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Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 7. Juni mit dem litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda in Wilna eine schrittweise Erweiterung der Bundeswehr-Präsenz auf dem Territorium des baltischen NATO-Verbündeten vereinbart. Im Rahmen dessen haben sich am 3. September rund 100 Soldatinnen und Soldaten der Panzergrenadierbrigade (PzGrenBrig) 41 „Vorpommern“ mit rund 40 Fahrzeugen im schleswig-holsteinischen Eutin, dem Standort des Aufklärungsbataillons 6 der Brigade, auf den Weg nach Litauen begeben. Von Kiel aus ging es mit einer zivilen litauischen Fähre nach Klaipeda und von dort über die Straße weiter bis zum größten Standort in der Mitte des baltischen Landes nach Rukla.

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In Kiel gehen die deutschen FCE-Soldaten mit ihren Fahrzeugen an Bord einer zivilen litauischen Fähre. Quelle: Bundeswehr/Julia Dahlmann

Das Besondere: Die PzGrenBrig 41 stellt mit ihren Soldaten ein Kommandoelement, nämlich den vorgeschobenen Gefechtsstand, der dauerhaft in Litauen präsent sein soll. Dieser Brigade-Gefechtsstand – das „Forward Command Element“ (FCE) –, so der deutsche Kommandeur der 41er, Brigadegeneral Christian Nawrat, „wird getrennt von der bereits in der 11. Rotation laufenden ‚enhanced Forward Presence‘ (eFP) der Allianz eingesetzt und vom Heer geführt“. Das FCE wird innerhalb der am 24. März in der Brüsseler NATO-Zentrale beschlossenen „enhanced Vigilance Activities“ (eVA) eingesetzt.

Mit dem russischen Völkerrechtsbruch gegenüber dem Nachbarland Ukraine fühlt sich die Atlantische Allianz nicht mehr an das ausschließliche Rotationsprinzip ihrer Einheiten an der Ostflanke gebunden. Von nun an sollen auch dauerhafte Stationierungen von NATO-Truppen in Osteuropa vorgenommen werden.

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Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte am 7. Juni deutsche Soldaten der eFP-Battlegroup der NATO auf dem ostlitauischen Stützpunkt Pabrade.
Quelle: Bundesregierung/Bergmann

Als die russischen Soldaten am 24. Februar aus drei Himmelsrichtungen kommend über die Ukraine hergefallen sind, war der Schock im Baltikum besonders ausgeprägt. Vor allem Litauen befindet sich in einer geostrategisch ungünstigen Lage: Im Osten bildet nur ein schmaler lettischer Korridor einen Puffer gegenüber dem russischen Staatsgebiet; im Süden grenzt der russische Vasallenstaat Belarus an und im Westen liegt die russische Exklave Kaliningrad.

Während die Ukraine sich in der ungünstigen Position befindet, nicht Mitglied des Nordatlantischen Bündnisses zu sein, fallen die drei baltischen Staaten geopolitisch seit der zweiten NATO-Osterweiterung im Jahre 2004 unter die Beistandsklausel des Artikels 5 des Washingtoner Vertrages: Jeglicher Angriff auf Estland, Lettland oder Litauen hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Feststellung des Bündnisfalles zur Folge. Die im Baltikum stationierten NATO-Truppen erfüllen zusätzlich als Selbstbindung die Funktion eines „Stolperdrahtes“ – wie schon während des Kalten Krieges die US-Amerikaner und Kanadier in Westeuropa. Damit befänden sich im Falle eines russischen Angriffs quasi automatisch auch die Truppen-Entsende-Staaten im Kriegszustand. So soll die militärische Abschreckungsstrategie der NATO ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit gewährleisten.

Gerd Portugall