-in Jammer) oder Falschziele zu generieren. Derartige Systeme sind bei der US Air Force im Einsatz und in Europa schlägt MBDA eine EloKa-Variante ihres Lenkflugkörpers Spear vor (Spear EW). Das Zusammenwirken der Trägerflugzeuge mit den Täuschflugkörper kann auch als eine erste Form des Einsatzes von Remote Carriern im Sinne des Future Combat Air System gesehen werden.

Welche Wege (hinsichtlich Art der Ausrüstung und Mengengerüsten) die Luftwaffe bei LUWES beschreiten wird, steht noch nicht fest. Im Bereich der Begleitstörer und damit verbunden auch der Täuschflugkörper ist das weitere Vorgehen jedoch mit der Entscheidung für die Tornado-Nachfolge verbunden.

Beide Finalisten bieten Optionen für den Elektronischen Kampf an, die konzeptionell gesehen große Ähnlichkeit haben. Es sind Doppelsitzer mit einem auf die EloKa-Aufgaben ausgelegten Arbeitsplatz im hinteren Cockpit (wobei Einsitzer als sogenannte Augmentation Aircraft verwendet werden können), sie haben ein Emitter Locator System zur präzisen Ortung gegnerischer Radare und sie können sowohl nichtletale (Störsender, Täuschflugkörper) als auch letale Außenlasten (Anti-Radarflugkörper, sonstige Luft-Boden-Waffen) gegen die gegnerische Luftverteidigung einsetzen.

Sie weisen allerdings auch zwei wesentliche Unterschiede auf. Die EA-18 ist ein bereits verfügbares System, bei dem die Systemhoheit in den USA liegt. Der Eurofighter ECR ist ein Entwicklungsprojekt, bei dem im Falle seiner Realisierung die Systemhoheit wohl in Deutschland liegen würde.

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Eine mögliche Konfiguration des hinteren Cockpits des Eurofighters ECR (Grafik: Eurofighter)

Die Eurofighter GmbH geht davon aus, dass eine „erste ECR-Fähigkeit“ ab 2026 verfügbar sein kann. Dies wäre mit dem zeitlichen Rahmen für die Ablösung des Tornados vereinbar. Allerdings sind die mit der Entwicklung der ECR-Variante verbundenen technischen Herausforderungen nicht trivial, sodass man auf der Basis der Erfahrungen der letzten Jahrzehnte argwöhnen könnte, dass es auch hier zu Verzögerungen kommen wird.

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Die EA-18 „Growler” (Foto: Boeing)

Die EA-18 wird heute schon bei der US Navy und den australischen Luftstreitkräften eingesetzt und soll in nächster Zeit durch die Einführung von wohl drei in verschiedenen Frequenzbereichen arbeitenden Varianten des Next Generation Jammer weiterentwickelt werden. Ihr potenzieller Nachteil ist die nicht in nationaler Verantwortung liegende Systemhoheit. Rückhaltlose multinationale Zusammenarbeit ist gerade auf dem Gebiet der elektronischen Aufklärung und des Elektronischen Kampfes bisher keine Selbstverständlichkeit. Moderner Elektronischer Kampf beruht auf einer geschlossenen Kette von der Aufklärung über die Programmierung (der Bedrohungsdatenbanken und entweder der beabsichtigte Wirkung unmittelbar oder der ihr zugrunde liegenden Künstlichen Intelligenz) bis hin zur Anwendung der Wirkung. Diese Kette stand bisher überwiegend unter nationaler Kontrolle.

Fazit

Im Grunde beinhaltet die Tornado-Nachfolge eine Entscheidung zwischen einem marktverfügbaren System (der F/A-18 E/F/G), das aber wahrscheinlich doch in einigen Punkten an nationale Forderungen angepasst werden müsste, und einem Entwicklungsvorhaben (heute noch nicht verfügbare Eurofighter-Varianten), das zwar nicht zuletzt wegen der nationalen Systemhoheit von vornherein und zuverlässig auf nationale Forderungen ausgerichtet werden kann, aber größere finanzielle und vor allem zeitliche Risiken mit sich bringt.

Auf einer anderen Ebene steht die mit einer aus zwei verschiedenen Waffensystemen bestehenden Kampflugzeugflotte verbundene operative Flexibilität gegen die rüstungswirtschaftlichen Vorteile einer einzigen Entwicklungslinie, die obendrein mit der Entwicklung des Future Combat Air System verbunden werden könnte. Tatsächliche oder befürchtete Komplikationen, die mit der Wahl des einen oder anderen Finalisten im Bereich der Zertifikation für die Nukleare Teilhabe oder der Gewährleistung des erforderlichen Grads an nationaler Hoheit und Kontrolle im Bereich des Elektronischen Kampfes einhergehen könnten, verkomplizieren die Entscheidung weiter.

Die Entscheidung wurde bereits um mehrere Monate verschoben. Dies erneut zu tun, könnte angesichts der Komplexität gerechtfertigt erscheinen. Es erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass kurzfristige Maßnahmen (wie der fortgesetzte Betrieb eines Teils der Tornado-Flotte) ergriffen werden müssen, die die Kosten weiter erhöhen, ohne materiell zu einer langfristigen Lösung beizutragen.

Autor: Ulrich Renn