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Der Zeitplan bis zur Serienreife des deutsch-französischen Kampfpanzersystems der Zukunft (Main Ground Combat System, MGCS) ist um bis zu zehn Jahre nach hinten verschoben worden.

Wie aus einer gemeinsamen Pressekonferenz des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu hervorgeht, sehen die neuen Planungen vor, dass MGCS in der ersten Hälfte der 40er Jahre serienreif sein solle. Die Pressekonferenz fand am 21. September auf dem französischen Luftwaffenstützpunkt in Évreux statt. Verteidigungsminister Pistorius sagte, dass MGCS in etwa 20 Jahren rollen werde. Lecornu nannte den Zeitraum 2040 bis 2045.

Die ursprünglich vom Verteidigungsministerium kommunizierte Planung für das Großvorhaben sah vor, dass das erste Serienfahrzeug im Jahr 2035 ausgeliefert werden sollte (ES&T berichtete). Damit ergibt sich bereits jetzt, zu Beginn des Projekts, eine Abweichung von bis zu einem Jahrzehnt.

Technische Entwicklung hat noch nicht begonnen

Da es sich bei MGCS um ein völlig neues Kampfpanzersystem handeln soll und nicht einfach um einen verbesserten Leopard 2 oder Leclerc, also die jeweils aktuellen Kampfpanzer der deutschen und französischen Streitkräfte, ist eine Verzögerung im Zeitplan erstmal nicht allzu überraschend.

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MGCS mit exemplarischen Forschungsgebieten am Beispiel eines möglichen Konzepts (Grafik: BMVg)

Solche Projekte, bei denen Technologien zum Einsatz kommen sollen, die entweder noch nicht serienreif sind oder die es noch gar nicht gibt, schaffen es aufgrund ihrer Komplexität selten, die gesteckten Zeitpläne einzuhalten.

Allerdings hat die tatsächliche technische Entwicklung von MGCS noch gar nicht begonnen, obwohl es bereits im Juni 2018 bei einem deutsch-französischen Ministertreffen grundsätzlich beschlossen wurde. Seitdem konnte das Projekt keine Fahrt aufnehmen, was Pistorius und Lecornu nun ändern wollen.

Festlegung gemeinsamer Fähigkeitsforderungen

Vor diesem Hintergrund haben am vergangenen Donnerstag die Inspekteure des deutschen und des französischen Heeres ein High Level Common Operational Requirements Document (HLCORD) unterzeichnet, indem sie die gemeinsam definierten Anforderungen der beiden Streitkräfte an das zukünftige Bodenkampfsystem festgehalten haben.

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Die Inspekteure des deutschen und französischen Heeres, General Alfons Mais (r.) und General Pierre Schill (l.) unterschreiben die gemeinsame Fähigkeitsanforderung an MGCS. Dahinter ihre Verteidigungsminister, Boris Pistorius und Sébastien Lecornue. (Foto: BMVg)

Dazu sagte Pistorius: „Das ist ein ganz wichtiger Schritt, den wir heute machen. Der mag dem ein oder anderen Beobachter draußen nicht so wichtig erscheinen, aber er ist es für das Projekt, weil wir lange, ich will nicht sagen Stillstand hatten, aber lange ein verlangsamtes Tempo.“ Zudem führte der Minister aus: „Diese Fähigkeitsanforderungen sind jetzt so konkret wie sie noch nie waren und so konkret, wie sie sein können, für ein Zukunftsprojekt, das erst in knapp 20 Jahren rollen wird. Und deswegen ist das ein Meilenstein, ein wichtiger, der jetzt im Grunde genommen die kommende Arbeit erst ermöglicht.“

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Definierung einzelner Entwicklungssäulen

Bis Dezember sollen nun die einzelnen technischen Entwicklungssäulen für MGCS definiert werden, um diese dann entweder Deutschland oder Frankreich zuzuordnen. Angestrebt wird eine gleichmäßige Aufteilung der Entwicklungsvorhaben. Die grundsätzliche Leitung hat aber Deutschland inne, während Frankreich diese beim gemeinsamen Projekt zur Entwicklung eines zukünftigen Luftkampfsystems (Future Combat Air System, FCAS) übertragen wurde.

Im kommenden Jahr sollen dann die Verhandlungen mit der Industrie sowie die Vertragsunterzeichnung stattfinden, erläuterte Pistorius. Danach werde man sich auch für weitere Partner öffnen, die sich an MGCS beteiligen wollen. Laut Pistorius haben Italien, die Niederlande und weitere Staaten bereits Interesse bekundet.

Keine Konkurrenz für MGCS

Mit Blick auf die mediale Berichterstattung  über ein mögliches Konkurrenzprojekt zu MGCS (ES&T berichtete), dass im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds (European Defence Fund, EDF) ausgeschrieben wurde und auf das sich derzeit  ein Konsortium unter deutscher Führung ohne Beteiligung französischer Firmen vorbereitet, wiesen beide Minister Gerüchte über ein mögliches Aus von MGCS zurück. Lecornu betonte, dass es sich nur um ein Forschungsprojekt handle, dass lediglich mit 30 Millionen Euro hinterlegt sei, während allein der neue französische Verteidigungshaushalt 500 Millionen für MGCS vorsehe. Zu diesem Geld kämen dann auch noch die deutschen Anteile hinzu, so der französische Minister.

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Mögliche Konfiguration von MGCS-Systemanteilen (Grafik: Nexter)

Pistorius fügte hinzu: „Ich sehe jetzt ehrlich gesagt gar nicht, wo das Problem liegt. Weil es eben keine Konkurrenz ist. Wir sind weiter, wir sind konkreter und ich glaube, dass sich sehr schnell diese Frage dieses anderen Projekts erledigen wird, eben weil es eine Studie ist, zu ersten Überlegungen.“

Symbolische Einigkeit

Bei der Pressekonferenz in Évreux versuchten beide Minister, die einen freundschaftlichen Umgang miteinander pflegen, den Eindruck einer lebendigen und intakten deutsch-französischen Zusammenarbeit zu vermitteln. Nun solle endlich Fahrt aufgenommen werden, bei diesem so prestigeträchtigen Projekt, bei dem bisher vor allem die Uneinigkeit im Vordergrund stand, ähnlich wie bei FCAS. Vor allem die Konkurrenz der Unternehmen stand im Fokus. Auf der einen Seite das deutsche Unternehmen Kraus-Maffei Wegmann sowie das französische Unternehmen Nexter, die sich in einer gemeinsamen Holding unter dem Namen KNDS zusammengeschlossen haben. Auf der anderen Seite Rheinmetall. Ein Streitpunkt ist hier zum Beispiel die Wahl der Kanone. Während Rheinmetall seine 130mm-Kanone anbietet, würde Nexter gerne seine 140mm-Kanone in MGCS verbaut sehen (ES&T berichtete).

Vor diesem Hintergrund haben beide Verteidigungsminister betont, dass es die Staaten seien, die das Projekt MGCS voranbringen und zugleich auch die Kunden seien. Daher müsse sich die Industrie dem politischen Willen unterordnen, so die Botschaft. Offenbar soll ein offen ausgetragener Streit, wie es bei FCAS zwischen dem französischen Unternehmen Dassault und dem deutsch-französisch-spanischen Unternehmen Airbus der Fall war, verhindert werden, indem es von Anfang an klare Ansagen aus der Politik gibt. Inwieweit dies funktioniert, bleibt abzuwarten. Das nächste Treffen zwischen Lecornu und Pistorius ist bereits für Oktober in Berlin geplant.

Redaktion / oh