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Layered Air Defence: Diehl Defence entwickelt auch einen Flugkörper großer Reichweite und einen zur Drohnenabwehr, berichtet Arne Nolte, Head of Strategic Marketing Ground Based Air Defence bei Diehl Defence, im Interview.

 

Sehr geehrter Herr Nolte, jahrzehntelang war bodengebundene Luftverteidigung nicht wirklich ein großes Thema für die Bundeswehr. Sie wurde aufgrund der Auslandseinsätze total vernachlässigt. Das hat sich nun schlagartig geändert. Blicken wir auf die Ukraine, so sind Ihre Systeme dort an vorderster Front gefordert. Welche Rückmeldungen bekommen Sie aus dem Kriegsgebiet?

Derzeit ist das Waffensystem IRIS-T SLM im Einsatz. Es wird durch die Ukrainer betrieben. Wir hatten im März 2022 erste Gespräche, ob wir in der Lage sind, sehr kurzfristig die Ukraine unterstützen zu können. Im Juni fiel die Entscheidung, das Waffensystem abzugeben. Es folgte eine sehr kurze und gleichermaßen sehr intensive Phase, um Training und Ausbildung für die ukrainischen Operateure vorzubereiten. Seit Oktober 2022 ist das Waffensystem vor Ort. Mittlerweile sind mehrere Feuereinheiten durch uns geliefert worden, immer wieder verknüpft mit dem Training der zusätzlichen ukrainischen Soldaten. Wir haben mittlerweile auch das Lenkflugkörpersystem

kurzer Reichweite IRIS-T SLS mit seinen Startgeräten in die SLM-Feuereinheiten integriert, um hier eine größere Feuerkraft zu ermöglichen und auch gewisse Lücken im Gelände und ähnliches besser abdecken zu können, also verschiedene Wirkschwerpunkte zu schaffen.

Beide Systeme haben sich mittlerweile durch sehr viele erfolgreiche Bekämpfungsvorgänge bewährt. Sie sind quasi tagtäglich im Einsatz.

 

Wie lange dauert die Ausbildung?

Wir haben einen Ausbildungszeitraum von ungefähr zehn Wochen für die ukrainischen Operateure. Es ist in der Regel entsprechend erfahrenes Personal, welches wir dann spezifisch auf unser Waffensystem schulen.

Das zeigt auch den hohen Grad der Automatisierung. Die Bedienung ist einfach und ermöglicht es uns, in sehr kurzen Zeiträumen das Personal am Waffensystem so auszubilden, dass sie es auch in Stresssituationen wirkungsvoll bedienen können.

IRIS-T SLM: Radar und Startgerät im Feuerkampf (Foto: Diehl)

Wenn wir jetzt einmal zu uns nach Deutschland und Europa schauen, sehen wir Herausforderungen zur Bekämpfung sowohl auf kurzer und mittlerer Reichweite sowie aus dem Weltraum. Das Spektrum reicht von langsam fliegenden Kleinstdrohnen bis hin zu Hyperschallraketen. Welche Systeme können Sie der Bundeswehr und der NATO insgesamt anbieten?

Neben IRIS-T SLS und SLM, die ich ja bereits erwähnt hatte und die sich tagtäglich im Einsatz in der Ukraine bewähren, entwickeln wir derzeit einen Lenkflugkörper mit einer Reichweitensteigerung, IRIS-T SLX genannt. Wir wollen eine Bekämpfungsreichweite von bis zu 80 Kilometer und eine Abfanghöhe bis zu 30 Kilometer realisieren. Dazu ergänzen wir ein System mittlerer Reichweite um einen zusätzlichen Effektor. So bleibt die bestehende Systemarchitektur erhalten. Bei geringem Personaleinsatz erzielen wir damit hohe Mobilität bei unverändert hoher Flexibilität des Systems.

Zusätzlich wollen wir den Operateuren einen weiteren Lenkflugkörper im Bereich der unteren Abfangschichten, also mit sehr kurzer Reichweite, für die Drohnenabwehr zur Verfügung stellen. Auch damit werden wir dann einen wesentlichen Bei- trag zur sogenannten Layered Air Defence leisten, also der Staffelung der Abwehrsysteme in Höhe und Reichweite gegen die verschiedenen Bedrohungen.

Seit Verschärfung des Ukraine-Konfliktes denken wir wieder stark in den Dimensionen der Landes- und Bündnisverteidigung. Wir müssen davon ausgehen, dass das volle Spektrum an Luftangriffs- oder Luftkriegsmitteln gegen uns zum Einsatz gebracht wird. In den letzten Jahrzehnten war die Bedrohungsperzeption durch die Auslandseinsätze geprägt. Da zeigte sich immer nur ein kleiner Ausschnitt des Potenzials, wie etwa beim Beschuss der Feldlager durch Mörser. Nun müssen wir uns auf das volle, breite Spektrum einstellen, was ein vollwertiger Gegner auch koordiniert über Zeit und Raum kombiniert zum Einsatz bringen kann. Das ist eine ganz andere Qualität von Angriff, vor allem auch in der Quantität, also dem Versuch, einzelne Systeme in die Sättigung zu treiben.

 

Die ganze Bandbreite der Bedrohung und auch die verschiedenen Komponenten der Luftverteidigung erfordern eine intensive Vernetzung, eine einheitliche Führung, ein einheitliches Lagebild. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?

Wir müssen nicht nur die Vernetzung der Führungs- und diversen Waffensysteme sehen, um einen Datenaustausch zu er- möglichen und den Einsatz der verschiedenen Waffensysteme zu koordinieren. Wir wollen noch einen Schritt weitergehen, was unsere eigene Effektorik und Partnersysteme betrifft. Wir möchten darüber hinaus in der Lage sein, auf einem Informationslayer unterhalb der Führungssysteme einen sehr schnellen Datenaustausch zwischen Sensoren und Effektorik zu ermöglichen, um damit ein Sensor-to-Shooter-Network sinnvoll und schnell zu verknüpfen. Wir lösen die strenge Hierarchie der Fire Unit ein Stück weit auf und gehen stärker in die Vernetzung, binden also zum Beispiel Sensoren mit kurzer Reichweite bereits voll in die Feuerleitkette ein. Wir werden in der Lage sein, IRIS-T SLM-Flugkörper mittlerer Reichweite durch Radare, die eigentlich für Waffensysteme kurzer Reichweite gedacht sind, ins Ziel zu führen. Damit erzeugen wir einen leistungsfähigeren Wirkverbund, also mit wenig Ressourcen möglichst viel Kampfkraft.

Arne Nolte (li) im Gespräch mit Burghard Lindhorst. (Foto: Diehl)

Nun ist Deutschland ja nicht alleine zu betrachten. Welche Rolle spielt das europäische Programm ESSI (European Sky Shield Initiative)?

Wir sind mit IRIS-T SLM als eine mögliche Option ausgewählt und bieten sie den interessierten Ländern in diesem Rahmen an. Es haben sich bereits mehrere Nationen in Europa für eine Beschaffung von IRIS-T SLM entschieden. So gesehen hat ESSI in unserer Wahrnehmung vor allem eine rüstungspolitische Dimension. Aber es geht natürlich um mehr.

Es geht eben auch um die gerade angesprochene Vernetzung und um den Aspekt des Trainings. Dafür haben wir zusammen mit der Luftwaffe in sehr kurzer Zeit die Trainingseinrichtung in Todendorf auf die Beine gestellt. Wir sind in der Lage, mehrere Nationen dort auszubilden.

 

Gegen die Ukraine sind offenbar auch schon sogenannte Hyperschallsysteme Russlands zum Einsatz gekommen. Haben Sie dagegen Wirkmöglichkeiten?

Der Einsatz von Hyperschallsystemen oder Hyperschallwaffen in der Ukraine ist sehr differenziert zu betrachten. Es gibt einige Waffensysteme der Russen, die sehr schnell sind, aber in unserem Verständnis noch nicht unbedingt eine neue Form der Hyperschallwaffen darstellen.

Wir sehen im Rahmen des Hyperschalls besonders zwei Bedrohungen aufkommen. Das sind einmal die hypersonischen Gleitvehikel, die in relativ großer Höhe fliegen. Durch ein mehrfaches Auftreffen auf die Atmosphäre erzielen sie ei- ne Reichweitensteigerung und der Zeitpunkt des Abkippens auf das Ziel ist unvorhersehbar. Diese gilt es abzufangen mit sogenannten hypersonischen Cruise-Missiles, die in niedriger Höhe aber mit sehr hoher Geschwindigkeit fliegen und die Bekämpfungszeiten sehr kurz machen. Dazu entwickeln wir zurzeit im europäischen Auftrag den sogenannten HYDEF, einen Hyperschallabwehrflugkörper im Rahmen eines europäischen Konsortiums. Der wird in der Lage sein, gegen diese Bedrohungen wirken zu können.

Zusätzlich zu dem reinen Lenkflugkörper setzen wir uns auch mit der Systemarchitektur des Gesamtsystems auseinander, um diesen Sensor-Wirkverbund sinnvoll aufzusetzen. Man braucht verschiedenste Sensoriken am Boden und im Weltall, um diese Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und sich in die Lage zu versetzen, die Abwehrflugkörper darauf anzusetzen. Es ist also nicht nur ein Flugkörper. Es ist das Gesamtsystem, was man sinnvoll betrachten und auslegen muss.

Eine Feuereinheit mit (v.re.) Radar, Werfer und Tactical Operations Center. (Foto: Diehl)

Was zeigen Sie auf der diesjährigen ILA?

Auf der ILA präsentieren wir das ganze breite Spektrum unserer Fähigkeiten zur Luftverteidigung. Wir werden unter anderem einen High-Power Electro-Magnetics-Effektor ausstellen, also ein nicht-kinetisches Wirkmittel gegen Drohnen. Natürlich zeigen wir auch unser einsatzbewährtes System IRIS-T SLM. Wir präsentieren zudem die Variante eines hochmobilen Systems von IRIS-T SLS, welche Sensor, Führungssystem und Effektorik auf einem Fahrzeug vereint. Hier wird deutlich, dass auch bei der Luftverteidigung hochmobil der Schuss aus der Bewegung heraus möglich ist. Und wir werden erstmals den Lenkflugkörper IRIS-T SLX als Ergänzung zum Waffensystem mittlerer Reichweite zeigen. Zusammen mit unserem Partner Airbus werden wir ebenfalls den interessierten Fachbesuchern unsere Idee vom Wirkverbund darstellen, also wie wir über mehrere Führungsebenen hinweg FlaRak-Einsatzkontingente führen können. Dabei werden wir uns gemeinsam mit Airbus erstmals auch der Thematik der Einbindung von Passivsensoren in die Wirkkette widmen und ein Passivradar bei uns auf dem Stand vorstellen.

Sehr geehrter Herr Nolte, vielen Dank für die interessanten Informationen und viel Erfolg auf der ILA!