Print Friendly, PDF & Email

Das sicherheitspolitische Memorandum der Expertentagung von Himmerod aus dem Jahr 1950 bietet Stoff zum Nachdenken.

Während in den 1920er Jahren viele Wege aus der Weimarer Republik herauswiesen, führten sie ein Vierteljahrhundert später in die junge Bundesrepublik. Diese Beobachtung des Zeithistorikers Ulrich Herbert gilt für die Genese des westdeutschen Wehrbeitrags und auch für die Expertenrunde, die sich vor 70 Jahren im Eifelkloster Himmerod zusammenfand, um am 9. Oktober 1950 eine umfangreiche Denkschrift „über die Aufstellung eines Deutschen Kontingents im Rahmen einer supranationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas“ vorzulegen. Die strikte Geheimhaltung, die über alledem lag, mochte manchen der Beteiligten an die Umtriebe der „Schwarzen Reichswehr“ erinnern, aber durch die totale Niederlage des Deutschen Reichs, den heraufziehenden Kalten Krieg und die damals eben vollzogene deutsche Teilung hatten sich die Vorzeichen grundlegend verändert. Die Himmerod-Tagung war „geheim, aber offiziell“ (Keßelring/Loch); sie fand im Auftrag des Bundeskanzlers, unter Billigung der Westalliierten und in Kenntnis einiger sozialdemokratischer Oppositionspolitiker statt. Ob die Denkschrift nun als „Magna Charta“ der Streitkräftegründung gelten kann, oder ob anderen zeitgenössischen Memoranden dieser Rang gebührt, ist vielleicht von sekundärer Bedeutung. Bemerkenswert bleibt hingegen zweierlei.

Am Vorabend der Gründung des Amts Blank fand sich in Himmerod eine ausgesuchte und legitimierte Expertenrunde zusammen, deren Mitglieder den weiteren Gang der „Wiederbewaffnung“ zum Teil an entscheidender Stelle begleiten und prägen sollten. Dazu gehörten die späteren Bundeswehrgeneräle Speidel, Heusinger, Röttiger, Graf Kielmannsegg und Graf Baudissin. In vielem knüpfte die Denkschrift an ältere Vorlagen an, doch kam nun die gesamte Problematik der militärischen Lage und der operativen Herausforderungen, der politisch-militärischen Beziehungen, der Aufstellungsbedingungen, der Ausbildung und des Inneren Gefüges auf den Tisch. Und genau hier liegt die überdauernde Bedeutung und Aktualität dieses Dokuments aus der Frühzeit der Bundeswehrgründung. Denn die Denkschrift dokumentierte nicht allein den militärpolitischen Ideenhaushalt der Zeit, sie ließ die Grundhaltung einer vernunftrepublikanisch bekehrten Gründergeneration erkennen, und sie bot einen Vorschein auf die Spannungsbögen, Konflikte und Kompromisse, mit denen der Aufbau und die weitere Entwicklung der Bundeswehr zu rechnen hatte.

Blick auf das Kloster Himmerod in der Eifel, wo vom 5. bis 9. Oktober 1950 die Klausurtagung stattfand, deren Ergebnis die Himmeroder Denkschrift war (Foto: mawibo media)

Warum konnte sich diese Gruppe um die ehemaligen Wehrmachtgeneräle Speidel und Heusinger gegenüber konkurrierenden und rivalisierenden Ratgebern durchsetzen? Diese Experten, so lautet die nüchterne realpolitische Antwort, boten dem Bundeskanzler das attraktivste Angebot für die kommenden Verhandlungen über die Ausgestaltung des Wehrbeitrags. Kunstvoll verknüpfte das Memorandum die tragenden Elemente der deutschen Verhandlungsposition gegenüber den Westmächten: das Junktim zwischen Souveränitätsgewinn, militärischer Gleichberechtigung, westlichen Sicherheitsgarantien, Bündnisintegration, Vorne- bzw. Vorwärtsverteidigung und politischem Machtzuwachs.

Print Friendly, PDF & Email