„Die deutschen Streitkräfte bleiben unsere wichtigsten Kunden“
Interview mit Christina Canitz, Leiterin der Division Optronics und Geschäftsführerin der Hensoldt Optronics GmbH
Die Produkte von Hensoldt Optronics werden permanent technologisch auf dem neuesten Stand gehalten. Keine Lösung ist älter als fünf Jahre, betont Christina Canitz. Seit Februar ist sie Leiterin der Division Optronics und Geschäftsführerin der Hensoldt Optronics GmbH.
ES&T: Frau Canitz, nach Ihren ersten 100 Tagen als Head of Division Optronics – welche Eindrücke prägen Ihr Bild von Hensoldt Optronics?
Canitz: Meine ersten 100 Tage waren in jeder Hinsicht sehr intensiv, aber gleichzeitig außerordentlich inspirierend. Ich habe eine Reihe von Messen besucht und im direkten Austausch mit unseren Expertinnen und Experten sowie mit Kunden und Partnern grundlegende Ansätze für künftige Innovationsprojekte gesehen. Insbesondere hat mich das hohe Maß an Vertrauen und Transparenz beeindruckt, dass ich von Beginn an im Team erfahren habe. Dieser offene Dialog bildet die stabile Basis, auf der wir unsere künftigen technologischen und strategischen Neuausrichtungen aufbauen können.
ES&T: In Ihren strategischen Säulen – Internationalisierung, Digitalisierung und Operative Exzellenz – setzen Sie zahlreiche Maßnahmen um. Können Sie diese kurz skizzieren und erklären, wie sie ineinandergreifen?
Canitz: Unsere Internationalisierung zielt darauf ab, die Präsenz in sicherheitspolitisch relevanten Märkten, etwa im indopazifischen Raum, zu stärken und verstärkt NATO-Beschaffungsprogramme zu bedienen. Unsere wichtigsten Kunden bleiben dennoch die Streitkräfte der Bundesrepublik. Parallel investieren wir konsequent in smarte Sensorik und Künstliche Intelligenz, um Produkte zu entwickeln, die klassische Grenzen sprengen und eine „Software-Defined Defence“ ermöglichen. Prozessseitig haben wir bereits umfangreiche Digitalisierungsvorhaben gestartet, die unsere Abläufe schlanker, agiler und damit schneller anpassbar machen. Nachhaltigkeit betrachten wir als integralen Bestandteil unserer Strategie: Wir optimieren Ressourceneinsatz und Energieverbrauch in Produktion und Produktlebenszyklen, um wirtschaftlichen Erfolg mit ökologischer Verantwortung zu verbinden. Diese Dimensionen unterstützen sich gegenseitig – Internationalisierung erhöht den Bedarf, modernste Technologien sichern die Wettbewerbsfähigkeit, optimierte Prozesse garantieren Reaktionsfähigkeit, und Nachhaltigkeit untermauert unsere gesellschaftliche Akzeptanz.
Sensoriken und wertet Daten direkt aus. Ideal für
Aufklärungsfahrzeuge. (Foto: Hensoldt)
ES&T: Sie haben die Produktionskapazitäten seit 2022 massiv erweitert. Wie haben Sie diese Investitionen konkret vorbereitet, und wie schnell können Sie auf neue Auftragseingänge reagieren?
Canitz: Seit 2022 haben wir innerhalb der Hensoldt-Gruppe rund eine Milliarde Euro in Technologie, Infrastruktur und Lieferketten investiert. Dazu zählen ein großes Logistikzentrum, eine zusätzliche Leiterplattenfertigungslinie, zwei moderne neue Standorte in Oberkochen und Wetzlar sowie umfangreiche Automatisierungsmaßnahmen in Test und Produktion. So konnten wir die Produktionsrate beispielsweise des TRML-4D-Radars von drei auf 15 Einheiten pro Jahr steigern. Aufgrund dieser Investitionen und unserer bereits geschaffenen digitalen Infrastruktur sind wir heute in der Lage, bei Auftragseingang Schritt für Schritt weitere Kapazitäten hochzufahren. Unser Ziel ist es, innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Produktionsrate der Großradare von bis zu 30 Einheiten pro Jahr zu realisieren, ohne dass wir dabei an technische oder logistische Grenzen stoßen. Im Bereich der Landsysteme fertigen wir, bedingt durch die Nachbestellungen und Neubeschaffungen von Ketten- und Radfahrzeugen, ab nächstem Jahr sehr viel mehr Digitalsichten, Waffenoptiken und Hochleistungskameras als vor der Zeitenwende.
ES&T: Die globalen Lieferketten sind derzeit durch lange Vorlaufzeiten und geopolitische Risiken belastet. Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen im Procurement?
Canitz: Vor meinem Antritt in der Optronics-Division konnte ich während meiner zwei Jahre als Chief Procurement Officer der Hensoldt-Gruppe gemeinsam mit meinem Team den Grundstein für die langfristige Materialversorgung, unter anderem durch Mengenkontrakte, legen. Wir sehen uns bei einigen Bauteilen mit längeren Lieferzeiten und steigenden Preisen konfrontiert. Um unsere Resilienz zu erhöhen, haben wir frühzeitig in einem vernünftigen Maß Materialbestände angelegt und unsere Bezugsquellen diversifiziert. Wir arbeiten eng mit strategischen Zulieferern vor allem aus Europa zusammen, um Bedarfsmeldungen so früh wie möglich zu kommunizieren, und haben zusätzliche Lagerkapazitäten geschaffen. Außerdem ist unsere Fertigungstiefe, vor allem bei kritischen Elektronikkomponenten, relativ hoch. Unser Ansatz ist klar: Durch Transparenz und enge Partnerschaften in der Lieferkette können wir auch in unsicheren Zeiten planbar liefern.
ES&T: Welche kommerziellen und politischen Rahmenbedingungen benötigen Sie, um die Produktion weiter hochzufahren?
Canitz: Für eine rasche Skalierung sind Rahmenverträge mit festgelegten Abnahmemengen genauso unerlässlich wie An- und Zwischenzahlungen. Langfristige Vertragslaufzeiten schaffen Planungssicherheit. Politisch brauchen wir eine klare „Buy European/Buy German“-Vorgabe, Bürokratieabbau und die konsequente Anwendung der freihändigen Vergabe nach § 346 AEUV. Nur so lassen sich die enormen Mittel zeitgerecht und wirkungsvoll einsetzen und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit unserer industriellen Basis sichern.
ES&T: Wie stellen Sie sicher, dass Hensoldt die nötigen Fachkräfte gewinnt und langfristig bindet?
Canitz: 2024 haben wir bei Hensoldt rund 1.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt, für 2025 erwarten wir eine ähnliche Größenordnung. Das Image der Hochtechnologie- und Verteidigungsbranche hat sich deutlich verbessert. Wir rekrutieren systematisch System- und Softwareingenieure, KI- und IT-Spezialisten, Elektroniker sowie Industriemechaniker. Hierbei helfen uns auch Kooperationen mit Bosch oder Continental. Gleichzeitig fördern wir interne Entwicklungsprogramme und gestalten unsere Arbeitswelten nach „New Work“-Prinzipien, um Talente langfristig zu binden.
ES&T: Ihr persönlicher Bezug zu Berlin und dem Mauerfall spielt in Ihrer Vision eine Rolle. Wie beeinflusst dieser Hintergrund Ihre Führungsphilosophie?
Canitz: Ostberlin ist meine Geburtsstadt, und der Geist der Wendejahre ist für mich ein kraftvolles Symbol für Wandel durch Mut, Offenheit und partnerschaftliches Handeln. Diese Erfahrungen prägen meine Überzeugung, dass nur der gemeinsame Einsatz aller Beteiligten – von Kolleginnen und Kollegen über Partner bis hin zu politischen Akteuren – nachhaltige Veränderungen ermöglicht. Diese Haltung trage ich in die Zusammenarbeit bei Hensoldt, um innovative Ideen schneller in die Realität umzusetzen.
ES&T: Wo sehen Sie Hensoldt Optronics in fünf Jahren?
Canitz: Ich sehe uns als noch innovativeren und agileren Partner, der vollständig digitalisierte und integrierte Supply-Chains in Oberkochen und Wetzlar betreibt. Unsere
Produkte werden permanent technologisch auf dem neuesten Stand gehalten, keine Lösung älter als fünf Jahre sein. Mit einem mitarbeiterorientierten Umfeld nach „New Work“-Prinzipien und einer modernen Führungskultur werden wir noch mehr Raum für Kreativität und Eigenverantwortung schaffen. Diese Vision bildet das Fundament für unsere Position als führender Hightech-Systemlieferant in Europa und darüber hinaus.
ES&T: Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrem Geschäftsmodell – gerade in Zeiten erhöhter Rüstungsinvestitionen?
Canitz: Nachhaltigkeit ist für uns kein Zusatz, sondern integraler Bestandteil jeder Projektentscheidung. Wir betrachten Ressourceneinsatz, Energieverbrauch und Recyclingfähigkeit bereits in der Produktentwicklung. In der Produktion achten wir auf Energieeffizienz und setzen wo möglich auf erneuerbare Energien. Dieses Verantwortungsbewusstsein stärkt nicht nur unser Image, sondern ist ökonomisch sinnvoll und sichert langfristig auch die Akzeptanz in Politik und Gesellschaft.
Das Interview wurde geführt von Burghard Lindhorst.