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Bereits am Montagabend vermerkte das Kontrollzentrum der Gaspipeline Nord Stream 1 einen Druckabfall an beiden Strängen der Rohrleitung. Ebenfalls am Montag veröffentlichte die dänische Energieagentur ein Communiqué über ein Leck in der Nord-Stream-2-Pipeline im dänischen Teil der Ostsee.

In der täglichen Pressekonferenz der EU-Kommission in Brüssel wurde von insgesamt drei Lecks berichtet, wobei die Pipeline Nord Stream 1 zwei aufweist. Übereinstimmenden dänischen und schwedischen Informationen zufolge befinden sich diese nordöstlich der Insel Bornholm, je eines in der jeweiligen nationalen Wirtschaftszone. Die Schifffahrtsbehörden der beiden Länder gaben Navigationswarnungen heraus und richteten Sperrzonen ein. Laut dem dänischen Verteidigungsministerium verursacht das größte der Gaslecks an der Meeresoberfläche Turbulenzen von einem Kilometer Durchmesser.

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Aufsteigende Gasblasen des riesigen Lecks an der Pipeline, Foto: Danish Defence

Das Leck an Nord Stream 2 befindet sich südöstlich von Dueodde auf Bornholm.

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Leck an der Pipeline North Stream 2 in der Ostsee, Karte. Danish Energy Agency

Die dänische Energieagentur hat den nationalen Energie-Infrastrukturbetreiber aufgefordert, die Alarmstufe für den Gas- und Stromsektor auf Orange, die zweithöchste Stufe, zu erhöhen. „Brüche von Gaspipelines kommen äußerst selten vor, und wir sehen daher die Notwendigkeit, die Alarmstufe aufgrund der Ereignisse der letzten Tage zu erhöhen“, sagte der Direktor der dänischen Energieagentur, Kristoffer Böttzauw.

Die Ursachen für die Lecks sind unklar. Obwohl Nord Stream 2 nicht in Betrieb ist, ist die Pipeline mit Gas gefüllt. Das dänische Verteidigungsministerium ließ die Gebiete mit einer F-16 und einem SAR-Hubschrauber aufklären. Die dänische Fregatte „Absalon“ (F341), das Umweltkontrollschiff „Gunnar Thorson“ (A560) sowie die Korvette „Rota“ (P525) wurden zu Patrouillen zu den Unfallstellen entsandt. Ein Video auf der Internetseite des dänischen Verteidigungsministeriums zeigt die im Wasser aufsteigenden Gasblasen.

Angesichts des fast zeitgleichen Auftretens und des Ausmaßes der Störungen wird über Sabotage spekuliert. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte am Dienstag: „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es sehr verfrüht, über die Ursachen zu spekulieren. Wie ich bereits sagte, sind wir von den betroffenen Mitgliedstaaten informiert worden, und die Mitgliedstaaten untersuchen diese Angelegenheit. Wir werden in engem Kontakt mit ihnen bleiben.“  Die Tagesschau zitiert auf ihrem Online-Auftritt den stellvertretenden polnischen Außenminister Marcin Prydacz mit seinem Verdacht, dass es sich um eine russische Provokation handeln könnte. „Leider verfolgt unser östlicher Nachbar ständig eine aggressive Politik. Wenn er zu einer aggressiven militärischen Politik in der Ukraine fähig ist, ist es offensichtlich, dass keine Provokationen ausgeschlossen werden können, auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen.“

Russland spricht seinerseits von Sabotage. Kremlsprecher Dmitri Peskow kommentierte am 27. September: „Wir können im Moment keine Möglichkeit ausschließen. Offensichtlich ist die Leitung in irgendeiner Weise zerstört worden. Bevor die Ergebnisse der Untersuchung nicht vorliegen, ist es unmöglich, irgendeine Möglichkeit auszuschließen.“

Sollte ein staatlicher Akteur hinter dem Anschlag stehen, so käme Russland durchaus in Frage. In der „Welt“ warnte jüngst der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan C. Kaack, vor möglichen Bedrohungen gegen die maritime Infrastruktur. „Sie dürfen nicht nur auf das Wasser gucken. Auch unter Wasser hat Russland erhebliche Kapazitäten aufgebaut. Auf dem Grund der Ostsee, aber auch im Atlantik gibt es einiges an kritischer Infrastruktur wie Pipelines oder Unterseekabel für IT.“

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Die russische Marine experimentiert schon seit mehreren Jahren mit kleineren autonomen Unterwasserfahrzeugen, die von Überwassereinheiten verbracht oder von U-Booten huckepack genommen werden können. Dazu gehört ‚Klavesin 2P-PM‘ (englische Bezeichnung Harpsichord 2P-PM), dessen erste Version 2010/11 bekannt wurde.

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Das Tauchboot‚Klavesin 2P-PM, Foto: Rubin

Das 6,5 Meter lange, 3,7 Tonnen schwere Tauchgerät soll Tauchtiefen bis zu 6.000 Metern erreichen können. Seine Autonomie wird vom Hersteller Rubin mit 150 Kilometern beziffert.

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Eine technische Zeichnung des Tauchbootes „Klavesin“, Grafik: Rubin

Die zweisträngige Gasleitung Nord Stream 2 ist seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine einer der Brennpunkte im Energiekrieg zwischen Europa und Russland. Sie wurde letztendlich nicht aktiviert. Die weitgehend parallel verlaufende Pipeline Nord Stream 1 wurde 2012 in Betrieb genommen. Sie hat eine Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Moskau hat allerdings die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 eingestellt.

Ob nun Verursacher oder nicht – der russische Staat könnte vom Anstieg des Gaspreises infolge der Schäden an den Pipelines profitieren. Reuters meldet für Oktoberterminkontrakte ein Plus von 11 Euro (ca. 6,4 Prozent) pro Megawattstunde, für November ein Plus von 13,85 Euro auf 203,10 Euro pro Megawattstunde. Im August erreichte die Megawattstunde Gas ihren bisherigen Höchststand von 346 Euro.

Über den ökonomischen Schaden hinaus sind die ökologischen Konsequenzen bedenklich. Es besteht Brand- und Explosionsgefahr durch an die Luft gelangtes Gas und der Giftigkeit von im Gas enthaltenem Schwefelwasserstoff. Daher auch die Sperrzonen.

Laut der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe wird Methan, Hauptbestandteil von Erdgas, für rund ein Drittel der globalen Erderwärmung seit vorindustrieller Zeit verantwortlich gemacht. Es gilt somit als zweitwichtigstes Treibhausgas, mit einem vielfach höheren Erderwärmungspotenzial als Kohlendioxid.

Hans Uwe Mergener