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Dass etwas im Busche ist, das pfiffen die Spatzen in Bremen, Hamburg und Kiel von den Dächern. Das Ergebnis ist gleichwohl überraschend: German Naval Yards Kiel und Lürssen beabsichtigen eine dauerhafte Zusammenarbeit im Marineschiffbau, wobei die Bremer das Steuer übernehmen. Dauerhafte Zusammenarbeit. In der gemeinsamen Pressemitteilung vom 13. Mai 2020 heißt es, Ziel sei „eine Verbesserung der nationalen Industriestruktur sowie eine Stärkung der Effizienz und Nachhaltigkeit.“ Unter der Moderation des Maritimen Koordinators der Bundesregierung, Norbert Brackmann MdB, konnten in dieser Woche die Vorarbeiten zu einer abschließenden vertraglichen Vereinbarung erfolgreich abgeschlossen werden. Was auch bedeutet, dass die Kernerarbeit nun richtig los geht. Und natürlich unterliegt der geplante Zusammenschluss einer kartellrechtlichen Würdigung.

Lürssen und German Naval Yards Kiel, die beim Bau des zweiten Loses der Korvette K130 der Deutschen Marine zusammenarbeiten, waren im Wettbewerb um die Beauftragung zum Bau des Mehrzweckkampschiffes MKS 180 indirekt Konkurrenten. Am 13. Januar hatte das Bundesministerium der Verteidigung seine Entscheidung für den Entwurf der niederländischen Damen-Gruppe bekannt gegeben. Damen-Schelde Naval Shipbuilding beabsichtigt mit der zur Lürssen-Gruppe gehörenden Blohm & Voss, Hamburg, als Partner zu arbeiten. Nicht nur der Bau sollte in der Hansestadt erfolgen. Der deutsche Partner, also Lürssen bzw. Blohm & Voss, sollte in Konstruktion und Beschaffung einbezogen werden. „Wir werden dieses Projekt gemeinsam und in echter Zusammenarbeit durchführen. Das ist sehr wichtig!“, so hatte sich ein Vertreter der Geschäftsführung des niederländischen Familienunternehmens bei einem früheren Interview eingelassen.

Die unterlegene German Naval Yards Kiel hatte am 13. März einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes eingereicht. Zuvor wurde der Rüge – der erste mögliche Schritt, gegen eine Vergabe vorzugehen –, von dem für die Vergabe zuständigen Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) nicht entsprochen. Allgemein wird nunmehr erwartet, dass infolge der vorgestrigen Bekanntgabe der zukünftigen Zusammenarbeit das Verfahren beigelegt wird, wodurch weitere Verzögerungen bei der Vergabeentscheidung und der Beauftragung des Projektes eigentlich nicht mehr zu erwarten sind. Brackmann: „Ich hoffe sehr, dass mit der Entscheidung jetzt auch der Bau des Mehrzweckkampfschiffs 180 zeitnah starten kann. … Das wäre vor allem für unsere Marine eine gute Nachricht.“

Tatsächlich berichtet das Handelsblatt am 15. Mai unter Berufung auf die Deutsche Presse-Agentur, dass German Naval Yards Kiel den Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer des Bundes zurückgezogen. Ein entsprechendes Schreiben wäre auch beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr eingegangen.

Bleibt es bei der von den Niederländern geäußerten Absicht einer weitgehenden Beteiligung deutscher Partner, so stehen durch den Zusammenschluss (die fusionskontrollrechtliche Genehmigung vorausgesetzt) für den Bau des Mehrzweckkampfschiffes 180 ein weiterer deutscher Bauplatz zur Verfügung. Was Hoffnung auf schnellen Vollzug weckt.

Das Bundeswirtschaftsministerium begrüßt die Absprache zwischen beiden Werften, ihre Kapazitäten im Überwasserschiffbau zu bündeln. Dies sei ein erster wichtiger Schritt hin zur Konsolidierung des deutschen Marineschiffbaus. Der maritime Standort Deutschland und die verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologie des Marineüberwasserschiffbaus werden gestärkt.

 

Projekt Mehrzweckkampfschiff 180

Die Gespräche zu einem Zusammenschluss wurden mit thyssenkrupp Marine Systems als dritter Partner begonnen. Letztendlich einigten sich die beiden Eigentümerfamilien auf die Modalitäten, die nun der Ausgestaltung bedürfen. Insofern können zurzeit über Arbeitsverteilung, Organisation und Strukturen einschließlich der finanziellen Planungen, also das Modell der Zusammenarbeit ganz allgemein, keine Aussagen getroffen werden.

Auch wenn der ‚taktische‘ Bedarf, das Projekt Mehrzweckkampfschiff 180 zu realisieren im Vordergrund des Zusammenschlusses stehen mag, so wird die Entwicklung allgemein positiv aufgenommen. Politik und Gewerkschaften sprachen sich schon länger für eine Konsolidierung aus. Die Einwände der Gewerkschaften beziehen sich auf die mangelnde Kommunikation an die Belegschaften über die Vorgänge. Standesgemäß machen sie ihren Punkt hinsichtlich der Sicherung der Standorte und Arbeitsplätze.

Inwieweit sich mit dem Gelöbnis auf Zusammenarbeit von German Naval Yards Kiel und Lürssen, sollte es bei dieser Konfiguration bleiben (s. dazu mehr weiter unten) die Hoffnung verknüpfen lässt, auch international durchsetzungsfähiger, sogar noch wettbewerbsfähiger zu werden, wird letztendlich von der Qualität des abzuliefernden Produktes abhängen. Demgegenüber scheint ein Verdrängungseffekt in der deutschen Werftenlandschaft wenig wahrscheinlich. Die anderen Werften zeichnen sich durch Spezialisierungen sowie Arbeiten in Marktsegmenten aus und verfügen über durchaus valide Überlebenschancen.

 

Erhalt maritimer Fähigkeiten

Im Sinne des von der Bundesregierung angestrebten Erhalts maritimer und hochtechnologischer Fachkompetenz gilt es nun, das Schicksal von thyssenkrupp Marine Systems zu verfolgen. Laut der Nachrichtenagentur Reuters (14. Mai) führt das Mutterunternehmen thyssenkrupp Gespräche mit der italienischen Fincanteri. Die Marina Militare beschaffte in zwei Losen zu je zwei Exemplare Boote der Klasse U 212A. Ein drittes Los ist geplant. Bauwerft war Fincantieri. Die italienische Werft ist im Kreuzfahrt- wie im Marineschiffbau gut und weltweit aufgestellt. Das Unternehmen, das mehrheitlich im Staatsbesitz ist, betreibt mit der französischen Naval Group – ebenfalls überwiegend im Staatsbesitz – nicht nur gemeinschaftliche Projekte (z.B. die Fregatten der FREMM-Klasse), sondern haben mit ihr eine gemeinsame Tochter Naviris als Joint Venture gebildet.

Die Essener Wendung nach Italien mag eine Gebärde in Richtung Berlin sein, um den dortigen Flankenschutz unter dem Prätext des Erhalts von Schlüsseltechnologie zu suchen. Denn auf dem Weg zu thyssenkrupp Marine Systems‘ selbst gestecktem Ziel, „aus einer Position der Stärke in den nächsten Jahren eine gestaltende Rolle in Europa einzunehmen“ (so CEO Dr. Rolf Wirtz), werden bis 2023 250 Millionen Euro in die Infrastruktur investiert. Unter anderem sollen eine neue Schiffbauhalle (200 Meter lang, 60 Meter breit, 40 Meter hoch) mit Kapazitäten zur Großsektionsfertigung, eine zweite Ausrüstungslinie im Dock für die Ausrüstung von U-Booten, ein neues Bühnensystem sowie eine modernisierte Servicehalle und ein Shiplift entstehen. Die Belegschaft soll um 500 erweitert werden. Initiativen, die nicht auf einen Rückzug hindeuten.

 

Optionen der Zusammenarbeit

Eine Option könnte so aussehen, dass die Kieler an den Verhandlungstisch zurückkehren, um dann mit Lürssen als dem in der Zusammenarbeit mit German Naval Yards Kiel führenden Unternehmen die Verhandlungen fortzusetzen.

Die Einlassungen von thyssenkrupps Vorstandsmitglied Oliver Burkhard deuten darauf hin: „Wir als thyssenkrupp halten den Zusammenschluss dennoch für richtig – allerdings als Zwischenschritt. Drei sind immer einer zu viel in Partnerschaften – im Leben wie im Geschäft. Die jetzige Entwicklung reduziert erst einmal Komplexität. Das ist immer gut. Für eine echte Konsolidierung im deutschen Marinebereich muss dem Zwischenschritt aber ein weiterer Schritt folgen. … Wir haben immer betont, hier konstruktiver Partner zu sein – auch gegenüber Berlin.“

Alles mag davon abhängen, wie sich der Essener Mutterkonzern, der in der Vergangenheit mit dem Verkauf seiner Marinesparte geliebäugelt hatte, aufstellt. Reuters am 14. Mai: thyssenkrupp könnte sich auch dazu entschließen, die Sparte, die im vergangenen Geschäftsjahr 1,8 Milliarden Euro Umsatz und 1 Million bereinigtes operatives Ergebnis erwirtschaftete, zu behalten und eigennützig weiterzuentwickeln. Insofern richten sich Erwartungen an die Aufsichtsratssitzung am 18. Mai.

Denkbar wäre ebenfalls die Abspaltung des Überwassergeschäfts mit einer Konzentration auf die Kernkompetenz U-Bootbau. Zwar verfügen die Kieler noch über Aufträge für Ägypten und Brasilien, doch wird die Akquise schwieriger. Smarter und politisch wünschenswerter wäre demgegenüber ein Konglomerat aus German Naval Yards, Lürssen und thyssenkrupp Marine Systems. Auch wegen des Selbstverständnisses der Essener – an thyssenkrupp Marine Systems ist beim U-Boot- wie beim Überwasserschiffbau kein Vorbeikommen.

Die sich abzeichnende Konsolidierung könnte der ein wenig ins Schlingern geratenen Marineschiffbauindustrie helfen, diesen Technologiebereich samt den dahinter stehenden Zulieferern eine Perspektive zu geben. Sicherlich und erst recht der Marine!

 

Aussichtsreiche Möglichkeiten

Gerade im Hinblick auf die Auswirkungen der aktuellen Krise um Covid-19 auf Schiffbau und maritimes Transportwesen, ist der Schritt ein Lichtblick. In einer online-Pressekonferenz verhieß die Vertreterin des ‚Baltic and International Maritime Council‘ (BIMCO), eine internationale Schifffahrtsorganisation, am 14. Mai nichts Gutes: angesprochen auf die Folgen von Covid-19 auf die Schifffahrtsindustrie und die Reeder sagte sie: „Bereiten Sie sich darauf vor, dass es keine schnelle Erholung geben wird! Sollten sie sich ans Aufräumen machen wollen – jetzt ist die Gelegenheit!“

Die niederländische Damen sieht ihrerseits in dem am 13. Mai bekannt gewordenen Schritt die „aussichtsreiche Möglichkeiten zu einer weitergehenden strategischen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den Eigentümer geführten Unternehmen Lürssen und Damen“, so Richard Keulen, Director Naval Sales Support, gegenüber Europäische Sicherheit und Technik. Damen beobachtet die Konsolidierungsbestrebungen in Europa kritisch – insbesondere gegenüber staatlich unterstützten Unternehmen wie in Frankreich, Italien und Spanien. Da es sich bei Lürssen und German Naval Yards wie bei Damen „um privatwirtschaftliche Schiffbauunternehmen handelt, die von ihren Eigentümern selbst geführt werden“, sind die Niederländer „zuversichtlich, dass wir die mit Lürssen eingegangene Zusammenarbeit unter der neuen, erweiterten Struktur erfolgreich ausbauen und hierdurch stärkeres internationales Gewicht erreichen können.“

Daran anknüpfend: Die Entwicklung in der deutschen Marinewerftenlandschaft und ihre direkte Auswirkungen auf das Projekt Mehrzweckkampfschiff 180 schürt die Hoffnung, dass thyssenkrupp Marine Systems nun im Nachbarland beim Bau der Walrus-U-Boot-Nachfolge zum Zuge kommen könnte.

Hans Uwe Mergener