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Die Sommerpause für die EU-Verteidigungs- und -Außenminister ist beendet. Schon am Dienstagabend, den 29. August, eröffnete ein von der Stadt Toledo gegebenes Abendessen das informelle Treffen der Verteidigungsminister. Davor revidierten die Minister, die zum Verwaltungsrat des EU-Satellitenzentrums (Satellite Center – SatCen) gehören, „politische Leitlinien zur Rolle des Zentrums angesichts der neuen Herausforderungen für die internationale Sicherheit“. Am Mittwoch, 30. August, befasst sich der Rat mit der militärischen Unterstützung der EU für die Ukraine. Ebenso sollen die regionalen und globalen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine erörtert werden. Traditionell gehören aktuelle Themen zur Tagesordnung. Hier mag die Entwicklung im Sahel infolge des Militärputsches im Niger, nun auch durch die Ereignisse in Gabun befeuert, breiten Raum einnehmen.

Unterstützung für die Ukraine: Mehr und schneller

Geht es nach dem Hohen Vertreter der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, sollte die Unterstützung der Ukraine dahingehend formalisiert werden, in den nächsten vier Jahren jeweils bis zu fünf Milliarden Euro für den Verteidigungsbedarf Kiews bereitzustellen. Josep Borrell wirbt für die Planbarkeit der finanziellen Unterstützung für die Ukraine und sieht darin Vorteile für beide Seiten. Dabei sind die insgesamt 20 Milliarden Euro, die im Zeitraum 2024-2027 aus der Europäischen Friedensfazilität generiert werden sollen, eine eher politisch definierte Obergrenze als eine aufgabenbezogene Ableitung. Die Europäische Friedensfazilität, ein 2021 für den Zeitraum von sieben Jahren (2021-2027) außerhalb des EU-Haushalts eingerichteter Fonds, war bei seiner Einrichtung mit insgesamt 5,69 Milliarden Euro ausgestattet. In zwei zusätzlichen Tranchen, zuletzt Ende Juni 2023, wurde sie auf insgesamt 12,07 Milliarden Euro erhöht.

Diese Erörterung wird das am Abend des 29. August verkündete 54. Unterstützungspaket der USA in Höhe von 250 Millionen US-Dollar zu berücksichtigen haben, womit Washington seine militärischen Unterstützungsleistungen auf insgesamt 43,7 Milliarden US-Dollar (40,16 Milliarden Euro) schraubt.

Vergleiche zu den beiderseits des Atlantiks vorgenommenen Unterstützungsleistungen sind schwierig, da Angaben aus der EU und den USA nicht kongruent sind. Laut der Internetseite der EU-Delegation in der Ukraine haben die EU, die Mitgliedstaaten und die europäischen Finanzinstitutionen seit Beginn des russischen Angriffskriegs rund 59 Milliarden Euro an finanzieller, humanitärer, haushaltspolitischer und militärischer Unterstützung für die Ukraine bereitgestellt. Zusammen mit den Mitteln, die den Mitgliedstaaten zur Deckung des Bedarfs der vor dem Krieg in die EU geflohenen Ukrainer zur Verfügung gestellt werden, beläuft sich die Gesamtunterstützung für die Ukraine und die ukrainische Bevölkerung auf über 76 Milliarden Euro.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft IFW bemisst zum Stichtag 31. Mai 2023 die Leistungen der USA auf 70,7 Milliarden Euro, die der EU-Institutionen und -Mitgliedsstaaten auf 68,4 Milliarden Euro.

„Wieder-Aufbaufonds“

Als Ergebnis intensiver Konsultationen mit den Mitgliedsstaaten stellte die Kommission am 20. Juni eine Novellierung des mehrjährigen Finanzrahmens vor. Berlaymont beabsichtig dabei auch die Einrichtung einer neuen ‚Ukraine-Fazilität‘, ausgestattet mit 50 Milliarden Euro bis 2027 für die Kräftigung, den Wiederaufbau und die Modernisierung (recovery, reconstruction, modernisation) des Landes. Diese Zuteilung in Form von Darlehen und Zuschüssen soll die bestehende Unterstützung ersetzen, die der Ukraine im Rahmen des Makrofinanzhilfe-Plus-Programms (MFA+) gewährt wird. Ende März 2023 schätzte der Internationale Währungsfonds die staatliche Finanzierungslücke zur Unterstützung der wirtschaftlichen Stabilität und Erholung bei gleichzeitiger Verbesserung der Regierungsführung und Stärkung der Institutionen im Kontext des Wiederaufbaus bis 2027 auf 75,1 Milliarden Euro.

Neben den finanziellen Fragen werden sich die Verteidigungsminister mit anderen operationellen Punkten zu beschäftigen haben. Darunter fällt die Rolle der militärischen EU-Ausbildungsmission für die Ukraine (EU Military Assistance Mission in support of Ukraine, EUMAM). Nach in Brüssel kursierenden Informationen wurden mittlerweile etwa 25.000 ukrainische Soldaten ausgebildet. Womit das vorgenommene Ziel erreichbar scheint. Mit der im Dezember 2022 aufgelegten Mission sollten 30.000 Soldaten bis Dezember 2024 ausgebildet werden. Angesichts des guten Fortschritts schlägt Josep Borrell vor, das Ziel auf 40.000 ausgebildete ukrainische Soldaten zu erhöhen. Ginge es nach ihm, könnte auch die Ausbildung der F-16-Piloten in EUMAM integriert werden. „Más y más Rápido“ – mehr Unterstützung und schneller ist seine Formel.

Vorgesehen war die Teilnahme des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg bei den Sitzungsanteilen mit Ukrainebezug. Sollte es so kommen, hätte er Gelegenheit, der Bestandsaufnahme des Plans zur Lieferung von Munition an die Ukraine und zur Wiederbefüllung der europäischen Munitionsdepots beizuwohnen. In diesem Zusammenhang gab der Hohe Vertreter in der abschließenden Pressekonferenz am Mittwochabend bekannt, dass die Mitgliedsstaaten bisher 224.000 Artilleriegeschosse und 2.300 Flugkörper geliefert hätten. Zur Halbzeit der vorgenommenen Frist traf demnach nur ein Viertel der angekündigten Munition in der Ukraine an.

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EU-Missionen in Afrika

Die Erörterungen zur Lage in Afrika werden durch die neuerlichen Entwicklungen in Libreville, der Hauptstadt des westafrikanischen Gabuns, einen neuen Impetus erhalten. Gerade zündete man am Schuman-Platz eine Mission mit einer bisher ungewohnten Aufstellung. Die ‚Sicherheits- und Verteidigungsinitiative der Europäischen Union zur Unterstützung der westafrikanischen Staaten im Golf von Guinea‘ (Ratsbeschluss GASP 2023/1599 ) besteht aus einer militärischen und einer zivilen Komponente. Zu ihren weiteren Auffälligkeiten gehört, dass sie regionaler Natur ist und als ein Angebot daherkommt. Sie soll den Küstenstaaten des Golfs von Guinea ein konkretes Engagement und gezielte Ausbildungs- und Unterstützungsmaßnahmen ermöglichen. Ursprünglich sollten in der Initiative Benin, Elfenbeinküste, Ghana und Togo Berücksichtigung finden. Letztendlich kamen Einladungen aus Benin und Ghana zustande (Einladungsschreiben datiert 6. Juli bzw. 10. Juli 2023). Die Initiative soll im Oktober anlaufen – eventuell im Zusammenhang mit dem für den 23. Oktober terminierten Rat für Auswärtige Angelegenheiten.

Die Zuspitzung in Gabun unterstreicht einmal mehr, dass der Kontext europäischen Engagements in Afrika, speziell im Sahel schwerer wird. Wie nun in Libreville haben in Ouagadougou, Bamako und Niamey Militärjuntas das Sagen. Borrell kündigte ein ‚autonomes‘ Sanktionsregime an, um gegen die Putschisten vorzugehen. Die diesbezüglichen Arbeiten seien bereits aufgenommen worden.

Für die EU hat ein Fußabdruck am Golf von Guinea Bedeutung. Er ist nicht nur ein besonderer Transitkorridor. 4,5 Prozent der weltweiten Öl- und ca 3 Prozent der Gasressourcen werden dort verortet. Neben illegaler Fischerei und Piraterie erschweren Drogenschmuggel die Sicherheitslage. Über den Golf von Guinea hinaus ist es für die Europäer wichtig, in den Ländern Westafrikas präsent zu bleiben. Die bisherigen Missionen (u.a. die koordinierte maritime Präsenz im Jahr 2021, EUCAP Sahel Mali, EUCAP Sahel Niger) konnten ihre Wirkung nicht voll entfalten. Die Trainingsmission in der Zentralafrikanischen Republik wird im September 2024 beendet. Die Präsenz ist kein Selbstzweck. Es gilt, dem Einfluss anderer entgegenzuwirken. China, die Türkei und Russland buhlen um Einfluss. Auch paramilitärische Organisationen wie Wagner mischen mit.

Das Zustandebringen einer EU-Mission in Afrika bietet der spanischen Ratspräsidentschaft Gelegenheit zu demonstrieren, dass sich ihr Engagement nicht nur auf Lateinamerika beschränkt, sondern die südliche Nachbarschaft einbezieht.

Toledo

Insofern haben sich die EU-Verteidigungsminister eine Menge vorgenommen. Am Folgetag, 31. August, werden die Außenminister darauf aufbauen. Der Rat für Auswärtige Angelegenheiten tagt wie die Verteidigungsminister informell. Diese Art der Ministertagungen wird einberufen, um über Initiativen zu einem bestimmten Themenbereich ohne Beschlussfassung zu beraten. Die informellen Tagungen der Außenminister werden als auch Gymnich-Treffen bezeichnet.

Toledo ist nicht von ungefähr von der spanischen Ratspräsidentschaft zum Tagungsort erkoren worden. Es ist nicht nur Sitz des Satellitenzentrums der EU. Dort findet auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten statt. Madrid hat sich vorgenommen, im Jahr 2023 insgesamt 3.000 Soldaten auszubilden. Davon finden 80 Prozent an der 1850 gegründeten ‚Academia de Infantería‘ einen Ausbildungsplatz.

Hans Uwe Mergener