Enterprise Ressource Planning (ERP): Neue Software für die Landes- und Bündnisverteidigung
Oberst Bernd Zimmermann
Im Geschäftsbereich BMVg werden die logistisch-administrativen Prozesse im Grundbetrieb und Internationalen Krisenmanagement seit mehr als einem Jahrzehnt mit dem Enterprise Ressource Planning (ERP) System R/3 ECC sowie integrierten Komplementärprodukten unterstützt. Das Nachfolgeprodukt S/4 HANA, bietet in Zusammenhang mit der SAP Business Technology Plattform vielfältige innovative Möglichkeiten für die grundlegende Optimierung der Organisation mit ihren Geschäftsprozessen. Die Umstellung darauf hat in der Bundeswehr bereits begonnen.
2020 hat sich die Bundeswehr im Programm SASPF mit der S/4HANA Transition auf einen langen Weg einer umfassenden digitalen Transformation begeben. S/4HANA ist die neue ERP-Softwarelösung der Firma und Nachfolger des bisher in der Bundeswehr verwendeten Kernprodukts R/3 ERP Central Component (ECC). Allen Nutzern der SAP Software R/3 ECC steht eine umfangreiche Migration auf S/4HANA bevor.
Beabsichtigt die strategische Leitung grundsätzlich eine umfassende und, insbesondere auch, prozessuale Veränderung, haben sich die geschäftlichen Anforderungen und Szenarien grundsätzlich geändert oder will man dringend zukunftsfähig bleiben? In diesem Fall entscheidet man sich für den sogenannten „Greenfield“ Ansatz. Die Organisation nutzt digitale Technologien für eine innovative Transformation ihrer Arbeit. Die Umstellung erfolgt ganzheitlich, in einem „Big Bang“. Bereits bestehende Prozesse werden dem im System verfügbaren Lösung „unterworfen“ und müssen entsprechend angepasst werden.
Im „Brownfield“ Ansatz, der für die Bundeswehr festgelegt wurde, nimmt man Rücksicht auf die Organisation, man möchte diese erstmal vor umfassenden Veränderungen schützen. Das vorhandene Alt – System wird technisch konvertiert auf die neue Software und anschließend schrittweiße über einen längeren Zeitraum funktional erneuert.
SASPF befindet sich zurzeit in der ersten Phase dieser zweistufigen Transition. Mit der System Conversion wird zuerst das bestehende ERP-System komplett auf S/4HANA konvertiert. Die Conversion, als erster Schritt, bringt bis Ende 2025 die bestehende Prozesswelt nach S/4HANA. Entscheidend ist dabei, dass die Vielzahl der Eigenentwicklungen auf Herz und Nieren hinsichtlich der Kompatibilität geprüft werden. Die nachfolgende Innovationsphase nutzt dann die neuen Technologien, um im Geschäftsmodell „Bundeswehr“ Mehrwert zu schaffen und zukunftsfähig zu bleiben. Ab 2026 beginnt dann in der Innovationsphase auf diesem System die zwingend notwendige Einführung der Funktionalitäten S/4HANA, im Schwerpunkt der Branchenlösung Defence & Security. Die Bundeswehr war seit 2016 im Rahmen der Defence Interest Group der Fa. SAP an der Entwicklung eng eingebunden. Die vielen in SASPF vorhandenen, vom Herstellerstandard abweichende, Prozessimplementierungen (kundeneigene Programmierungen) sind zurückzubauen und in einen S/4HANA-konformen, herstellernahen Standard zu überführen. Mit einzelnen ersten Funktionalitäten ist in 2028 auf den APC der Nutzer zu rechnen.
Zudem besteht bereits die Möglichkeit, mit der neuen Lösung den umfassenden Anforderungen der seit 2022 geforderten Kriegstüchtigkeit gerecht zu werden. Die neue ERP Software der Fa SAP kann das Steuerungs- und Koordinierungssystem der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) werden. LV/BV benötigt eine ganzheitliche Digitalisierung, ERP ist das Steuerungsinstrument für die Ressourcen LV/BV, S/4HANA bietet hierfür marktverfügbare Lösungen.
Das neue Anwendungsszenar
Mit dem Beginn des Ukraine-Krieges änderte sich schlagartig das Anwendungsszenario für das ERP-System der Bundeswehr. Die Prozesse und Verfahren aber auch die Anforderungen an die Technologie verändern sich, müssen zwingend kriegstüchtig werden. Die neuen Szenare des Konfliktbildes LV/BV müssen mit Ressourcen hinterlegt, alle und gegebenenfalls neue Prozesse koordiniert und gesteuert werden. Nicht nur in der Vorbereitung im Grundbetrieb sondern auch nach Überschreiten der Ablauflinie. Es werden neue Informationsräume aufgebaut, neue Akteure sind auf dem Spielfeld. Die Bundeswehr braucht Transparenz über ihre Ressourcen im Grundbetrieb, für die Bündnis- und die Landesverteidigung, letztendlich für den Operationsplan Deutschland.
Ein praxisorientiertes, vor allem aber ein integriertes Prozess- und Datenmanagement sind die Instrumente, mit denen Klarheit geschaffen werden kann. Sie bilden das Fundament für eine durchgängige Ressourcenplanung und eine umfassende Auswertbarkeit – von der Behörde zum Einsatzverband und zurück.
Zudem wird die Bundeswehr künftig nicht mehr ausreichend Köpfe und Hände für alle notwendigen Arbeiten zur Verfügung haben. Gerade ein ERP System kann dann in den unterstützenden Prozessen viel Routinearbeiten übernehmen. Zusätzlich steigen mit der Kriegstüchtigkeit die Anforderungen an Resilienz, Sicherheit und Souveränität und beeinflussen zusätzlich das Design des ERP-Systems.
Das ERP- Rückgrat der Landes- und Bündnisverteidigung
Ein zukünftiges ERP-System der Bundeswehr muss zum Fundament der Digitalisierung der Landes- und Bündnisverteidigung werden. So lässt sich die Einsatzbereitschaft von Personal und Material steuern und der Überblick über die Organisation bewahren. Nicht nur für den Friedensbetrieb, sondern auch in Krise und Krieg müssen Personal- und Materialversorgung entsprechend sichergestellt werden. Mit der Ergänzung des Begriffes „Sustainment“ soll zum zum Ausdruck gebracht werden, dass insbesondere auch nach Überschreiten der Ablauflinie, im Gefecht, die materielle und personelle Versorgung zu unterstützen ist. Die Lösung SAP S/4HANA Defense & Security ergänzt hierfür die Standardfunktionen eines SAP-Systems und steht in vielfachen Integrationsbeziehungen zu anderen Komponenten aus dem SAP-Portfolio. Zentrale Einsätze und Übungen können flexibel geplant und durchgeführt werden, begleitende oder nachfolgende Prozesse wie Bestellungen, Instandhaltungsmaßnahmen und Budgetierungen werden in einem militärischen Kontext integriert, Folgeprozesse aufgrund von organisatorischen Änderungen automatisiert angestoßen und durchgeführt.
Mit einer S/4 HANA Lösung kann das Konfliktbild Landes- und Bündnisverteidigung personell und materiell in einzelnen Szenarien abgebildet werden. Mobilmachung, Feldersatz, Drehscheibe Deutschland, ressortübergreifender Heimatschutz sind zu unterstützende End-to-End Prozesse. Mit den dezentralen Lösungen aus dem D&S Portfolio besteht zudem die Möglichkeit. den autarken Betrieb von seegehenden Einheiten, landbasierten Operationen und fliegenden Waffensysteme temporär sicherzustellen.
Der Innovationsplan StartUp ERP
Es wurde bereits letztes Jahr mit der Aufnahme der Anforderungen für LV-/BV begonnen. Im Rahmen einer fachlichen Anforderungsanalyse werden die Prozesse LV-/BV erlernt und Lösungen aus dem erweiterten S/4HANA Portfolio angeboten. Hier müssen intelligente, aber auch überzeugende Lösungen für eine Implementierung in der Innovationsphase gefunden werden.
Der Hauptprozessmanager Organisation unterstützt das Programm SASPF als koordinierender HP mit der Durchführung von notwendigen prozessbezogenen Grundlagenabstimmungen. Ein standardisierter Innovationsplan ist Grundlage für das Vorgehen in sogenannten jährlichen ERP Sprints. Dieser Plan sieht vor, dass die neuen Anforderungen unmittelbar mit den Nutzern ermittelt, mit den betroffenen Hauptprozessen fachlich abgestimmt und prototypisch in einem Demonstrationssystem umgesetzt werden. Die Projektierung erfolgt im Anschluss.
Ziel ist es, gemäß Vorgabe des Abteilungsleiters CIT und Chief Information Officers, möglichst marktverfügbare Produkte einzuführen. Der sogenannte FIT GAP, d.h. die Abweichungen zwischen bestehenden Prozessen, Verfahren und der Standardanwendung, soll primär durch organisatorische Maßnahmen geschlossen werden. Dabei unterstützt ein Entscheidungsbaum die konsequente Einführung von SAP-Best Practise Prozessen und Funktionalitäten, berücksichtigt aber auch Möglichkeiten einer begründeten Anpassung.
Durch die konsequente Nutzung des SAP-Standards wird der Aufwand in der Programmierung, in der Testung und im Betrieb erheblich reduziert, die Releasefähigkeit der Software bleibt erhalten und die Fehleranfälligkeit wird erheblich verringert. Das Zusammenwirken mit der SAP Business Technology Platform und mit SAP Cloud Produkten, die Anwendung von zukünftigen SAP Innovationen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz, der Robotic Process Automation und des Internet of Things wird ebenfalls dadurch sichergestellt.
Voraussetzungen und Risiken
Die erfolgreiche technische Umstellung 2025 ist die Grundlage für die Ausrichtung SASPF auf LV/BV. Die ab 2026 geplante Einführung von Standardfunktionalitäten erfordert jedoch derzeit nicht abschätzbare Rückbau- und Anpassungsmaßnahmen des dann technisch konvertierten SASPF-Systems. Die Maßnahmen zur Einführung von LV/BV Funktionalitäten seitens der verantwortlichen Programme sind entsprechend zu priorisieren. Die langen Planungsphasen im IT-Servicemanagement insbesondere zur Abbildung im Haushalt entsprechen nicht mehr den Innovationszyklen der Digitalisierung und verhindern somit eine zügige Entwicklungsplanung von Beginn bis zur Einführung. Bedauerlicherweise kann aufgrund der Rahmenbedingungen mit den für LV/BV erforderlichen Innovationen erst frühestens in 2028 gerechnet werden.
Mit einer möglichen programmatischen und systemischen Trennung in ein abgesichertes ERP für die resiliente Unterstützung kriegstüchtiger Prozesse und dem Funktionsumfang SASPF für die administrativen Supportprozesse könnte diesen Risiken entgegengewirkt werden. Dann bietet sich die Chance, schnell LV/BV Szenare zu digitalisieren und die Prozesse zu vereinfachen sowie historisch gewachsene Strukturen zu optimieren. Sinnvolles bleibt, Bestehendes wird angepasst, Unnützes entfernt. Dies erfordert eine außergewöhnliche Bereitschaft aller Beteiligten zur Veränderung – inspiriert durch die Digitalisierung. Digitalisierung ist eine Frage der technischen Möglichkeiten, digitale Transformation eine Frage der organisatorischen Veränderung.
Autor Oberst Bernd Zimmermann ist Gruppenleiter Leistungsprozess/Hauptprozess Organisation der Bundeswehr im Streitkräfteamt in Bonn