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Landläufig heißt es, eine Generation im gesellschaftlichen Sinn dauert rund 30 Jahre.
Die Vereinigung der beiden Staaten in Deutschland ist – so gesehen – eine Generation her.

Ist das, was 1990 zusammengefügt wurde, auch wirklich zusammengewachsen?

Für die Bundeswehr lässt sich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. Erstaunlich schnell haben sich seinerzeit die Soldaten, die von der Bundeswehr übernommen wurden, in das System eingefügt. Erstaunlich schnell und auch ohne große erkennbare Friktionen haben sich die, die nicht übernommen worden sind, mit ihrem Schicksal abgefunden. Heute spielt es kaum noch eine Rolle, ob ein Soldat oder eine Soldatin aus den
(nicht mehr) neuen Bundesländern kommt.

1990 war ein Aufbruch in die Freiheit, die Freiheit eines demokratischen Staates mit einer großen Meinungsfreiheit, mit Reisefreiheit, mit Rechtsstaatlichkeit. Dafür sind die Menschen in der damaligen DDR auf die Straße gegangen. Das waren Werte, für die Menschen damals eingestanden sind. Sie hätten ihr Leben dafür riskiert. Sie mussten es nicht, weil in Moskau, dann auch in Ostberlin kein Verantwortlicher bereit war, Gewalt einzusetzen. Ob ein solcher Befehl befolgt worden wäre, ist sicher auch ungewiss.

In den 30 Jahren gab es auch viele Probleme, keine Frage. Aber eines steht nicht zur Debatte: Die Freiheiten, für die die Menschen 1989 auf die ostdeutschen Straßen gegangen sind, gelten unverändert. Dass diejenigen, die mit den aktuellen Zuständen unzufrieden sind, auch das in Frage stellen, scheint unverständlich. Die Sehnsucht nach einem staatlich durchorganisierten und geordneten Leben geht mit dieser Freiheit nicht zusammen.

Nun wurde schon 1990 gesagt, dass es mindestens zwei Generationen dauert, bis sich die Menschen mit ihren Erfahrungen und den Lebensweisen angeglichen haben. Davon haben wir bisher nur die Hälfte durchschritten. Vielleicht ist die Zeit auch schnelllebiger geworden als wir alle 1990 gedacht haben. Manches, was wir heute erleben, lässt den Schluss zu, dass dieses freiheitliche Staatswesen nicht mehr überall die Anziehungskraft hat, die wünschenswert wäre. Wenn gegen die Pflicht, in bestimmten Bereichen unseres Lebens aus Gründen der Gesundheitsvorsorge Masken zu tragen, mit „Putin, Putin“-Rufen demonstriert wird, verhöhnt das unseren Staat. Bei Putin dürften die Menschen nicht demonstrieren, aber sie dürften auch nicht reisen und schon gar nicht ihre Meinung frei äußern. Sie könnten nicht den Lebensstandard haben, den selbst die Schwächsten unserer Gesellschaft erleben. Gleichzeitig demonstrieren in Minsk zahllose Menschen unter Einsatz ihrer Unversehrtheit gegen ein unfreies Regime, das eben dieser Putin massiv unterstützt und am Leben hält.

Wenn man dann mit Flaggen aus dem Deutschen Reich den Bundestag zu stürmen
versucht, greift das noch weiter zurück, in die braune Diktatur in Deutschland.
Diejenigen, die sich so verhalten, haben wahrscheinlich das Leben in einer unfreien
Welt nie selbst erlebt.

Es ist unser aller Aufgabe, das Wissen aus dieser Zeit weiter zu vermitteln. Die innere Ordnung dieses Staates ist ein so hohes Gut, das es zu bewahren und zu erhalten gilt.
30 Jahre nach Überwindung der letzten Diktatur in Deutschland verherrlichen ausgerechnet Staatsdiener in Polizeiuniform die Größen des Dritten Reichs, montieren Bilder, die zeigen, wie mit den damaligen Vernichtungsmethoden nun gegen Flüchtlinge vorgegangen werden soll. Und auch bei der Bundeswehr gibt es Staatsbürger in Uniform, die Hitlers Geburtstag feiern.

Man kann nur den Kopf schütteln, wenn Bundesinnenminister Seehofer es ablehnt, mögliche rechte Nester in der Polizei zu untersuchen und ausfindig zu machen. Der Kampf gegen rechts, den die Bundeswehr aufgenommen hat, muss die Polizei mitführen. Polizisten wollen dies, der Minister blockiert. Bei der Bundeswehr ist auch noch mehr Einsatz nötig.

Nur ein Beispiel: In allen Vorschriften steht, dass politische Bildung ein
wesentlicher Unterrichtsgegenstand sein muss. Seit Jahren wird dies in den meisten
Verbänden vernachlässigt. Bildung ist ein Mittel, das gegen Radikalismen immun macht.
Wir sollten den 30. Jahrestag des Endes der DDR als Verpflichtung nehmen, unseren demokratischen Rechtsstaat mit seinen elementaren Freiheiten neu zu begründen und gegen alle Gegner zu verteidigen.

Rolf Clement