Print Friendly, PDF & Email

Die Außen- und Sicherheitspolitik der Volksrepublik China stelle eine „systemische Herausforderung“ für die euro-atlantische Sicherheit dar. So stehe es im neuen Strategischen Konzept der NATO, wie es am 29. Juni des vergangenen Jahres auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs in Madrid verabschiedet worden ist. Das sagte vor wenigen Tagen Brigadegeneral Stefan Schulz, seit 1. April 2021 Abteilungsleiter Verteidigungspolitik und -planung in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik bei der NATO in Brüssel, auf der Jahresauftaktveranstaltung der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) in Bonn.

Die Erwähnung des kommunistischen China stellt eine wichtige Neuerung in der aktuellen NATO-Strategie dar, da die aufsteigende Großmacht im letzten Konzept des Bündnisses vom November 2010 noch gar keine Berücksichtigung gefunden hatte. Und diesmal wird gleich Klartext gesprochen: Mit Sorge blicken die NATO-Mitglieder auf die immer enger werdende strategische Partnerschaft zwischen China und Russland. Die Volksrepublik setze „ein breites Spektrum an politischen, wirtschaftlichen und militärischen Instrumenten ein, um ihren weltweiten Fußabdruck und ihre Machtprojektion zu vergrößern“. Chinas Cyber-Operationen sowie Desinformationskampagnen schaden laut NATO-Konzept der Sicherheit des Bündnisses. Das Reich der Mitte untergrabe die regelbasierte internationale Ordnung.

blank
Podiumsdiskussion der DWT zur Perspektive Strategie (v.l.n.r.): Oberst i.G. Ralph Christian Meyer, Amelie Stelzner-Dogan (Moderation), Konteradmiral Jürgen Ehle und Brigadegeneral Stefan Schulz. (Foto: DWT)

Strategischer Kompass der EU

Auch die Europäische Union (EU) beobachtet mit zunehmender Sorge die Großmachtambitionen Chinas – zunächst einmal vor allen Dingen die unverhohlenen Drohungen der Pekinger Staats- und Parteiführung gegenüber der Republik China auf Taiwan. Die Volksrepublik behindere jetzt schon den Warenverkehr rund um die demokratische Inselrepublik, so Konteradmiral Jürgen Ehle, seit dem 1. September 2019 „Senior Military Advisor to Managing Director for Common Security and Defence Policy and Crisis Response” (MD CSDP-CR) beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) in Brüssel, auf dem DWT-Symposium „Perspektiven der Verteidigungswirtschaft 2023“.

Auch die EU beschäftigt sich in ihrem Strategische Kompass für Sicherheit und Verteidigung, wie er am 21. März 2022 durch die Außen- und Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten angenommen worden ist, mit der Volksrepublik. Auch hier wird Klartext gesprochen: China sei „ein Kooperationspartner, wirtschaftlicher Wettbewerber und systemischer Rivale. (…) China ist zunehmend in regionale Spannungen verwickelt und daran beteiligt. (…) Es verfolgt seine Politik durch eine zunehmende Präsenz auf See und im Weltraum sowie durch den Einsatz von Cyber-Tools und hybriden Taktiken. Darüber hinaus hat China seine militärischen Mittel erheblich ausgebaut und strebt an, die umfassende Modernisierung seiner Streitkräfte bis 2035 abzuschließen, was sich auf die regionale und globale Sicherheit auswirkt.“ China erweitere vor allem sein Kernwaffenarsenal und entwickele neue Waffensysteme.

Admiral Ehle hob in seinem Impulsvortrag auf der DWT-Podiumsdiskussion darauf ab, dass bei der Produktion von Rüstungsgütern ein Wertschöpfungsanteil von rund 60 Prozent auf außereuropäische Anbieter entfällt. Daran ist u.a. auch die Volksrepublik beteiligt, zum Beispiel mit Mikrochips oder Polysilizium. Dies dürfte kaum verwundern, da China bei Waren schließlich der größte Handelspartner der gesamten EU ist.

In der Diskussion wies Hans-Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), auf das Vorbild USA hin, die sich bereits seit sechs Jahren bei strategischen Rohstoffen und Produkten „China-free“ machten.

blank
Wird im Westen zunehmend als Gefahr gesehen: die Volksrepublik China mit seiner Volksbefreiungsarmee (hier ein Kampfpanzer vom Typ 96B der 81. Heeresgruppe beim scharfen Schuss). (Foto: Verteidigungsministerium der VR China)

Deutsche Strategien zur Nationalen Sicherheit und zu China

Während NATO und EU mit 30 bzw. 27 Mitgliedsstaaten bereits über strategische Grundlagendokumente verfügen, die unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erstellt worden sind, hängt Deutschland – wieder einmal – hinterher. Und das, obwohl die Absicht, strategische Grundlagendokumente zur Nationalen Sicherheit und zu China zu verfassen, bereits im Koalitionsvertrag der „Ampel“-Parteien vom 7. Dezember 2021 kodifiziert ist, also noch vor dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine.

Im Koalitionsvertrag ist nachzulesen: „Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen.“ Dieses Zeitziel wurde nicht erreicht. Zur Volksrepublik steht dort: „Um in der systemischen Rivalität mit China unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können, brauchen wir eine umfassende China-Strategie in Deutschland im Rahmen der gemeinsamen EU-China Politik.“ Bei beiden Strategien liegt die Federführung beim Auswärtigen Amt unter der grünen Ministerin Annalena Baerbock.

Wie Oberst i.G. Ralph Christian Meyer, Referatsleiter SE (Abteilung Strategie und Einsatz) II 5 (Grundsatzangelegenheiten der Militärpolitik) im Bundesministerium der Verteidigung, bei der DWT berichtete, ist die China-Strategie angehalten worden, um der – umfassenderen – Nationalen Sicherheitsstrategie den Vortritt zu lassen. Letztere sollte ursprünglich zur Münchener Sicherheitskonferenz vorgestellt werden, die am 17. Februar beginnen wird. Doch wegen Differenzen zwischen Kanzleramt (SPD), Finanzministerium (FDP) und Auswärtigem Amt (Grüne) ist auch dieses Zeitziel offenkundig aufgegeben worden. Man darf also weiterhin gespannt sein.

Gerd Portugall