Eine aktuelle Ausschreibung des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) mit der Vergabenummer TED 368003-2025 hat es in sich: Bis August 2026 sollen alle drei Fregatten der Klasse F124 mit einem Ship-Shore-Ship Buffer on Ship (SSSB) ausgerüstet werden. Diese externe Gateway-Lösung soll es den Schiffen ermöglichen, den modernen NATO-Datenlink Link 22 sowie das Joint Range Extension Applications Protocol C (JREAP-C) zu nutzen. Das Ziel: die taktische Datenanbindung auf den Stand der Allianz bringen, ohne tiefgreifende Eingriffe in das komplexe Führungs- und Waffeneinsatzsystem (FüWES) der Sachsen-Klasse. Diese scheinbar technische Vergabemaßnahme ist Teil eines offensichtlichen Richtungswechsels, der mit dem vom Inspekteur der Marine eingeschlagenen „Kurs Marine 2025“ nun beschritten wird.
Grafik: ©hum mit Hilfe von AIHintergrund: Ein Projekt scheitert, ein Prinzip setzt sich durch
Noch vor wenigen Jahren verfolgte die Bundeswehr mit dem Programm ‚Obsoleszenzbeseitigung und Fähigkeitsanpassung F124‘ (ObsWuF F124) das Ziel, die Luftverteidigungsfähigkeit ihrer Fregatten grundlegend zu modernisieren. Ziel der Rüstungsplanung war es, die Fregatten in ihrer Luftverteidigungsfähigkeit grundlegend zu modernisieren. Neben der generellen Systemerneuerung stand insbesondere die Einrüstung des AESA-Weitbereichsradars TRS-4D/LR ROT von Hensoldt im Fokus. Damit wäre eine Erfassung von Luftzielen bis 400+ Kilometern und sogar ein Beitrag zur ballistischen Flugkörperabwehr (BMD) möglich gewesen. Vier Radareinheiten wurden bestellt, davon drei zur Einrüstung auf den Schiffen und eine als Referenzanlage in Parow.
Doch es kam anders. Ab 2023 mehren sich Berichte über steigende Kosten, gravierende Integrationsrisiken sowie lange Umrüstzeiten, die mit dem Erhalt der Einsatzverfügbarkeit unvereinbar wären. Der Inspekteur der Marine zog im Herbst 2024 die Notbremse: ObsWuF F124 wurde beendet. Statt einer langjährigen Komplettmodernisierung wurde eine pragmatischere Linie eingenommen: gezielte Ertüchtigung vorhandener Plattformen bei minimaler Abwesenheit von der Flotte. Das Prinzip „Verfügbarkeit in See“ löste den Anspruch auf Systemperfektion ab.
Kurs Marine 2025: Wegmarke und Handlungsrahmen
Der Strategiewechsel vollzog sich nicht im luftleeren Raum. Vielmehr ist er Teil eines umfassenderen Konzeptes, das unter dem Namen „Kurs Marine 2025“ vom Marine-Inspekteur Vizeadmiral, Jan Christian Kaack, öffentlich gemacht wurde. Dieses Reformkonzept reagiert auf eine sicherheitspolitisch veränderte Lage, insbesondere durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, sowie auf die zunehmende Bedrohung der maritimen Infrastruktur in Nord- und Ostsee. Der „Kurs“ fordert:
- Verteidigungsbereitschaft vor 2029
- Fokus auf Interoperabilität, Wirkung und Durchhaltefähigkeit
- Umsteuerung von Wunschfähigkeiten hin zu einsatznaher Befähigung
- Flexibilität, kurze Entscheidungswege und modulare Rüstung
Link 22 ist in diesem Zusammenhang nicht nur eine technische Ergänzung, sondern symbolisiert diese neue Kultur der Wirksamkeit.
Link 22: Technik, Taktik und Transformation
Link 22 wurde im Rahmen des NILE-Programms der NATO entwickelt, um der Notwendigkeit des Informations-austauschs zwischen unterschiedlichen Streitkräfte-einheiten national wie international gerecht zu werden. Bei Link 22 handelt es sich um ein taktisches Datenlinknetz-werk der NATO, das Kommunikation im HF- und UHF-Bereich erlaubt, auch bei störungsbehaftetem Umfeld oder über die ‚line-of-sight‘ hinaus. Damit eignet es sich für maritime Operationen in großer Raumaufteilung oder bei Kommunikationsbeeinträchtigung. Die Reichweite von Link 22 im HF-Bereich kann über 1.000 Seemeilen betragen.
Ergänzt wird dies durch das Protokoll JREAP-C, welches es erlaubt, Link-22-Daten über IP-basierte Netze, insbesondere auch über Satellitenkommunikation (SATCOM), zu routen. Dies schafft weltweite Verfügbarkeit – ein Aspekt, der gerade bei Einsätzen jenseits der NATO-Hauptoperationsgebiete oder bei Hybridbedrohungslagen zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Die Deutsche Marine war bislang einer der wenigen Großnutzer von Link 11, die Link 22 nicht implementiert hatten. Frankreich, Kanada, die Niederlande und weitere Nationen setzen Link 22 bereits im Routinebetrieb ein. Die Royal Navy hat entsprechende Nachrüstungen eingeleitet. Vor diesem Hintergrund ist das geplante Upgrade für die F124 nicht nur taktisch, sondern auch politisch von hoher Relevanz.
Umsetzung ohne Systembruch
Das BAAINBw wählte für die Einführung von Link 22 einen pragmatischen Weg. Statt das komplexe und eigens für die F124 entwickelte FüWES (Combat Management System) zu modifizieren, erfolgt die Anbindung über ein externes Gateway. Damit kann die Marine interoperable Kommunikationsfähigkeit sicherstellen, ohne auf langwierige Softwareumrüstung oder tiefe Systemeingriffe warten zu müssen. Die Ausschreibung sieht den Einbau auf allen drei Fregatten bis August 2026 vor, mit Vorlauf ab September 2025. Bereits Ende 2025 sollen die ersten Einheiten befähigt sein – rechtzeitig zur NATO-Verpflichtung ab Januar 2026. Die Ausschreibungsfrist endete am 23. Juni. Der Beginn der Maßnahme wurde auf den 12. September 2025 festgelegt, ihre Laufzeit bis zum 31. August 2026 vorgegeben. Die Königlich Schwedische Marine ging in der Ausstattung ihrer Marineeinheiten mit Link 22 einen ähnlichen Weg.
Modularisierung statt Monolith
Link 22 ist nur ein Mosaikstein in einem breiteren Modernisierungsmuster. Die folgenden Fähigkeitszuwächse werden zeitgleich oder sukzessive vorbereitet:
- ESSM Block 2: Verbesserung der Mittelbereichsflugabwehr.
- RAM Block 2B: Modernisierung der Nächstbereichsverteidigung. Der Flugkörper verfügt über einen „imaging IR seeker“ und ist somit insbesondere gegen Bedrohungen wie „supersonic sea-skimmers“ ausgelegt.
- KORA 40: Ersatz der FL1800 – mit verbesserter Radarortung und aktiver Gegenmaßnahme.
- Naval Strike Missile (NSM): Gegen See- und Landziele einsetzbar.
- qNFMLG: Leichtgeschütz Kaliber 30 mm als Nachfolgelösung des Marineleichtgeschützes (qNFMLG – querschnittliche Nachfolgelösung für das Marineleichtgeschütz).
- NH90 Sea Tiger: Integration des neuen Bordhubschraubers.
- Cyberresilienz & IT-Härtung: Schutz der Systeme vor elektronischer und kybernetischer Störung.
Alle Komponenten folgen demselben Prinzip: keine langen Werftliegezeiten, sondern Integration im Zuge regulärer Instandhaltungszyklen. Ziel ist es, die Verfügbarkeit der Schiffe so wenig wie möglich einzuschränken.
Politische Bedeutung und Sicherheitspolitischer Kontext
Die Sachsen-Klasse ist derzeit die einzige Schiffsklasse der Deutschen Marine, die in allen drei klassischen Warfare Areas – Überwasser-, Unterwasserseekriegführung und Flugabwehr – glaubwürdig wirken kann. Eine temporäre Außerdienststellung wäre sicherheitspolitisch gewagt. Im Licht der aktuellen Lagebilder in Ostsee, Mittelmeer und Nordatlantik sind derartige Ressourcen unersetzlich.
Gleichzeitig zeigt das neue Vorgehen, dass die Bundeswehr aus gescheiterten Großprojekten lernt. Statt Systemumbruch nun Systemertüchtigung – dieser Paradigmenwechsel entspricht der von Verteidigungsminister Pistorius formulierten Linie: robust, wirksam, zügig.
Bewertung: Zeichen, Wirkung, Richtung
Die Nachrüstung von Link 22 auf den Fregatten der Sachsen-Klasse ist sowohl technisch als auch symbolisch relevant:
- Technisch, weil sie eine Fähigkeitslücke schließt und die deutsche Flotte auf Stand der NATO-Datenvernetzung bringt.
- Symbolisch, weil sie einen neuen Umgang mit Rüstungsfähigkeit markiert: vom Großsystem zur Teillösung mit Wirkung.
- Richtungweisend, weil der Weg von F124 zur F127 nicht als Bruch, sondern als Übergang verstanden wird.
Zeichen gesetzt
Mit Link 22 bleibt die Sachsen-Klasse operativ anschlussfähig, interoperabel und einsatzbereit. Zugleich steht das Verfahren exemplarisch für einen neuen Weg: Priorität für Wirkung, Mut zu pragmatischen Lösungen und klare Orientierung an realistischen Fähigkeitsbildern. Zwar verspätet, doch immerhin geben Berlin und Koblenz zu verstehen, dass Deutschland den Anschluss an den NATO-Standard der vernetzten Führungssysteme hält und die Interoperabilität der F124-Fregatten im Verbund mit Alliierten verbessert. Zugleich verdeutlicht der Schritt, dass Kernelemente der Einsatzfähigkeit – dazu zählt die Datenanbindung – erst jetzt mit Nachdruck angegangen werden.
Die F124 erfährt damit keine Revolution, aber eine substanziell tragfähige Evolution. Und sie tut dies im richtigen Moment. Denn Einsatzfähigkeit ist kein Ziel für 2040 – sondern für 2025 bis 2029. Genau darin liegt die Bedeutung dieser Ausschreibung, die den Auftakt für eine neue Art der Modernisierung bildet: robust, realistisch, richtungsweisend.
Dabei ist nicht die Installation einer Übergangslösung, sondern der Verzicht auf ObsWuF war das eigentliche Signal für Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft – ganz im Sinne von Kurs Marine 2025 und dem Prinzip „Fight Tonight“.
Bleibt zu hoffen, dass sich das Prinzip durchsetzt. Mit der Modernisierung der U-Boote Klasse 212A wurde der Weg eingeschlagen (wir berichteten).
Hans Uwe Mergener