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Die Werft German Naval Yards Kiel hat die gerade in Hamburg zu Ende gegangene Messe SMM 2022 zur Vorstellung eines neuen Korvetten-Designs genutzt. Bei der neuen „Seaguard 96“ handele es sich um eine „innovative High-End-Korvette, die in der Lage ist, das gesamte Spektrum an Marineoperationen durchzuführen“, heißt es in der Pressemitteilung des Unternehmens. Das bei einer Länge von 96 Metern 13,5 Meter breite Schiff soll auf eine Verdrängung von rund 2.000 Tonnen kommen. Die Auslegung der Antriebsanlage (zwei Antriebsdiesel, vier Dieselgeneratoren und Verstellpropeller) ermöglicht den Angaben zufolge eine Höchstgeschwindigkeit von 28 Knoten und bei 15 Knoten eine Reichweite von 3.800 Seemeilen. Die maximale Seeausdauer soll bei 18 Tagen liegen. Es bestehe eine Unterbringungskapazität für 60 Personen. Das Flugdeck und der Hangar bieten Aufnahmemöglichkeit für einen Helikopter aus der Klasse NH 90 (11 Tonnen).

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Modell einer auf der SMM 2022 ausgestellten Seaguard 96. Hier zu erkennen: Die Positionierung des Vertical Launch Starters zwischen Turm und Decksaufbau, Foto: hum

Nichts ist unmöglich

Die Waffenausstattung der Korvette kann aus einem 76-mm- oder 57-mm-Turm auf dem Vorschiff bestehen. Er wird achtern durch zwei fernbedienbare 30-mm-Geschütze auf beiden Seiten des Hangars ergänzt. Acht Seezielflugkörper können achterlich des Mastes eingerüstet werden. Der Entwurf sieht darüber hinaus 16 Senkrechtstartsilos für Flugabwehrflugkörper vor (siehe Fotos des Modells). Optional können auch die zur U-Boot-Jagd erforderlichen Sensoren und Effektoren eingerüstet werden. Hierbei sieht German Naval Yards Kiel ein im Rumpf montiertes Sonar (hull mounted sonar) und zwei Dreifach-Torpedowerfer vor. Täuschkörpersysteme, Systeme für elektronische Gegenmaßnahmen und kleinkalibrige Waffenstationen ergänzen die waffentechnischen Möglichkeiten.

Die potenzielle Sensorausstattung orientiert sich laut Werft am vom Kunden vorgegebenen Einsatzprofil und schließt die in dieser Größenordnung denkbaren Optionen ein: 3D- oder 4D-Radar, elektro-optische als auch radargesteuerte Erkennung und Feuerleitung.

Ohnehin zielt der Entwurf auf hohe Modularität ab. Die letztendliche Konfiguration soll sich an Kundenwünschen orientieren. Auch in der Konstruktion. So bewerben die Kieler ganz gezielt den weitgehenden Bau in den Empfängerländern. Lediglich die Module Brücke und Maschinenraum sollen der Herstellung in Deutschland vorbehalten bleiben.

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Seaguard 96 – Blick auf das Mitteldeck. Illustration: German Naval Yards Kiel

Beistand von der Cousine

Das Gesamtdesign der Seaguard 96 – insbesondere der Rumpf – tragen die Handschrift des französischen Unternehmens Constructions Mécaniques de Normandie (CMN). Die in Cherbourg ansässige Werft stellte 2014 die markante „C Sword 90“ vor, einen Entwurf, der sich mit einem umgekehrten Vorsteven – oder invertiertem Bug (‚inverted bow‘) – und einem runden, bilgenförmigen Rumpf vom traditionellen Design eines Tarnkappenschiffes abhob.

Der Blaupause von CMN folgt die Seaguard 96 nicht in allen Details. Die Tarnkappenelemente der Oberflächenstrukturen wurden nicht so auffällig umgesetzt wie im Vorbild. Die bei C Sword 90 prägnante achtere Decksinsel weicht bei der Seaguard 96 einem eher konventionell daherkommenden Hangar. Aus dem ‚inverted bow‘ wurde ein ‚axe bow‘. Diese schmale, die Wellen mehr zerschneidende als teilende Bugform, reduziert den Auftrieb und verhindert, dass der Bug auf den Wellen aufschwimmt. Reduziert wird dadurch das bei Seegang typische Stampfen, was dem Schiff ein anderes Seegangverhalten verleiht. Mit der maximalen Ausnutzung der Wasserlinie (wenn auch weniger als beim ‚inverted bow‘) können schiffbaulich höhere Rumpfgeschwindigkeiten erreicht werden.

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Artist Impression einer Seaguard 96 ‚in action‘. Illustration: German Naval Yards Kiel.

German Naval Yards Kiel weiterer Blick

Die Constructions Mécaniques de Normandie ist ein Schiffbauunternehmen, das Kriegsschiffe und Yachten liefert. Ursprünglich in Cherbourg ansässig, befindet sich die Firmenleitung nun in Paris. CMN verfügt über Ableger in Newcastle und North Shields im Vereinigten Königreich. Seit 1992 befindet sich das Unternehmen (anfangs über die Holding Abu Dhabi MAR) im Besitz der Privinvest, der Holding des libanesisch-französischen Unternehmers und Investors Iskandar Safa.

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Die SeaGuard 96 von vorn, Graphik: GNYK

German Naval Yards Kiel entstand aus dem Überwasserschiffbau der Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH (HDW). Zur Werftinfrastruktur gehört das nach Firmenangaben mit 426 Metern größte Trockendock im Ostseeraum sowie ein 900-Tonnen-Portalkran. Die Kieler sind seit 2011 Bestandteil der Gruppe um Privinvest. Sie verstehen sich als Teil einer europäischen Schiffbaugruppe, zu der neben CMN auch das auf integrierte logistische Lösungen spezialisierte Unternehmen ISHERWOODS in Großbritannien gehören.

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Modell einer auf der SMM 2022 ausgestellten Seaguard 96 – Ansicht von achtern. Foto: hum

Ukraine und Europa

Vor dem Hintergrund der von Bundeskanzler Olaf Scholz am 29. August in Prag angemahnten Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte sieht German Naval Yards Kiel in seinem Entwurf einen möglichen und substanziellen Beitrag für den Wiederaufbau der ukrainischen Seestreitkräfte. Gerade in der Modularität und der freien Architektur für die Einrüstung von Sensor- und Waffensystemen liegen Vorteile. Zumal der mit 3,5 Metern relativ geringe Tiefgang des Schiffes dem Einsatzgebiet, das auch das Asowsche Meer als Einsatzraum berücksichtigen muss, entgegenkommt.

Rüstungspolitisch sieht sich German Naval Yards Kiel durch die Bündelung der französisch-deutschen Fähigkeiten gut aufgestellt. Umso mehr, sollte die von Bundeskanzler Olaf Scholz in Prag unterstrichene Notwendigkeit zur Harmonisierung europäischer Rüstungsbemühungen Realität werden. Nach hier vorliegenden Informationen hat das Management der Kieler Werft dazu  bereits in Berlin vorgesprochen.

Mit der Seaguard 96 scheint German Naval Yards Kiel einen Startversuch zu unternehmen, um die eigene Position bei den festgefahrenen Versuchen zu einer Konsolidierung der deutschen Marineschiffbauer zu stärken. Rückendeckung kommt dabei vom Chef. Iskandar Safa sprach sich Anfang Juni 2022 in einem Interview mit einem französischen Fachmagazin für die Konsolidierung der deutschen Industrie aus (ESuT berichtete). In diesem Kontext ist Seaguard 96 mehr als nur ein Alleingang der Kieler Werft.

Hans Uwe Mergener