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Unter dem nüchternen Titel NITEX (Niedersächsische Terrorismusabwehr Exercise) fand am Donnerstag, 22. August, die Premiere einer die deutschen Sicherheitskräfte übergreifenden Übung zur Bewältigung einer maritimen Bedrohungslage statt.

Beteiligt waren die Wasserschutzpolizeiinspektion Oldenburg, der Nordverbund des Spezialeinsatzkommandos (SEK)(er umfasst Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg), GSG 9, Bundespolizei, die Hafenbehörde Niedersachsen  sowie die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Von der Deutschen Marine waren der Einsatzgruppenversorger „Bonn“, ein Sea King Hubschrauber sowie Soldaten der Einsatzflottille 2 beteiligt (soweit bekannt). Die Führung oblag der für derartige Szenarien im niedersächsischen Küstengebiet verantwortlichen Polizeidirektion Oldenburg. Insgesamt kamen ca. 400 polizeiliche Einsatzkräfte, 29 Wasserfahrzeuge und vier Hubschrauber zum Einsatz.

Das Szenario sah einen geplanten Anschlag auf die Hafenanlagen in Wilhelmshaven vor. Das für die Übung angeheuerte Frachtschiff „Cap San Diego“, die für gewöhnlich als Museumsschiff im Hamburger Hafen liegt, war von Terroristen gekapert. Mit Hilfe der „Bonn“ gelangten die Spezialeinheiten der Polizei in die unmittelbare Nähe des Frachters und wurden zu Wasser gelassen. Die SEK-Kräfte nahmen die „Cap San Diego“ ein und sorgten mit ihren Zugriffsmaßnahmen für die Wiederherstellung der Sicherheit an Bord. Ort des Geschehens war das Jade-Fahrwasser.

Das Übungsschiff Cap San Diego und Boote der Wasserschutzpolizei und des SEK bei der Einfahrt. (Foto: Polizei Niedersachsen)

Der Übung zur See ging am Vortag eine Stabsrahmenübung unter Annahme einer terroristischen Gefahrenlage voraus, bei welcher der Einsatz konzeptionell und logistisch vorbereitet wurde. Dabei lag der Fokus insbesondere auf den Genehmigungsabläufen zwischen Polizei und Bundeswehr. Insgesamt, so war zu vernehmen, gingen der Übung zehn Monate Vorbereitungszeit voraus.

Abgesehen von dem hier geübten Einsatz auf hoher See, der auch für erfahrene Sondereinsatzkräfte eine besondere Herausforderung darstellt, ist die Art der Zusammenarbeit – die Unterstützung der Polizei bei der Bewältigung einer angenommenen terroristischen Bedrohungslage durch die Marine – erstmalig. Nicht für die Bundeswehr. Anfang März 2017 führten die Polizeien mehrerer Bundesländer eine gemeinsame Übung mit der Bundeswehr durch, der simulierte Terroranschläge in mehreren Bundesländern zugrunde lagen (GETEX 2017).

Verfassungsrechtliche Aspekte und Übungserfordernisse

Das Grundgesetz sieht in Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur bei einer Naturkatastrophe oder einem besonders schweren Unglücksfall zur Hilfeleistung vor. Unter einem besonders schweren Unglücksfall in diesem Sinne wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „im Allgemeinen ein Schadensereignis von großem Ausmaß verstanden“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Februar 2006, 1 BvR 357/05, Rn. 98). Dies umfasst in der für den wirksamen Katastrophenschutz nach Ansicht des Gerichts erforderlichen weiten Begriffsauslegung (nach der Rechtsprechung (a.a.O.) und Auslegung (BVerfG, Beschluss des Plenums vom 3. Juli 2012, 2 PBvU 1/11, Rn. 43)) auch Terroranschläge.

Derartige Übungen sind erforderlich, um das Zusammenwirken der beteiligten Behörden, Organisationen und Einheiten zu fördern, ohne dass damit gleich die Gefahr droht, die Gewährleistung der inneren Sicherheit zu einer Aufgabe des Militärs zu machen. Ziel von Übungen wie NITEX ist die Überprüfung von Verfahren und Entscheidungsprozessen in einer Situation, in der eine ausschließliche Reaktion mit Polizeikräften auf terroristische Bedrohungen wegen deren Ausmaßes nicht mehr möglich ist. Würde in einem solchen Fall auf den Rückgriff auf Ressourcen der Bundeswehr im verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmen verzichtet, kämen die betroffenen Stellen ihrem Schutzauftrag nicht nach. Insofern dienen die Übungen dazu, Abläufe zu optimieren, die Schnittstellen zu (er)kennen, die Ecken und Kanten geschmeidig zu machen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein und zielgerichtet einschreiten zu können. Schließlich geht es um den Schutz der Bevölkerung, um Leib und Leben der Bürger.

Polizei zuerst – Marine gleichwohl erforderlich

Dieser erste gemeinsame Durchlauf habe, so stellte Johann Kühme, Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, fest, viele Erfahrungswerte geliefert, durch welche die Einsatz- und Handlungssicherheit aller Beteiligter gestärkt worden sei. Er bedankte sich ausdrücklich bei der Deutschen Marine.

„Ein Terror-Anschlag wie der des heutigen Szenarios ist trotz der sorgfältigen Arbeit der Sicherheitsbehörden nie ausgeschlossen. Umso wichtiger war diese Übung, um für ein solches Szenario bestmöglich vorbereitet zu sein und die Menschen schützen zu können. Wir haben heute in einer sehr ungewöhnlichen Situation alle relevanten Systeme der Sicherheitsbehörden erfolgreich getestet“, sagte der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, der die NITEX von Bord der „Bonn“ verfolgte.

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von links: Johann Kühme (Präsident Polizeidirektion Oldenburg), Boris Pistorius (Nds. Minister für Inneres und Sport), Flottillenadmiral Ralf Kuchler, Nicole Rügenhagen (Leiterin SEK Niedersachsen) und Friedo de Vries (Präsident LKA Niedersachsen) (Foto: Polizei Niedersachsen)

Der Minister betonte „Für die Innere Sicherheit in Niedersachsen ist zuallererst die niedersächsische Polizei zuständig.“ Gleichwohl habe die Übung auch bestätigt, dass die Polizei bei der Bewältigung einer terroristischen Bedrohungslage im maritimen Bereich unter Umständen sowohl in personeller als auch logistischer Hinsicht auf die Unterstützung der Marine angewiesen sein könnte. „In einem solchen Katastrophenfall würden wir unter den geltenden Voraussetzungen des Grundgesetzes auf jede sinnvolle Unterstützung zurückgreifen, die etwa seitens der Bundeswehr bereitsteht“, ergänzte Boris Pistorius.

Die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf Einsatzmittel und Fähigkeiten der Marine gilt für Einsätze im Küstengebiet – zählt doch das Küstenmeer zum Hoheitsgebiet. In Deutschland gilt seit 1994 die 12-Meilen-Zone. Im Einklang mit Artikel 12 des Seerechtsübereinkommens der UN gehört auch die Tiefwasserreede in der Deutschen Bucht westlich von Helgoland zum Bestandteil des Küstenmeeres. Ließ schon GETEX erkennen, wo es in dem Zusammenspiel der Sicherheitskräfte und der Bundeswehr Optimierungsbedarf gibt, so ergeben sich bei einem Eingriff über See weitere Ansatzpunkte. Hier sind noch andere Szenarien denkbar. Insofern ist – im Sinne effizienter Landesverteidigung – eine Fortsetzung im Sinne von ‚vorbereitet sein‘ wünschenswert. Ebenso ein unverkrampftes Umgehen mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern in diesen Fällen.

Keine akute Bedrohung

Der Minister verwies darauf, dass die Übung in keinem Zusammenhang mit konkreten Gefährdungshinweisen stehe. Angesichts der allgemeinen momentanen Gefährdungslage in der Bundesrepublik müsse man dennoch auf viele Szenarien vorbereitet sein.

Marine wertet die Übung als Erfolg

Der Kommandeur der Einsatzflottille 2, Flottillenadmiral Ralf Kuchler, ließ sich bereits beim Einlaufen positiv zum Verlauf der Übung ein. Er begründete dies mit drei Punkten.

  • Zum ersten ermöglichte NITEX, Verfahren zu beüben und dabei festzustellen, was bereits leistbar ist, an was zu denken sei und woran für die Zukunft zu arbeiten sei.
  • Zweitens zeigte sich, so der Admiral, „dass wir einen Großteil – trotz unterschiedlicher Verfahren – sehr schnell reibungslos und effizient gemeinsam umsetzen und lösen konnten“.
  • Schließlich, mit Blick auf die Marine, hätte die Übung „wertvolle Hinweise“ geliefert, wie sie sich „in einer subsidiären Funktion“ aufzustellen habe, „um Bund / Länder im Falle eines Hilfeersuchens noch besser unterstützen zu können“.

Hans Uwe Mergener