Während die Weltöffentlichkeit weiter auf den Krieg im Gaza-Streifen, eine mögliche Racheaktion des Iran für die Tötung von Hamas-Chefs Haniyeh und die Eskalation der Lage an der libanesischen Grenze schaut, wachsen die Spannungen in Nordafrika. Pseudo-Wahlen, interne Konflikte und Säbelrasseln untergraben die vermeintliche Stabilität in der Europa-nahen Region weiter.

Politik
Die Erdogan-Regierung in Ankara sorgt bereits seit Jahren für Friktionen im nordatlantischen Verteidigungsbündnis – zuletzt hinsichtlich des Beitritts von Schweden und Finnland. Nun beantragt die Türkei die Mitgliedschaft in der BRICS-Gruppe. Diese Zuwendung in Richtung der neuen globalen Supermächte China, Indien, aber auch Russland gießt weiter Öl ins Feuer. Die von China und Russland dominierte Gruppe hatte erst kürzlich Ägypten, Äthiopien, Saudi-Arabien, die VAE und Iran als neue Mitglieder aufgenommen. Die Türkei wäre das erste NATO-Land in der Gruppe, die sich als Gegengewicht zur geopolitischen und wirtschaftlichen Dominanz des Westens sieht. Ankara positioniert sich somit in einer multipolaren Welt neu. Obwohl es seinen NATO-Verpflichtungen weiter nachkommen will, spielt ein latenter Frust über den mangelnden Fortschritt in der EU-Beitrittsfrage und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NATO bei diesem Schritt eine Rolle. Aktuell exportiert die Türkei 70 Prozent ihres Handelsvolumens in die EU.

Wirtschaft
Europa sucht nach dem Wegfall Russlands als Gas- und Öllieferant Alternativen. Die nordafrikanischen Staaten Algerien und Libyen scheinen prädestiniert, den europäischen Energiebedarf zu decken. Auch wenn nicht demokratisch im westlichen Sinn, so bringt die Präsidentschaftswahl im September in Algerien Stabilität.Bei einer geringen Wahlbeteiligung von knapp unter der Hälfte gewann Amtsinhaber Abdelmadjid Tebboune seine zweite fünfjährige Amtszeit mit über 95 Prozent der Stimmen. Ein Viertel der europäischen Gasimporte kommen aus Algerien. Deutschland ist besonders am grünen Wasserstoff interessiert, was ein Abkommen von Wirtschaftsminister Robert Habeck im Februar unterstrich.

Aber auch das bürgerkriegsgeschundene Libyen spielt eine wichtige Rolle in der europäischen Energieversorgung. Hier positioniert sich Italien als einflussreicher Spieler.

Von Stabilität kann allerdings keine Rede sein. Im August führte ein Ölförderungsstopp zu Verlusten von 120 Millionen Dollar. Libyens National Oil Corporation bedauerte die Entscheidung des Repräsentantenhauses im Osten des Landes unter der Führung von Premierminister Osama Hamad, die Förderung und den Export auszusetzen. Im Hintergrund geht es um den Konflikt zwischen dem starken Mann im Osten, General Haftar, und der von Abdul Hamid Dbeibeh geführten und international anerkannten Regierung der Nationalen Einheit in Tripoli. Ein problemloser und zuverlässiger Öl- und Gastransport nach Europa aus Libyen scheint in der nahen Zukunft eher unwahrscheinlich.

Militär
Israels Krieg im Gaza-Streifen dauert bereits 12 Monate und kostete Zehntausende von  zivilen Opfern.

Nun hat die Regierung Netanjahu den Wehrdienst um vier Monate verlängert. Somit werden die eingezogenen 350.000 Reservisten noch bis Ende des Jahres Uniform tragen müssen. Diese fehlen in der Volkswirtschaft. Gleichzeitig könnten aufgrund der hohen Kosten auch die Steuern steigern. Internationale Investoren, welche auf ein zuverlässiges nationales Sicherheitsumfeld hoffen, könnten abgeschreckt werden. Zusätzlich droht eine Abwanderung von überwiegenden jungen männlichen Arbeitern in den starken israelischen IT-Sparten aufgrund des drohenden Militärdienstes.

Im Dauerkonflikt zwischen der Regionalmacht Ägypten und Äthiopien lässt Ägypten die Muskeln spielen. Kairo begann im August auf Einladung der dortigen Regierung mit der Stationierung einer Einsatztruppe in Somalia. Formell handelt es sich um die Nachfolge der von Mogadischu ungeliebten „Mission der Afrikanischen Union in Somalia“. Erste gemeinsame Übungen zwischen ägyptischen und somalischen Einheiten im September sollen die Zusammenarbeit vertiefen, aber auch ein Signal senden. Seit Jahren streiten Kairo und Addis Abeba um das Wasser des Nils. Der äthiopische Bau des Großstaudamms GERD (Great Ethiopian Renaissance Dam) am Blauen Nil hat die beiden Regionalmächte mit Bevölkerungen von 100 Millionen Menschen an den Rand eines Krieges gebracht. Der militärische Einsatz in Somalia könnte als Umzingelung Äthiopiens interpretiert werden.

H. M. Lawrence