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Wir halten unser Versprechen gegenüber den NATO-Verbündeten und erhöhen den Verteidigungshaushalt Jahr um Jahr. Auch 2031 sollen zehn Prozent aller notwendigen Fähigkeiten der NATO von Deutschland gestellt werden. Dafür brauchen wir ein Verteidigungsbudget in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. (Verteidigungsministerin A. Kramp-Karrenbauer auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020)

Zukünftig wird demnach zunehmend mehr Geld für den Verteidigungshaushalt zur Verfügung stehen, um den immer größer werdenden, volatileren und komplexeren sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen Deutschlands gerecht werden zu können.

Die Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit funktionaler und bestmöglicher Ausrüstung sowie die Funktionsfähigkeit Kritischer Infrastrukturen muss dabei zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Für das Verteidigungsressort stehen für das Jahr 2020 44,9 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben zur Verfügung.

Um eine bestmögliche Versorgung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mit Ausrüstung für die Erfüllung ihrer sich stetig erweiternden sicherheits- und verteidigungspolitischen Aufgaben sicherstellen und sämtlichen Infrastrukturanforderungen in diesem Zusammenhang gerecht werden zu können, bedarf es neben einer entsprechenden finanziellen Ausstattung der Streitkräfte auch einer nationalen, innovativen, leistungs- und wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Der eigenen nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kommt in diesem Zusammenhang sowohl unter sicherheits- und verteidigungspolitischen als auch unter technologie- und industriepolitischen Aspekten eine strategische Bedeutung zu. Dem verleiht unter anderem auch das jüngst am 12. Februar 2020 vom Bundeskabinett beschlossene „Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ Ausdruck.

Im Verteidigungssektor ist die Bundesrepublik Deutschland als öffentlicher Auftraggeber zentraler Nachfrager für Rüstungsgüter, Dienstleistungen sowie Forschungs- und Entwicklungsleistungen. Beide Seiten haben damit ein Interesse an der Fortschreibung des Optimierungsprozesses des Beschaffungswesens im Sicherheits- und Verteidigungssektor, insbesondere dann, wenn sich aufgrund erhöhter Haushaltsmittel auch die Volumina der Rüstungsverträge vervielfachen werden. Insoweit stehen Auftraggeber und Auftragnehmer vor einer gemeinsamen Herausforderung: Einerseits den gestiegenen regulatorischen Anforderungen in komplexen Beschaffungsvorgängen Rechnung zu tragen und andererseits den Durchsatz an Verträgen zu erhöhen.

Einen großen Schritt haben die Vertreter des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) zusammen mit den Vertretern des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V. (BDSV) auf dem Weg zur Optimierung des Beschaffungswesens nunmehr zurückgelegt. Über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren (2018/2019) haben die beiderseitigen Vertreter auf hohem fachlichen Niveau ein neues Vertragswerk (BAAINBw-Beschaffungsvertrag) für Beschaffungen im großen Bereich der zwischen 428.000 Euro bis unterhalb von 25 Millionen Euro erörtert, diskutiert und sich schließlich auf eine konsolidierte Fassung einigen können. Das neue Vertragswerk kommt bereits verbindlich seit dem 1. Januar 2020 zur Anwendung. Insbesondere bei der Absicherung typischer Vertragsrisiken, wie etwa den Bereichen der Haftung, der Gewährleistung und der Vertragsstrafenregelung, konnten für eine Vielzahl von Vertragskonstellationen einheitliche Lösungen erarbeitet und in das neue Vertragswerk übernommen werden. Langwierige Vertragsverhandlungen zwischen den Vertragspartnern um diese neuralgischen Punkte, die in der Vergangenheit häufig Ursache für eine Verzögerung des gesamten Beschaffungsvorgangs waren, sollen so zukünftig der Vergangenheit angehören.

Die Beweggründe für eine solche Initiative sind vielfältig. Einzelne Regelungen der bis dato existierenden Vertragsmuster wurden den technischen Entwicklungen in verschiedenen Rüstungssparten nicht mehr gerecht. Neben wichtigen inhaltlichen Aspekten des neuen Mustervertrages wurden in paritätisch besetzten Expertenrunden intensiv aktuelle Problemfelder, die unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure, multilaterale Vertragsbeziehungen und die hierzu unterschiedlichen Anforderungen an eine neue Mustervertragsregelung betrachtet und in den verschiedenen Gremien konstruktiv gelöst. Auch zum Teil sehr strittige Themen, die in der Vertragspraxis zu großen Herausforderungen führen, wurden in den Schwerpunktarbeitsgruppen nicht ausgeklammert und immer wieder kritisch hinterfragt. Beispielhaft seien hier folgende Schwerpunktthemen benannt: Haftungsbegrenzungen in Abhängigkeit vom Auftragswert und bei projektspezifischen Sonderrisiken sowie die Begrenzung zu vereinbarender Vertragsstrafen. Zu nennen ist darüber hinaus auch eine größtmögliche Ausgewogenheit in den Vertragsregelungen zu den Gewährleistungsfällen, zum Rücktritt und zur Kündigung des Vertrages. Nicht zuletzt konnte auch eine insgesamt angemessene Vergütungsregelung im Rahmen der vorgegebenen Preisbildungs- und Preisprüfungsmechanismen gemäß der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR 30/53) sichergestellt werden.

Die von den jeweiligen Verhandlungsführern des BAAINBw und des BDSV moderierten Arbeitskreise führten zu wichtigen Erkenntnissen über die unterschiedlichen Bedarfe und Anforderungen an ein einheitliches Vertragswerk. Hierbei wurde das im BAAINBw unter der Bezeichnung B070 bekannte Klauselwerk als Diskussionsbasis zugrunde gelegt. Dieses repräsentiert einen Baukasten von Textbausteinen, die seitens des BAAINBw im Regelfall selektiv verwendet werden (typischerweise für den Bereich von Verträgen mit Beschaffungsvolumina zwischen 500.000 Euro und 25 Millionen Euro – jeweils brutto).

Die verschiedenen Arbeitskreise waren nicht nur von Juristen besetzt. Dadurch, dass bei den Schwerpunktthemen sowohl Unternehmen verschiedener Marktgruppen als auch die unterschiedlichen Bereiche (Vertrieb, Organisation, Technik) vertreten waren, war es möglich, die jeweilige vertragstechnische Entscheidung für eine bestimmte Neuregelung in dem Beschaffungsvertrag unter verschiedenen Gesichtspunkten und Anforderungen eingehend zu prüfen. Insoweit war es besonders wichtig, Lösungen nicht isoliert in bereichsspezifischen Fachgruppen zu erarbeiten, sondern die technische, fachliche, betriebswirtschaftliche, vertriebliche und juristische Perspektive in einem gemeinsamen Dialog in die Arbeit der einzelnen Schwerpunktarbeitsgruppen einfließen zu lassen. Nur so konnten die jeweiligen Sichtweisen der Interessenvertreter und deren Bedarfe in einem effektiven Prozess ermittelt und aufwendige, nachgelagerte Abstimmungsaufwände reduziert oder vermieden werden. Daher ist auch damit zu rechnen, dass ein einheitliches Vertragsmuster auch eine breite Branchenakzeptanz erreichen kann.

Auftraggeber- und Auftragnehmerseite war bei der Neubearbeitung des Beschaffungsvertrages gleichermaßen daran gelegen, ein ausgewogenes Regelwerk zu schaffen. Nur auf diesem Wege konnte für zukünftige gemeinsame Beschaffungsvorhaben die Gewissheit gewonnen werden, dass das Vertragswerk auf eine größtmögliche Akzeptanz in seiner Anwendung treffen wird.

Dadurch, dass das neue Vertragswerk von seiner Komposition her für mehrere Vertragsgestaltungen Regelungen enthält, die angewendet werden können, werden auch zukünftig beide Vertragsseiten eigenverantwortlich verpflichtet sein, für die jeweilige Vertragssituation entsprechende Regelungen zu prüfen und auszuwählen.

Der Industrieseite ging es ab dem Start der Verhandlungen darum, für die einzelnen Textbausteine Formulierungen mit dem BAAINBw auszuhandeln, die im Einzelfall die mit einer Klauselauswahl konfrontierten Unternehmen nicht von der Verantwortung entbinden, die amtsseitig eingesetzten Klauseln aufmerksam zu reflektieren und zu prüfen. Die ausgehandelten Formulierungen sollen aber den Unternehmen die Gewissheit geben, dass für die eingesetzten Klauseln seitens des Branchenverbandes zusammen mit dem BAAINBw bereits ein zufriedenstellendes Maß an Ausgewogenheit sichergestellt werden konnte.

Neben Beschaffungsvorhaben oberhalb von 25 Millionen Euro sind in Negativabgrenzung Vertragskonstellationen vom Anwendungsbereich des neuen Beschaffungsvertrages ausgenommen: Vorhaben, die bis zum 31. Dezember 2019 initiiert wurden und damit vor dem 1. Januar 2020 ihren Ausgang nahmen. Darüber hinaus vom Anwendungsbereich des neuen Vertragsmusters ausgenommen sind reine Forschungs- und Entwicklungsverträge sowie internationale Kooperationen und Beschaffungen über internationale Beschaffungsorganisationen.

Eine besondere Thematik stellte sich dabei aus Industriesicht auch im Bereich der Unteraufträge, nämlich für den Fall einer durch den Auftraggeber vorbehaltenen Zustimmung hinsichtlich der Rechtsfolgen einer anschließenden Ablehnung eines Unterauftragnehmers. Ein übergreifendes Thema in der Diskussion bildete aus Industriesicht auch das Bestreben, mit Vertragsschluss Klarheit bezüglich aller mitgeltenden Regelungen und Vorschriften zu erreichen, um so im Fall nachträglicher Änderungen eine jederzeit nachvollziehbare Grundlage für die dann unvermeidlichen Vertragsänderungen zu haben.

Insgesamt gab es auf der Grundlage des am 3. Dezember 2019 erreichten Verhandlungsstandes Einvernehmen zwischen dem BAAINBw und dem Branchenverband BDSV, die bis dahin erreichten Stände zum Klauselwerk des B070 vom BAAINBw per 20. Dezember 2019 freizuschalten und damit ab dem 1. Januar 2020 entsprechend zur Anwendung bringen zu können. Zwischen BAAINBw und Industrie besteht auch Einvernehmen, dass die Anwendung des B070-Klauselwerkes beiderseits mit Schulungen einhergehen sollte, die gegenseitig transparent gemacht werden.

In der gemeinsamen Schlussveranstaltung am 3. Dezember 2019 in Koblenz verständigten sich die Parteien ferner darauf, in dem neuen Vertragsmuster ein lebendiges Instrumentarium zu sehen, das immer dann, wenn erforderlich, auf technische, fachliche, organisatorische und rechtliche Entwicklungen für die Marktteilnehmer transparent reagieren kann. Die Überarbeitung des BAAINBw-Beschaffungsvertrages ist darüber hinaus auch nur der Anfang einer umfangreichen Novellierung sämtlicher relevanter Vertragswerke im vertraglichen Miteinander; dies betrifft insbesondere auch die Regelungsmuster für Verträge im sogenannten Unterschwellenbereich (d.h. unter 500.000 Euro brutto), denen gerade aus Sicht der mittelständischen Industrieunternehmen eine besondere praktische Bedeutung zukommt.

Ein weiteres gemeinsames Projekt steht bereits fest: Der für die Innovationskraft der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bedeutende Bereich der Forschung und Entwicklung soll auf den vertraglichen Prüfstand gehoben werden, um dem entsprechenden Vertrag über Forschungs- und Entwicklungsleistungen ebenfalls eine neue vertragliche Gestaltung geben zu können. So wird es recht bald möglich sein, mit einem konsolidierten Vertragsmuster für Forschungs- und Entwicklungsleistungen zur Unterstützung der innovationsfördernden Beschaffung dazu beitragen zu können, den Transfer von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in markt- beziehungsweise beschaffungsfähige Produkte und Dienstleistungen zu beschleunigen. Somit soll der Zugang zu Innovationsleistungen für eine bestmögliche und funktionale Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erleichtert und eine immer auf der Höhe der Zeit stehende Funktionsfähigkeit Kritischer Infrastrukturen weitest möglich gewährleistet werden.

Autoren: Kornelia Lehnigk-Emden ist Vizepräsidentin des BAAINBw. Dr. Hans Christoph Atzpodien ist Hauptgeschäftsführer des BDSV.