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Interview mit Holger Stahlknecht, Minister für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt, 1. stellvertretender Vorsitzender der Innenministerkonferenz und MdL CDU

ES&T: Herr Minister, Sachsen-Anhalt hat mit dem Anschlag von Halle einen Terror-
akt aus der rechten Szene erleben müssen. Haben Sie nun, einige Wochen nach dem Anschlag, eine Erklärung dafür, wie es dazu kommen konnte?

Stahlknecht: Zunächst einmal stehe ich, stehen wir, noch immer unter dem Eindruck dieser gleichermaßen unfassbaren wie abscheulichen Tat. Unsere Gedanken galten und gelten den Hinterbliebenen und Freunden der beiden Getöteten. Den beiden Verletzten wünsche ich schnelle und vollständige Genesung. Leider ist es so, dass sich fast alle Fragen nach einem solchen Ereignis um die Tat und den Täter bewegen. Natürlich sind diese Fragen richtig und wichtig, ich möchte da nicht falsch verstanden werden. Aber es muss genauso wichtig sein, die unmittelbar Betroffenen im Rahmen der retrograden Aufarbeitung nicht aus den Augen zu verlieren. Sachsen-Anhalt hat in diesem Punkt insofern nachgeschärft, als dass die bis dato unbesetzte Stelle des Opferschutzbeauftragten nunmehr besetzt wird und die Ressortverantwortlichkeit hierfür im Bereich der Justiz festgelegt wurde. Das ist der richtige Schritt, kann aber auch nur ein erster Schritt sein.

Die Frage, wie es zu diesem furchtbaren Anschlag kommen konnte, kann sicher derzeit noch nicht abschließend beantwortet werden. Erste Anhaltspunkte deuten auf einen sich selbst radikalisierenden rechtsextremistisch motivierten Einzeltäter. Die Frage muss nach meinem Dafürhalten anders lauten: Wieso ist es knapp achtzig Jahre nach der Reichsprogromnacht wieder erforderlich, jüdisches Leben in Deutschland von der Polizei bewachen zu müssen? Was haben wir, was hat Deutschland aus der Geschichte gelernt? Im Sommer 1919 wurde mit der Weimarer Reichsverfassung die erste demokratische Verfassung Deutschlands beschlossen und verkündet. Die darauf gründende Republik wurde bereits in ihren frühen Jahren von Extremisten angegriffen, welche die parlamentarische Demokratie ablehnten und sie nicht nur mit Worten bekämpften, sondern auch mit Gewalt, mit Waffengewalt und Putschversuchen. Diesen Angriffen war die junge Demokratie nicht gewachsen und mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann das dunkelste und beschämendste Kapitel deutscher Geschichte; ein Kapitel gefüllt mit Krieg, Unterdrückung, Willkür, Rassismus und Antisemitismus.

Ich bin mir nicht sicher, ob jeder verstanden hat, was Antisemitismus und die historische Verantwortung Deutschlands bedeuten und wie gefährlich täglich zu lesende Verallgemeinerungen und Relativierungen sind, weil sie allzu leicht verfangen. Leider ist jedoch zu beobachten, dass Rechtsextremisten zunehmend gesellschaftlich akzeptierte Themen missbrauchen, um bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu werden und so ihren Einfluss zu mehren. Dass diese Strategie funktioniert, zeigten Demonstrationen wie im September 2018 in Köthen, an denen neben Rechtextremisten auch kritisch eingestellte Bürgerinnen und Bürger teilnahmen.

ES&T: Es handelte sich in Halle wohl im rechtlichen Sinn um einen Einzeltäter. Wissen Sie mittlerweile, wie stark er in die rechte Szene eingebunden war?

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