MBDA sieht Potenzial bei neuen Technologien
Lars Hoffmann
Der europäische Lenkflugkörperhersteller MBDA hat sich im vergangenen von der Corona-Pandemie geprägten Jahr robust gezeigt und einen Umsatz von 3,6 Milliarden Euro erzielt. Der Auftragseingang im Jahr 2020 habe bei 3,3 Milliarden Euro gelegen, was zum einem Auftragsbestand von rund 16,6 Milliarden Euro geführt habe, sagte MBDA-CEO Éric Béranger am Mittwoch auf einer virtuellen Pressekonferenz.
Trotz der Corona-Krise habe das Unternehmen im vergangenen Jahr insgesamt 1.100 Beschäftigte in ganz Europa neu eingestellt, weitere 1.200 Beschäftigte sollen 2021 dazukommen, betonte Béranger. Ausgenommen von dieser positiven Entwicklung ist jedoch MBDA Deutschland. Hier würden insgesamt etwa 300 Stellen abgebaut, sagte ein Sprecher des Unternehmens auf Nachfrage. Grund für die Personalreduktion ist das Einfrieren des Vorhabens zum Aufbau eines Taktischen Luftverteidigungssystems (TLVS) durch die Bundesregierung. Nach Aussage von Béranger hat sein Unternehmen in Kooperation mit Lockheed Martin zwar ein Angebot von guter Qualität für TLVS abgegeben. Allerdings seien für das Projekt keine Haushaltsmittel bereitgestellt worden. Aus diesem Grund müsse auch MBDA die Ausgaben für TLVS reduzieren.
Nach Angaben des MBDA-CEOs möchte sein Unternehmen das deutsche Verteidigungsministerium bei der Modernisierung der bodengebundenen Luftverteidigung kurzer Reichweite unterstützen. Hierzu laufen seinen Worten zufolge gegenwärtig Gespräche. Nach Angaben des MBDA-Sprechers geht es dabei in einem ersten Schritt darum zu prüfen, was der Kunde wünscht. Erst danach sei ein Angebot machbar. MBDA könne womöglich die Nutzung seines Testzentrums für das Patriot-System in Freinhausen auch für andere Systeme anbieten.
Zu den wichtigsten Neuaufträgen für MBDA gehörten 2020 ein Produktionsauftrag für SPEAR-Flugkörper für die Royal Air Force und ein Upgrade für den Brimstone-3-Flugkörper, die Aster-Grundüberholung für Frankreich sowie der Entwicklungsauftrag für den neuen MHT-Lenkflugkörper für den Tiger-Hubschrauber. Darüber hinaus beauftragte Italien den neuen Teseo MK2/E-Schiffsabwehrflugkörper und Deutschland, mit Rheinmetall als Co-Auftragnehmer, einen neuen Hochenergie-Laser-Demonstrator für die deutsche Marine. Größere Exportaufträge konnten im Marinesegment unter anderem für den Senegal gewonnen werden.
Um den zukünftigen Anforderungen der Streitkräfte gerecht zu werden, investiert MBDA nach eigener Aussage in großem Umfang in innovative Effektoren und Technologien sowie zugrundeliegende Fähigkeiten. Ziel sei es, eine neue Generation kollaborativer, vernetzter Effektoren zu entwickeln, sagte Béranger. Gegen die gewachsene Bedrohung durch Drohnen habe man das System Sky Warden entwickelt, dass zahlreiche Sensoren und Effektoren miteinander verbinde. Darüber hinaus arbeite man an Abwehrmöglichkeiten von so genannter Loitering Munition.
MBDA will zukünftig neue Technologien, wie künstliche Intelligenz, neue Zielidentifizierungs- oder Hyperschalltechnologien verwenden. In diesem Zusammenhang würden auch Verfahren im Bereich Schwärme, komplexe Missionsplanung, Navigation oder Kollaboration unterschiedlicher Effektoren betrachtet, sagte der MBDA-CEO. Im Segment der Laser sei MBDA neben Deutschland und Großbritannien auch in Frankreich in einem Projekt als Kooperationspartner aktiv. International sieht Béranger ein steigendes Interesse an der Technologie mit mehr als 50 Konzepten oder konkreten Programmen für Hochenergielaster in der Umsetzung.
2021 ist den Angaben von MBDA zufolge ein entscheidendes Jahr für wichtige europäische Verteidigungsprojekte. Der von der europäischen Rüstungsagentur OCCAR am 19. März vergebene SAMP/T NG-Auftrag werde die Luftverteidigungsfähigkeiten von Frankreich und Italien verbessern. Mit der verbesserten Lenkwaffe von SAMP/T sei auch die Bekämpfung von ballistischen Raketen möglich, unterstrich Béranger. Damit handele es sich um das einzige europäische Flugkörpersystem mit dieser Fähigkeit. Die neue Generation des Luftverteidigungssystems werde voraussichtlich zum Ende der Dekade einsatzbereit sein, kündigte er an.
Zudem werden laut Béranger Frankreich und Großbritannien ihre Zusammenarbeit bei einem neuen Seezielflugkörper ausbauen. Ziel sei es, die Bewertungsphase für das FC/ASW-Programm einzuleiten und die technologische Basis für die übernächste Generation von Lenkflugkörpersystemen zu stärken.
MBDA will außerdem die Zusammenarbeit bei einem endoatmosphärischen Interceptor vorantreiben. Dieser Interceptor gilt als eine Schlüsselkomponente des TWISTER-Programms. TWISTER steht für Timely Warning Interceptor with Space-based TheatER surveillance und wurde im Rahmen des PESCO-Programms der EU gestartet, um einen europäischen Beitrag zur Ballistic-Missile-Defence der NATO zu leisten. MBDA zufolge werden nach dem vor einigen Monaten erfolgten Beitritt Deutschlands zu TWISTER im laufenden Jahr die Finanzierungskonditionen sowie die industriellen Anteile an dem Vorhaben festgelegt.
Im Rahmen der Projekte Tempest und FCAS wird MBDA nach eigenen Angaben als Teil zweier Industriepartnerschaften, die nächste Generation von Future Combat Air Systems mitproduzieren und leistungsfähige, vernetzte und kooperative Effektoren dafür entwickeln. Béranger wies dabei auf die herausgehobene Rolle seines Unternehmens bei der Entwicklung eines so genannten Remote Carriers im französisch-deutsch-spanischen FCAS-Vorhabens hin.
Der multinationale MBDA-Konzern verfügt über Standorte in den fünf europäischen Ländern Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland und Spanien sowie in den USA. Insgesamt bietet der Konzern nach eigenen Angaben 45 Flugkörpersysteme und Produkte für Gegenmaßnahmen an, die bereits im operationellen Einsatz sind. 15 weitere seien in der Entwicklung.
Lars Hoffmann