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Die Bundeswehr als das deutsche Kerninstrument gegen militärische Bedrohungen muss „in allen Bereichen kriegstüchtig sein“. Das geht aus den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien hervor, die Verteidigungsminister Boris Pistorius heute anlässlich der Bundeswehrtagung vorgestellt hat.

Die Richtlinien sollen das Fundament für die künftigen militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr bilden und als Leitplanken für Strukturen, Führungskultur, Personalgewinnung, Ausrüstung und Ausbildung fungieren, wie der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, formuliert. „Auf ihrer Grundlage formen wir ein neues gemeinsames Selbstverständnis von Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit“, so Breuer.

Das Personal und die Ausstattung der Bundeswehr soll auf die Wahrnehmung ihrer fordernden Aufträge ausgerichtet sein, heißt es in dem Papier. Und weiter: „Maßstab hierfür ist jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht. Nur so wird Abschreckung glaubwürdig und Frieden gewährt.“

In den Richtlinien wird an mehreren Stellen hervorgehoben, dass die Landes- und Bündnisverteidigung den Hauptauftrag der deutschen Streitkräfte darstellt. Um diesen Auftrag zu erfüllen, sollen Maßnahmen zur Abschreckung potenzieller Gegner sowohl auf deutschem Hoheitsgebiet als auch im Bündnisgebiet in allen Dimensionen ergriffen werden. Die Bundeswehr soll in der Lage sein, sowohl das Hoheitsgebiet von Bündnispartnern gegen Angriffe zu verteidigen als auch gegen terroristische und hybride Bedrohungen vorzugehen.

„Um der anhaltenden und umfassenden Bedrohung durch die Russische Föderation national und im Bündnis entschlossen zu begegnen, ist es unabdingbar, die NATO als Garant von Abschreckung und Verteidigung weiter zu festigen und gleichermaßen die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (EU) im Rahmen ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu stärken. Dies ist Ausdruck zukunftsfähiger transatlantischer Lastenteilung“, heißt es in dem Papier.

Die Befähigung zur Verteidigung Deutschlands und seiner Verbündeten bedarf laut BMVg der umfassenden militärischen Vorbereitung bereits im Frieden – dies diene der Abschreckung. „Die damit verbundene Neuaufstellung einer Kampftruppenbrigade in Litauen ist das Leuchtturmprojekt der Zeitenwende.“

Es unterstreiche mit dem 3+3-Koordinationsrahmen der drei Rahmen- und der drei Gastgebernationen der alliierten militärischen Präsenz im Baltikum den deutschen Gestaltungsanspruch im Bündnis, indem es sich nahtlos in die NATO-Verteidigungsplanungen einfügte.

Die permanente Stationierung einer Brigade in Litauen sei in der Geschichte der Bundeswehr ohne Präzedenz und ein wichtiges Signal für die gemeinsame Kraft der Allianz, betonen die Autoren des Papiers. „Vornepräsenz wird künftig für die Angehörigen der Bundeswehr die Norm. Diese neue Rolle ist Ausdruck der strategischen Neuorientierung der Bundeswehr.“ In den Richtlinien bekennt sich das BMVg auch zur Teilhabe an „glaubhafter nuklearer Abschreckung“.

Den Autoren der Richtlinien zufolge setzt Deutschland auf ein Konzept der „Gesamtverteidigung“, bei der militärische und zivile Verteidigung zusammenkommen. „Nur so stellen wir auch die gesamtstaatliche Funktion der Drehscheibe Deutschland für unsere Verbündeten und Partner sicher.“ Bedingung für eine erfolgreiche Gesamtverteidigung sei die Verzahnung aller relevanten Akteure bereits im Frieden: Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Ihrer Zusammenarbeit muss nach Meinung der Autoren ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung der Wehrhaftigkeit zugrunde liegen. „Insbesondere Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gesamtstaatlich zu maximieren, muss das gemeinsame Ziel sein.“

Den Richtlinien zufolge werden überdies verbesserte Rahmenbedingungen für eine leistungsfähige Sicherheits- und Verteidigungsindustrie angestrebt. Denn ein Ausbau robuster und gesicherter rüstungsindustrieller Kapazitäten sei ein wichtiges Element zur schnellen, umfassenden und durchhaltefähigen Versorgung der Bundeswehr in Krise und Krieg. Was darunter zu verstehen ist, lässt das Papier jedoch offen. Wie bereits zuvor vom BMVg mehrfach angekündigt, unterstreichen die Leitlinien, dass in Zukunft schneller beschafft werden soll, „wo möglich marktverfügbar, und wo nötig durch Entwicklungslösungen“. Zur Gestaltung der Zeitenwende bedürfe es dauerhaft Ausgaben in Mindesthöhe von zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung, die in die Verteidigung und insbesondere in die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr investiert werden sollen.

Laut den Verteidigungspolitischen Richtlinien sollen überdies die Resilienz und der Schutz verteidigungswichtiger sowie kritischer Infrastruktur ausgebaut werden. Angestrebt wird überdies die Anpassung der Sicherstellungs- und Vorsorgegesetze in ihrer Anwendbarkeit für eine zeitgemäße Landes- und Bündnisverteidigung. Außerdem soll der ressortgemeinsame Wirkverbund im Cyber-, Informations-, wie im Weltraum ausgebaut werden, um zum gesamtstaatlichen Lagebild beizutragen.

Das Papier wirft auch einen Blick auf Deutschlands Verpflichtungen außerhalb der NATO: „Unser verteidigungspolitisches Engagement im östlichen Mittelmeer, im Nahen und Mittleren Osten und auf dem afrikanischen Kontinent dient vorrangig dazu, den transnationalen Terror und Ursachen und Folgewirkungen staatlicher Fragilität zu bekämpfen sowie regionale Stabilität und das friedliche Zusammenleben der Menschen zu befördern“, heißt es. Eine besondere Bedeutung komme dabei dem Existenzrecht Israels zu. „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson.“

Die heute veröffentlichten Verteidigungspolitischen Richtlinien schließen unmittelbar an die Nationale Sicherheitsstrategie an und sollen die strategischen Prioritäten der integrierten Verteidigungspolitik vorgeben.

„Der Krieg ist mit Putins brutalem Angriff gegen die Ukraine nach Europa zurückgekehrt. Damit hat sich die Bedrohungslage verändert. Deutschland muss als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas das Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein. Die ersten Verteidigungspolitischen Richtlinien seit über einer Dekade sind Antwort auf diese neue Realität“, wird Verteidigungsminister Pistorius in einer Mitteilung seines Hauses zitiert. „Mit der Zeitenwende wird Deutschland sicherheitspolitisch erwachsen. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien sind Richtschnur für den notwendigen, tiefgreifenden Mentalitätswandel in der gesamten Sicherheitspolitik“, so der Minister.

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien ersetzen das Weißbuch von 2016 sowie die Konzeption der Bundeswehr von 2018. Die letzten Verteidigungspolitischen Richtlinien wurden 2011 vom ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière erlassen. Als nächster Folgeschritt werden die Vorgaben der Verteidigungspolitischen Richtlinien in ein neues Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und in eine Militärstrategie überführt.

Das gesamte Dokument kann hier runtergeladen werden: Verteidigungspolitische
Richtlinien 2023

Redaktion / lah