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Mittlerweile sind mehr als 1.000 EU-Bürger aus dem Sudan evakuiert worden, wie der Chefdiplomat der EU, Josep Borrell, am Rande eines Treffens der Außenminister in Luxemburg am gestrigen Montag sagte. Deutschland allein habe mehr als 300 Menschen, davon etwa die Hälfte Deutsche, ausgeflogen, sagte gestern Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einer Pressekonferenz. Mittlerweile sind es bereits über 500 Personen, die mit A400M der Luftwaffe aus Khartum ausgeflogen worden sind. Auch andere Nationen konnten ihre Bürger in Sicherheit bringen. Jordanien evakuierte 300, Südafrika mehrere Dutzend Bürger. Paris vermeldet, dass unter den mehr als 500 ausgeflogenen Personen neben 180 Franzosen auch Angehörige von 35 anderen Nationen waren. Bei allen Erfolgen gilt es zu berücksichtigen, dass es noch zahlreiche Bürger europäischer und befreundeter Länder im Sudan verblieben sind. Dabei sticht die Zahl von US-Bürgern im Sudan, die mit 16.000 Personen beziffert wird, hervor. Außerdem wurden bisher bei den Evakuierungsmaßnahmen Ortskräfte nicht berücksichtigt. Nach Aussagen des deutschen Außenministeriums werden diese nicht evakuiert, da diese im Gegensatz zu der Afghanistan-Evakuierung keine auf die Beschäftigung als Ortskräfte zurückzuführende besondere Gefährdungslage haben. Es ist zu erwarten, dass die Evakuierungsoperationen am heutigen Dienstag weitergehen werden, da am Montagabend unter Beteiligung der US-Regierung eine weitere dreitägige Feuerpause vermittelt wurde.

Aus taktischen und praktischen Gründen wurde für das Gro der Evakuierung die Luftbrücke gewählt. Ein Transport per Straße setzt eine Menge an Fahrzeugen voraus. Für den sich anschließenden Weitertransport per Schiff steht Port Sudan zur Verfügung, rund 820 Straßenkilometer von Khartum entfernt. Eine andere Option läge in Wadi Hafa an der sudanesisch-ägyptischen Grenze, Entfernung ca. 940 Kilometer. Im Straßentransport ist das Risiko höher anzusetzen: Dauer und Versorgungsmöglichkeiten (Lebensmittel, Wasser, Kraftstoff), Passierbarkeit (Pisten-/Straßenzustand, Kontrollpunkte oder Sperren) sowie die Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit der erforderlichen Eskorte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass zurzeit die Temperaturen tagsüber 40 Grad erreichen können. Womit ein Straßentransport schon ohnehin nicht nach den mitteleuropäischen Maßstäben möglich ist. Somit entschieden sich die meisten Nationen für eine Luftbrücke als die am wenigsten risikobehaftete Lösung. Wobei die Gefährdung auch hier nicht ausgeschlossen blieb. Letztendlich ist man auch hier vom ‚Goodwill‘ der um die Macht buhlenden Fraktionen abhängig.

Der Seeweg, also eine Evakuierung über Port Sudan, setzt – wie oben geschildert – einen Straßen- oder einen Lufttransport voraus. Die Flugstrecke beträgt ca. 660 Kilometer. Aus Paris ist zu vernehmen, dass diese Option weiter im Spiel ist. Aus dem Streitkräftestab heißt es, es seien Mittel vorpositioniert, um alle Möglichkeiten offen zu halten. Nach Meldungen der New York Times hat auch die US Navy Einheiten für ein Eingreifen vorbereitet.

Der Abtransport aus Khartum erfolgt nicht vom internationalen Flughafen, der sich unmittelbar in der Stadt befindet. Beschädigungen und die Schusswechsel machen ihn unbenutzbar. Stattdessen wird der während des Zweiten Weltkrieges eingerichtete Luftwaffenstützpunkt Wadi Sayyidna genutzt. Er verfügt über eine Start-/Landebahn.

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A400M-Flugzeuge in Bereitschaft auf dem Rollfeld des sudanesischen Flughafens (Foto: spanisches Verteidigungsministerium)

Dabei ist die 20 Kilometer lange Anfahrt aus dem Zentrum Khartums nicht risikolos. Frontlinien sind, möglicherweise mehrfach zu passieren. Sie sind keine klar definierten Grenzen, sondern markieren vielmehr die sich ständig wechselnden Einflusszonen oder Gebietsansprüche. Ein französischer Konvoi wurde am Sonntagmorgen, 23. April, unter Beschuss genommen. Gleiches wird aus Port Sudan berichtet.

Komplexe Koordination

Bis zur Zusammenstellung und Abfahrt eines Konvois ist eine immense Vorbereitung erforderlich. Die EU-Staaten koordinieren weitgehend ihre Aktionen. Im Gegensatz zu den USA und zunächst dem Vereinigten Königreich transportieren sie nicht nur diplomatisches Personal, sondern auch andere EU-Bürger, die es wünschen. Großbritannien hat am Dienstagmorgen aber angekündigt, dass es die Evakuierung britischer Staatsbürger organisieren wird, weitere Details sind derzeit aber noch nicht bekannt.

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Zur Registrierung von Deutschen hat Berlin ELEFAND, die elektronische Erfassung Deutscher im Ausland, aktiviert. Mit dem Eintrag in diese Krisenvorsorgeliste kann eine Botschaft im Krisen- bzw. Katastrophenfall schnell informieren und, wie im vorliegenden Fall, alarmieren. Im auf dem Flughafen Wadi Sayyidna eingerichteten europäischen Evakuierungszentrum werden die Transporte so weit wie möglich innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten koordiniert. Im Rahmen der Möglichkeiten auch darüber hinaus: Frankreich hat auch Ägypten, Äthiopien, Marokko, Niger und anderen Staaten Unterstützung angeboten. Die Mitglieder der EU-Delegation sind zu berücksichtigen.

Bereits das Auffinden der Staatsangehörigen und ihre Zusammenführung mit dem Abtransport zu synchronisieren ist eine komplexe Aufgabe. Schon das Auflisten aller betroffenen Staatsbürger vor Ort erweist sich nicht als profan. Zumal die Versorgung vor Ort und die Kommunikationskanäle nicht intakt sind. Der Mangel an Treibstoff, Wasser, Lebensmitteln, das Zusammenbrechen des Stromnetzes und der Kommunikationsverbindungen erschweren die Aufgabe der Botschaften und des Krisenstabs. Wobei die Kämpfe in der Hauptstadt weitergehen.

Im Vorfeld erfolgt umfassende diplomatische Arbeit. Sie geht über die befreundeten und verbündeten Nationen hinaus in alle Richtungen – zum Beispiel in arabische und afrikanische Länder, die noch Zugänge zu den Machthabern in Khartum haben. Dazu gehört es auch, die Luftkorridore, die einige Länder geschlossen hatten, wieder zu öffnen.

Über allem standen die Verhandlungen mit den Kriegsparteien im Sudan, die sudanesischen Streitkräfte von General al-Burhan und die sudanesischen schnellen Eingreiftruppen von General Hemedti, um deren Einverständnis zu erzielen. Andererseits galt es dabei zu vermeiden, Zugeständnisse an den einen oder anderen zu machen – und auch nicht den Eindruck darüber entstehen zu lassen.

Die Kämpfe haben den Exodus aus dem Sudan in die Nachbarländer beflügelt. Nach französischen Angaben sollen bisher mehr als 20.000 Menschen in das westliche Nachbarland Tschad geflohen sein. Dabei ist die Situation um den Sudan herum ohnehin angespannt. Aus dem Südsudan haben sich mehr als 4,3 Millionen Menschen auf den Weg in eine bessere Zukunft in der Umgebung gemacht.

Hans Uwe Mergener