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Am 27. Oktober hat das US-Verteidigungsministerium erstmals die nicht-geheimen Versionen von drei strategischen Grundlagendokumenten zusammen veröffentlicht: die National Defense Strategy (NDS), die Nuclear Posture Review (NPR) und die Missile Defense Review (MDR) – alle auch vom Kongress mandatiert. Verteidigungsminister Lloyd J. Austin verwies dabei auf Präsident Joe Biden, der die zwanziger Jahre als eine „entscheidende Dekade“ bezeichnet hatte. Diese sei geprägt von „dramatischen geopolitischen Veränderungen“, so der Pentagon-Chef. Es gehe darum, „ein klares Lagebild zu liefern von den Herausforderungen, mit denen wir uns in den kommenden kritischen Jahren vermutlich konfrontiert sehen werden“.

Volksrepublik China als größte Herausforderung

Auf Platz eins dieser Herausforderungen steht für die Vereinigten Staaten ganz klar „der strategische Wettbewerb mit der Volksrepublik China“, so die entsprechende Kapitelüberschrift der NDS: „Die umfassendste und ernsteste Herausforderung für die nationale Sicherheit der USA“ gehe von dem „zunehmend aggressiven Bemühen der Volksrepublik aus, die indo-pazifische Region neu zu ordnen.“ Als besonders besorgniserregend werde die „wachsende Stärke und der militärische ‚Fußabdruck‘ der Volksbefreiungsarmee“ in der Region angesehen, mit deren Hilfe die Sicherheitsinteressen der Nachbarstaaten bedroht würden. Dies gelte insbesondere für die Republik China auf Taiwan. Darin sei insgesamt „ein breit angelegtes Verhaltensmuster der Destabilisierung und Nötigung durch die Volksrepublik“ erkennbar, das „vom Ostchinesischen Meer über das Südchinesische Meer bis zum gegenwärtigen Grenzverlauf mit Indien im Himalaya“ reiche – so die Nationale Verteidigungsstrategie.

Richard C. Johnson, stellvertretender Unterabteilungsleiter im Pentagon für Atom- und sonstige Massenvernichtungswaffen, sagte am 1. November bei einer Veranstaltung der Denkfabrik „Atlantic Council“ in Washington im Zusammenhang mit der fünf Tage zuvor veröffentlichten Nuclear Posture Review: Die chinesischen Nuklearstreitkräfte stellten mittlerweile „einen neuen und wichtigen Faktor dar, mit dem wir rechnen müssen“. Diese Feststellung sei in früheren Strategiedokumenten nicht nötig gewesen. Dies ist insofern bemerkenswert, als der Umfang des chinesischen Atomwaffenpotenzials im Vergleich zu den USA bisher eher von untergeordneter Bedeutung gewesen ist.

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Am Tag der Veröffentlichung der drei Strategiepapiere – dem 27. Oktober – wird ein atomwaffen-fähiger B-52H „Stratofortress“ des 5. Bombergeschwaders aus North Dakota über dem Pazifischen Ozean in der Luft betankt.
Quelle: U.S. Air Force, Alexis Redin

Russland als „akute Bedrohung“

Auf Platz zwei der sicherheitspolitischen Herausforderungen steht für die USA die Russische Föderation als „akute Bedrohung“, so die entsprechende Kapitelüberschrift der NDS: „Die russische Regierung versucht militärische Gewalt einzusetzen, um Grenzverschiebungen zu erzwingen und um eine imperiale Einflusssphäre wiederherzustellen.“ Im Mittelpunkt stehe dabei natürlich „die Eskalation ihres brutalen, nicht-provozierten Krieges gegen die Ukraine.“

Die Nuclear Posture Review bezeichnet Russland als „den anderen nuklear bewaffneten Konkurrenten“, wobei sich dessen Potenzial – anders als das chinesische – mit den USA auf Augenhöhe befindet. Richard C. Johnson sagte in diesem Zusammenhang: „Es gibt Sorgen nicht nur bezüglich Russlands illegaler Invasion der Ukraine, sondern auch mit seiner unverantwortlichen Rhetorik.“ Der Pentagon-Beamte warnte, jeder Einsatz von Atomwaffen „würde einen strategischen Effekt haben und würde die Natur eines jeden Konfliktes fundamental verändern“.

Fazit

Die USA registrieren bei den beiden strategischen Konkurrenten laut NDS eine „Eskalation bei den böswilligen Zwangsmaßnahmen in der ‚Grauzone‘“ zwischen Krieg und Frieden. „Wir sehen uns jetzt gegenüber einem Aufstieg zweier nuklear bewaffneter Wettbewerber“, so Johnson, „auf die wir uns einstellen müssen – sei es aus einer Perspektive der Abschreckung oder aus einer Perspektive der Rüstungskontrolle.“

Was die nukleare Abschreckung durch die US-Streitkräfte betrifft, so verweist die NPR auf die Stärken ihrer einzelnen Säulen: „Bodengebundene Interkontinentalraketen können im Bedarfsfall schnell abgefeuert werden. Die von U-Booten abgefeuerten Atomwaffen sind sehr überlebensfähig und die strategischen Bomber sind sichtbar und können zurückgerufen werden.“

Gerd Portugall