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„Die Bundeswehr hat von allem zu wenig und sie hat seit dem 24. Februar 2022 noch weniger.“ Mit diesen Worten hat die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högel (SPD), heute ihren Jahresbericht 2022 in der Bundespressekonferenz zusammengefasst.

Nach wie vor gebe es in der Bundeswehr große Mängel in den Bereichen Material, Personal und Infrastruktur, so die Wehrbeauftragte. In einzelnen Teilbereichen sieht Högel leichte Verbesserungen, wie zum Beispiel im Bereich der Beschaffung mit der Anhebung der Direktvergaben von 1.000 auf 5.000 Euro oder der Verabschiedung des Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes. Davon abgesehen habe sich aber wenig bewegt, um die seit Jahren bekannten Mängel zu beheben.

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Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högel (SPD) (Foto: DBT / Neumann)

Material

Bezüglich der materiellen Lage fordert Högel den Mangel schleunigst durch die Beschaffung von neuer Ausrüstung abzustellen. Im Bericht wird der materielle Mangel auf 300 Milliarden Euro beziffert, also dem dreifachen des derzeitigen Sondervermögens für die Bundeswehr. Darüber hinaus müsste aber auch das Beschaffungswesen weiter verschlankt und optimiert werden, um schnellere Vertragsabschlüsse mit der Industrie zu erreichen. Hierzu sieht Högel drei mögliche Stellschrauben:

Erstens die weitere Vereinfachung der Rechtsvorschriften, die dem Beschaffungswesen zu Grunde liegen. Zweitens eine Straffung der Abläufe, Verfahren und Prozesse, in die weiterhin zu viele Stellen involviert seien. Als dritten Punkt nannte die Wehrbeauftragte die Verantwortung des in den Beschaffungsprozess involvierten Personals, jeden Tag die notwendigen Abläufe mit Mut und Entscheidungsfreude zügig voranzutreiben.

Infrastruktur

„Unsere Kasernen sind Land auf Land ab in einem erbärmlichen Zustand“, sagte Högel auf der Pressekonferenz und beschreibt damit den Zustand der Bundeswehr-Infrastruktur. Es fehle an Unterkünften, funktionierenden und sauberen Sanitäranlagen, Sportanlagen, Truppenküchen, Betreuungseinrichtungen und Waffenkammern, zählte die Wehrbeauftragte auf. Derzeit würde die Bundeswehr nicht einmal über ausreichend Munitionslager verfügen, um die notwendigen Mengen an Munition ordnungsgemäß einzulagern, die man der NATO versprochen habe. Aber auch etwas so scheinbar Simples wie W-LAN-Verbindungen in den Kasernen seien weiterhin eine große Baustelle. Insgesamt belaufe sich der Investitionsbedarf für die Infrastruktur auf 50 Milliarden Euro. Hier sei aber nicht die Finanzierung das vorrangige Problem, sondern die Bearbeitung der Bedarfe durch die Bauverwaltung, so Högel. Diese habe akuten Personalmangel und da die Verwaltungen der jeweiligen Bundesländer für die Infrastruktur der Bundeswehr verantwortlich sind, würden die Bauvorhaben der Streitkräfte auch nicht höchste Priorität genießen. Das Geld käme zwar vom Bund, die knappen Personalressourcen würden aber vorrangig auf Projekte wie Schulen, die Polizei oder die Feuerwehr verwendet.

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Personal

Zum Stichtag 31. Dezember 2022 waren von 117.987 militärischen Dienstposten oberhalb der Laufbahn der Mannschaften 18.692 unbesetzt. Das entspricht 15,8 Prozent, wie aus dem Jahresbericht hervorgeht. Vor dem Hintergrund, dass die Zielmarke für das Jahr 2031 einen Personalumfang von 203.000 Soldaten vorsieht, sei im Bereich der Personalgewinnung noch einiges zu tun. Högel mahnte aber gleichzeitig an, bei der Werbung für die Streitkräfte keine falschen Erwartungen bei den jungen Menschen zu wecken. Die Bundeswehr sei eben kein Arbeitgeber wie jeder andere, was insbesondere seit dem Beginn des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine auch nochmal allen bereits in der Truppe Dienenden deutlich geworden sei.

Neben diesen seit langem bekannten Missständen in der Bundeswehr führt der Bericht der Wehrbeauftragten auch die aktuellen Zahlen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst auf. Demnach wurden im vergangenen Jahr 241 neue Verdachtsfälle registriert, sprich Personen, bei denen vermutet wird, dass diese nicht auf dem Boden des Grundgesetztes stehen. Dabei kamen 195 aus dem Bereich Rechtsextremismus, 19 aus dem Bereich Islamismus, elf wurden den Reichsbürgern bzw. Selbstverwaltern zugeordnet, sechs dem linksextremen Spektrum, neun dem Ausländerextremismus und eine Person der Sekte Scientology.

Darüber hinaus enthält der Bericht der Wehrbeauftragten viele konkrete Vorfälle aus der Truppe, die die aufgelisteten Mängel in der Praxis veranschaulichen. So gibt es Berichte über die Hürden der Bürokratie, das Fehlverhalten von Vorgesetzten oder verfassungsfeindliche Handlungen Einzelner. Aber auch Ereignisse, in denen Soldaten der Bundeswehr vorbildlich in Erscheinung getreten sind, zum Beispiel als Ersthelfer an Unfallorten, werden gelistet.

Mit Spannung kann der nächste Bericht der Wehrbeauftragten erwartet werden. Denn dieser wird zeigen, ob die angekündigte Zeitenwende im Laufe dieses Jahres tatsächlich in der Truppe ankommt oder ob sich der Jahresbericht 2023 genauso ließt wie seine Vorgänger.

Redaktion / oh