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Aufgrund der aktuellen Lage im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gehen die meisten Beobachter davon aus, dass derzeit kein Ende des Krieges in Sicht sei. Warum ist das so? Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem in komplexen und volatilen strategischen Situationen. Aber die russische Invasion in der Ukraine generiert besondere strategische Trilemmas für alle Schlüsselakteure und zwingt sie, politische Zielkonflikte auszubalancieren.

Ein Trilemma entsteht, wenn Akteure drei politische Ziele verfolgen, von denen sie aufgrund ihrer Lage aber nur zwei erreichen können. Im Fall des Krieges in der Ukraine vergrößert sich die Komplexität zusätzlich durch die divergierenden Erwartungen bezüglich des Ausgangs des Krieges, dem „Schatten der Zukunft“. Die Beteilgten und Beobachter müssen ihre Risikobewertung ständig anpassen. Das bestimmt gleichzeitig ihr Handeln in der Gegenwart.

Russland zum Beispiel ist ein Gegner, der lernt und sich an neue taktische Herausforderungen anpasst. Es ist in der Lage, industriell und im Hinblick auf sein „Humankapital“ Masse zu generieren. Andererseits neigt seine Führung auch zu katastrophalen strategischen Irrtümern. Vor diesem Hintergrund könnte Putin durchaus eine zweite Front im Baltikum eröffnen, obwohl sein Feldheer in der Ukraine großenteils gebunden ist. Diese Möglichkeit wird die NATO in ihre strategischen Überlegungen einbeziehen müssen.

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Im Zuge der Vorwahlen der Republikaner erklärte Trump, er werde den Artikel 5 des NATO-Vetrages missachten, wenn ein Land, das weniger als zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung investiert, von Russland angegriffen werde (Foto: Truth Sozial)

Strategisches Trilemma

Im Zuge der Vorwahlen der Republikaner in den USA verlautbarte Trump, er werde Präsident Selenskyj ein 24-Stunden-Ultimatum setzen, um mit Putin einen Frieden auszuhandeln. Und er versprach außerdem, er werde Ziel und Zweck der NATO kritisch überprüfen. Artikel 5 werde er missachten, wenn ein Land, das weniger als zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung investiert, von Russland angegriffen werde. Im Gegenteil werde er Russland sogar ermutigen, mit dem entsprechenden Land so zu verfahren, wie es Russland beliebe. Eine mögliche Wiederwahl Trumps beeinflusst so nicht nur das Handeln in der Ukraine, sondern auch die Sicherheitsvorsorge der übrigen NATO-Mitglieder. Präsident Selenskyjs Besuch in den skandinavischen Ländern und im Baltikum sowie der Besuch des britischen Premiers in Kiew deuten bereits den Nukleus einer neu entstehenden europäischen Koalition (ggf. mit Kanada) zur Unterstützung der Ukraine im Falle eines US-induzierten Ausfalls der NATO an. Derartige Absicherungsstrate-
gien sind Ausdruck von vorausschauendem Denken. Sie zeigen, wie Annahmen über die Zukunft Entscheidungen in der Gegenwart beinflussen.

Zurück zu den gegenwärtigen Trilemmata: Russland und die Ukraine wollen beide den Krieg gewinnen. Für Russland bedeutet ein Sieg eine „Wiedervereinigung“, die auch Auswirkungen auf das internationale System hat. Ein russischer Sieg beendete die westliche Hegemonie und führte zum Entstehen einer „gerechten“ multipolaren Weltordnung mit Russland als Pol mit einer regionalen Einflusszone. Das Streben nach der Erreichung der ersten beiden Ziele sollte jedoch keinen Regimewechsel oder gar einen Zusammenbruch in Russland auslösen.

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