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Am 8. November haben die Verteidigungsminister Großbritanniens und Estlands, Ben Wallace und Hanno Pevkur, in London eine „Defence Roadmap“ unterzeichnet, welche die zu intensivierenden militärischen Aktivitäten beider Nationen für das kommende Jahr zur Umsetzung der Entscheidungen des Madrider NATO-Gipfels vom Juni für die „Vorneverteidigung Estlands“ regelt. Dies gilt für britische Land-, See- und Luftstreitkräfte. Im Januar, so Minister Pevkur, würden „Chinook”-Transporthubschrauber in Estland ankommen, im März „Apache”-Kampfhubschrauber, von März bis Juli „Typhoon”-Kampfflugzeuge im Rahmen des „Baltic Air Policing” und im Mai werde eine zusätzliche NATO-Battlegroup in das baltische Land für das Großmanöver „Spring Storm“ verlegt. „Das Engagement des Vereinigten Königreichs für die Verteidigung und Sicherheit Estlands und Europas“, ergänzte Minister Wallace, „ist unerschütterlich.“

Während des ganzen Jahres 2023 will Großbritannien auch die Sicherheit in der Ostsee im Rahmen von „NATO Maritime Patrols“ schützen und eine Heeresbrigade, die in die estnischen Verteidigungsstrukturen integriert werden soll, in der Heimat in hoher Bereitschaft halten, um im Bedarfsfall schnell die baltischen Streitkräfte verstärken zu können. Im Sommer dieses Jahres sind bereits britische Mehrfachraketenwerfer (MLRS) und das Kurzstrecken-Luftverteidigungssystem „Stormer“ mit „Starstreak“-Raketen nach Estland verlegt worden, die dort – zumindest vorerst – stationiert bleiben sollen. Führungsnation der seit 2017 bestehenden EFP-Battle Group Estonia im Rahmen der „NATO Enhanced Forward Presence“ (EFP) ist Großbritannien mit Standort des Hauptquartiers in Tapa im Norden des baltischen Landes. Neben britischen Truppenteilen rotieren dort auch solche aus Frankreich und seit 2018 ebenfalls aus Dänemark.

Auch Bundeswehr zeigt militärische Solidarität

Seit 2014, das heißt seit der gewaltsamen Annexion der Krim durch Russland, leisten die deutschen Streitkräfte unter Führung der Luftwaffe jährlich mit einem Kontingent ihren Beitrag zur „Verstärkung des Air Policing Baltikum“ (VAPB) vom Luftwaffenstützpunkt Ämari im Norden Estlands aus. Anfang des kommenden Jahres findet dann zum ersten Mal innerhalb der NATO ein gemeinsames „Air Policing“ statt: Die Deutsche Luftwaffe teilt sich dann zusammen mit der Royal Air Force die VAPB-Mission. Nach der Zusammenarbeit unter anderem im Rahmen der multinationalen Übung „Hanseatic Guardian 2020“ in Ämari „ist dies ein weiterer Meilenstein auf dem Weg hin zur Einsatzfähigkeit gemischter Eurofighter-Einsatzverbände“, so die Bundeswehr auf ihrer Homepage.

Im Oktober trainierten auf deutscher Seite das Objektschutzregiment der Luftwaffe, das Seebataillon und der ABC-Abwehrzug der Marine zusammen mit estnischen Truppen in der binationalen Übung „Baltic Tiger 2022“. Die teilstreitkraft-übergreifende Truppenübung sollte die Fähigkeiten von Luftwaffe und Marine beider Nationen im Umfeld der durch den russischen Überfall auf die Ukraine veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa verdeutlichen.

Die drei baltischen Ex-Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen – und damit in der russischen Lesart „Nahes Ausland“ – gelten aufgrund von Wladimir Putins historisierendem Imperialismus als die am meisten unmittelbar bedrohten NATO-Staaten. Erschwerend kommt für Estland hinzu, dass es über eine russische Minderheit von etwa einem Viertel der Bevölkerung im Land und über eine 294 Kilometer lange Grenz zur Russischen Föderation verfügt.

Gerd Portugall