Im Rahmen der Versuche, die Sicherheit der Unterwasserinfrastruktur zu erhöhen, schlugen Deutschland und Norwegen am Rande der NATO-Verteidigungsministertagung vom 17. Oktober vor, das NATO-Territorium in fünf Seeregionen aufzuteilen, die jeweils von einem Mitglied des Bündnisses federführend betreut werden.
Deutschland übernimmt Verantwortung in der Ostsee
Norwegen und Deutschland schlagen nun die Einrichtung von regionalen Zentren für verschiedene Seegebiete vor, die von einem oder mehreren Verbündeten geleitet werden können und die Unterwasserinfrastruktur in den Gebieten überwachen. Diese CUI-Hubs sollen Ostsee, Nordsee, den Atlantik, das Mittelmeer und das Schwarze Meer abdecken. CUI steht in der NATO-Terminologie für Critical Underwater Infrastructure.
Norwegen, das allein über 9.000 Kilometer Gas-Pipelines (plus Kabel zur Stromversorgung und Verbindungsleitungen zur Kommunikation) verfügt (Quelle: Norwegischer Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram während des Pressestatements), will die Verantwortung für den Hohen Norden übernehmen.
Nach der am 17. Oktober vom BMVg herausgegebenen Gemeinsamen Presseerklärung ist Deutschland „entschlossen und bereit, Verantwortung in der Ostsee zu übernehmen.“
Die Initiative steht allen Allianzmitgliedern zur Beteiligung offen. Die beiden Verteidigungsminister sprachen eine Einladung zur Teilnahme aus.
Die jetzige bilaterale Vereinbarung geht zurück auf eine Ankündigung vom November 2022. Damals verständigten sich die Regierungschefs Norwegens und Deutschlands, Jonas Gahr Store und Olaf Scholz, auf den Vorschlag einer informellen Initiative zur Verbesserung der Sicherheit unterseeischer Infrastrukturen.
Nordstream Schock
Die vier Explosionen vom 26. September 2022 auf dem Boden der Ostsee in der Nähe der dänischen Insel Bornholm und die durch die Lecks in den Nord Stream Pipelines 1 und 2 ausströmenden Methangasmengen rückten die bis dahin in Deutschland eher stiefmütterlich behandelten kritische Infrastruktur im maritimen Raum in den Vordergrund. Die Störungen am Baltic Connector, einer 77 Kilometer langen Gasleitung zwischen Estland und Finnland, im Herbst 2023 taten ein Übriges.
Seitdem gab es in Europa eine Vielzahl von Initiativen zur Stärkung des Schutzes kritischer Unterwasserinfrastruktur. Auf dem Nordsee-Gipfel im April 2023 trafen sich nationale Sicherheitsberater aus neun Ländern, um eine bessere Zusammenarbeit bei der Sicherheit der Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur zu erörtern. Am 9. April 2024 vereinbarten Belgien, Dänemark, Deutschland, die Niederlande, Norwegen und das Vereinigte Königreich bessere Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zum Schutz der Unterwasserinfrastruktur.
Die NATO richtete 2023 ein maritimes Zentrum für die Sicherheit kritischer Unterwasserinfrastrukturen innerhalb des Maritime Command (MARCOM) der NATO in Northwood, Vereinigtes Königreich, ein. Es soll die Entscheidungsfindung vorbereiten, Maßnahmen der Mitgliedsstaaten koordinieren und beim eventuellen Einsatz von maritimen Fähigkeiten unterstützen. Im Februar 2024 verständigten sich die Verteidigungsminister der Allianz auf die Einrichtung eines Critical Undersea Infrastructure Network. Führende Experten aus dem Bündnis trafen sich am 23. Mai 2024 im NATO-Hauptquartier zur ersten Sitzung Netzwerks.
Realitäten: mangelnde Priorisierung, fehlende Koordination, Fragmentierung der Zuständigkeiten
Nach Expertenmeinung ist der Schutz von kritischen Infrastrukturen am Meeresboden nicht nur wegen des Aufwands zu ihrer Überwachung schwierig. Göran Swistek, Marineoffizier und Gastwissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Die Ostsee zum Beispiel, in der sich der Nord-Stream-2-Anschlag ereignete, sei ein relativ kleines Binnenmeer – aber dennoch zu groß für eine ständige Überwachung. „Wir haben in den dänischen, aber auch deutschen Gewässern immer mehr Windparks, die dort entstehen. Diese alle zu überwachen, ist gar nicht möglich von einer staatlichen Seite“, so Swistek. Zwar hätten die Betreiber der kritischen Infrastrukturen eine gewisse Schutzverantwortung, seien aber gerade gegen gezielte Sabotage weitgehend hilflos. „Das heißt in der Summe: Nein, wir werden wahrscheinlich nie einen Zustand erreichen können, in dem wir alles das, was an Infrastruktur existiert, schützen können.“
Hinzu kommt die in Deutschland übliche Frage nach der Zuständigkeit. In den Hoheitsgewässern bis in die Ausschließliche Wirtschaftszone, die von der Küste bis zu 200 Seemeilen in die Hohe See hineinreicht, ist die Polizei zuständig. „Die Marine hat eigentlich gar keinen Auftrag zum Schutz der kritischen Infrastruktur“ bestätigt Swistek in der Reihe ‚Nachgefragt‘ auf bundeswehr.org im Juni 2023.
Auch international zeichnet sich ab, dass derartige Schutzmaßnahmen Folgerungen auf den institutionellen und politischen Rahmen haben. Was eine Überprüfung der rechtlichen Instrumente, der Doktrinen, des Personal- und Mitteleinsatzes beinhaltet. Auf einem von der belgischen EU-Ratspräsidentschaft am 16. April 2024 organisierten Seminar zur maritimen Sicherheit mit Schwerpunkt auf der Nordsee, dem Mittelmeer, dem Schwarzen Meer und dem Golf von Guinea war die Unerlässlichkeit eines regionalen Ansatzes für den Schutz kritischer Infrastrukturen einhellig. Die bestehende institutionelle Fragmentierung ist der Gewährleistung maritimer Sicherheit abträglich. Beispiel: In der Nordsee überschneiden sich Convention for the Protection of the Marine Environment of the North-East Atlantic (OSPAR Convention), International Council for the Exploration of the Sea (ICES), North-East Atlantic Fisheries Commission (NEAFC), North Atlantic Coast Guard Forum (NACGF), NATO Allied Maritime Command (MARCOM), European Union Maritime Security Strategy (EUMSS).
Hans-Uwe Mergener