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Konzeptionell fügt sich das Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180 in durch die NATO-Beschlüsse und die im Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr eingeleitete Rückbesinnung auf die Landes- und kollektive Bündnisverteidigung ein. Der Nordflanke kommt wieder größere Aufmerksamkeit zu. Damit nimmt die Bedeutung offener, transatlantischer Seeverbindungen im Spannungsfall sowie der seeseitigen Verteidigung von Bündnispartnern zu.

Mit einer angedachten Stehzeit von bis zu zwei Jahren in See und seiner angelegten Durchsetzungsfähigkeit soll das Mehrzweckkampfschiff 180 einen Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung über das gesamte Intensitätsspektrum mehrdimensionaler Seekriegführung leisten.

Gesamtes Fähigkeitsspektrum via Missionsmodule

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Entwurf des Mehrzweckkampfschiffs 180 (Grafik: MTG)

Das Mehrzweckkampfschiff 180 trägt vor allem dem Ziel Rechnung, mit einem Seekriegsmittel über Fähigkeiten zu verfügen, die alle Felder moderner Seekriegführung abdecken. Das Schiff soll auch für ozeanische und komplexe Einsätze in entfernten Seegebieten und unter anspruchsvollen Umweltbedingungen geeignet sein. Es ist mit Bordhubschraubern ausgestattet. Mit ihm können Seeziele, Luftziele mittlerer und kurzer Entfernung und Landziele bekämpft werden. Es ist ebenso geeignet für die U-Boot-Jagd. Das Mehrzweckkampfschiff 180 kann zusätzliches Personal und Material aufnehmen und ist zur Führung eines multinationalen Verbandes in der Lage. Spezialkräfte können damit ebenfalls eingesetzt werden.

Gerade weil dieses Schiff für den hochintensiven Seekrieg entwickelt ist, ist sein Einsatz zur Krisen- und Konfliktbewältigung und auch in anderen Szenarien niedrigerer Intensität möglich.

Die unterschiedlichen Rollen sollen über Einbaumodule, die für spezifische militärische Missionen ausgelegt sind, realisiert werden. Die Missionsmodule machen praktisch das Mehrzweckkampfschiff aus. Mit der so erzielten Flexibilität, auf unterschiedliche Herausforderungen reagieren zu können, wird einerseits der Erfahrung aus den – oft jahrelang andauernden – Operationen, wie z.B. Stabilisierungsoperationen bzw. Einsätze wie UNIFIL, „Enduring Freedom“ oder „Atalanta“, Rechnung getragen. Andererseits können Module eingesetzt werden, um den intensiveren und mehrdimensionaleren Ansprüchen in der Landes- und Bündnisverteidigung entsprechen zu können. Schon in der Basisversion soll es ein vollwertiges Kampfschiff sein. Durch die austauschbaren Module werden die Kernfähigkeiten ergänzt – das Schiff wird zum Spezialisten. Zurzeit sind zwei Missionsmodule vorgesehen: ein Modul „ASW-Lagebild“ und ein Modul „Gewahrsam“. Austausch und Inbetriebnahme der Module soll möglichst schnell und weltweit erfolgen können, idealerweise ohne Eingriffe in die Schiffsstruktur und ohne Werftunterstützung. Außerdem müssen die Module den klimatischen und ozeanografischen Bedingungen standhalten, die im jeweiligen Einsatzgebiet vorherrschen. So wird das Mehrzweckkampfschiff genauso in den Tropen unterwegs sein können wie auch eine Eisklasse besitzen, um polare Gewässer zu befahren.

„Das Mehrzweckkampfschiff soll also in der Lage sein, einerseits überall auf der Welt über lange Zeit in großen Seeräumen zu patrouillieren, Embargos zu überwachen und notfalls deutsche Staatsbürger aus Krisensituationen zu evakuieren, andererseits im Nordatlantik oder Mittelmeer sich notfalls im Seegefecht gegen andere Kriegsschiffe seiner Art und U-Boote durchsetzen zu können. Ein einzelner Schiffstyp konnte so ein breites Aufgabenspektrum bisher nicht erfüllen“, so heißt es in einem Internetauftritt der Deutschen Marine.

Kenngrößen

Vorauszuschicken ist, dass die Marine neben der oben beschriebenen Funktionalität die Vorgaben aus klassifikatorischen Vorschriften, den nötigen Maßnahmen zur Gewährleistung technischer Sicherheit für Personen und Güter an Bord sowie den Richtlinien der maritimen Umwelt (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships, MARPOL) von vornherein einzuplanen. Auch die Einrichtungen für die Besatzung, z.B. Unterkünfte und Nasszellen, sind implementiert. Die Bemessung von Fluchtwegen, also der Gänge und Niedergänge an Bord, folgt heute anderen Standards als bei der Fregatte Klasse 120. Daraus resultieren am Ende für die Marine bisher ungewöhnliche Dimensionierungen.

Wettbewerb

Zum Ablauf der Frist am Donnerstag, 18. Juli 2019, 14.00 Uhr, hatten zwei Wettbewerber ihr „Best and Final Offer“ eingereicht. Neben der German Naval Yards Kiel bewirbt sich die holländische Damen Schelde Naval Shipbuilding um den Auftrag. Seit der Aufforderung zur Abgabe der Offerte waren drei Monate und sechs Tage ins Land gegangen. Informationen zum Stand der Angebotsauswertung und dem laufenden Auswahlverfahren standen bis Redaktionsschluss noch nicht zur Verfügung.

blankBeide Konkurrenten versuchen, das Projekt gemeinsam mit Kooperationspartnern zu stemmen.

German Naval Yards Kiel (GNYK), der verbleibende deutsche Generalunternehmer der europaweiten Ausschreibung, hatte im August 2018 mit thyssenkrupp Marine Systems eine Zusammenarbeitsvereinbarung für die Ausschreibung des Mehrzweckkampfschiffs 180 getroffen. Neben thyssenkrupp will GNYK zahlreiche andere deutsche Zulieferer aus der Marine- und Verteidigungsindustrie in sein Angebot integrieren. Sie kommen nicht nur aus den Küstenländern, sondern auch z.B. aus Bayern und Baden-Württemberg. „Im Falle des Zuschlags wird GNYK die Entwicklung und Konstruktion des Mehrzweckkampfschiffs 180 komplett in Deutschland umsetzen. Auch die Designrechte und das Know-how für die Konstruktion verbleiben damit in der Bundesrepublik“, so die Kieler Werft.

Ähnlich will auch der Mitbewerber Damen verfahren. Das niederländische Schiffbauunternehmen Damen Schelde Naval Shipbuilding (DSNS) will das Mehrzweckkampfschiff 180 bei Blohm+Voss in Hamburg bauen lassen. In einem Interview mit unserer Schwesterzeitung European Defence and Security formuliert Richard Keulen, Director Naval Sales Support bei DSNS: „… dies ist sehr wichtig zu verstehen, weil einige Leute unser Angebot als niederländisches Angebot ablehnen, obwohl dies nicht der Fall ist. Mit Blohm & Voss, im Besitz von Lürssen, haben wir einen starken Partner, der viele Lieferanten in Deutschland hat. Das erlaubt uns, dieses Programm als ein deutsches Programm zu realisieren. Unsere Teilnahme ist eigentlich ziemlich begrenzt. Wir werden dies gemeinsam durchführen und in echter Zusammenarbeit. Das ist sehr wichtig! Das Projekt ist so deutsch wie möglich, weil wir verstehen, dass das zur Verfügung gestellte Budget auch den deutschen Marinecluster stärken soll.“

Kosten

Die Beschaffung von vier Mehrzweckkampfschiffen 180 ist im Bundeshaushalt mit insgesamt 5,27 Milliarden Euro berücksichtigt: Im Haushaltsjahr 2019 sind Mittel in Höhe von 195 Millionen Euro veranschlagt. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Auftragsvergabe noch in diesem Jahr erfolgen könnte. Für die Folgejahre sind jährliche (gesperrte) Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt 5,075 Milliarden Euro eingestellt, für das Haushaltsjahr 2020 in Höhe von 385 Millionen Euro. Die Aufhebung der Sperre bedarf der Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, wenn der Haushalt so vom Parlament verabschiedet wird.

Eine Option für zwei weitere Mehrzweckkampfschiffe 180, für die die Marine eintritt, ist im Haushalt bisher nicht berücksichtigt.

2018 waren 4,232 Milliarden Euro ausgewiesen worden. Der Kostensprung wurde bereits zum Stein des Anstoßes. Bei weiteren Steigerungen besteht nicht nur das Risiko der schwindenden Akzeptanz innerhalb und außerhalb des Parlaments. So gilt jetzt schon:  Aus der diesjährigen Haushaltsaufstellung zeichnet sich die Linie ab, von der in der NATO gegebenen Zusage, die Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen zu lassen, abzuweichen. Kostensteigerungen bei dem Mehrzweckkampfschiff 180 könnten deswegen zu unerwünschten Effekten führen – etwa Streckung des Projektes oder Kompensationsleistungen innerhalb des Einzelplans 14. Neben dem Finanziellen bleiben zügige Auftragsvergabe, rechtzeitiger Mittelabfluss, Überwachung in der Umsetzung und Einhaltung der Zeitvorgaben kritische Faktoren bei der Realisierung des Großprojektes.

Für die Einordnung der Kosten des Mehrzweckkampfschiffs 180 bietet der internationale Vergleich eine Orientierungshilfe.

Kanada veranschlagt für seine Fregatte Type 26 (150 m Länge, 6.900 t Verdrängung, 15 Einheiten) umgerechnet ca. 2,7 Milliarden Euro pro Schiff. Hierin eingerechnet sind die Lebenszykluskosten (Operations and Maintenance).

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Die „Arleigh-Burke“-Klasse kommt auf einen Stückpreis von rund einer Milliarde Euro (Foto: US Navy)

Die US Navy gibt für ihre ebenfalls als Multi-Missions-Schiff konzipierte „Zumwalt“-Klasse (183 m Länge, 15.000 t Verdrängung, drei Einheiten) 3,9 Milliarden Euro pro Einheit aus (durchschnittlich). Nach einer Produktion von mehr als 60 Schiffen kommt die US DDG-51 „Arleigh-Burke“-Klasse (je nach Variante 154 bis 156 m Länge, max. 9.200 t Verdrängung) auf einen Stückpreis von einer Milliarde Euro. Die im Finanzjahr 2019 eingebrachten drei weiteren „Arleigh-Burke“ (Baunummer 80, 81, 82) sollen umgerechnet 1,606 Milliarden Euro pro Stück kosten.

Für ihre FDI (Frégates de défense et d’intervention, 121,6 m Länge, 4.460 t Verdrängung) will die französische Marine 750 Millionen Euro pro Einheit investieren. Die FREMM (Frégates multi-missions, 142 m Länge, 6.000 t Verdrängung, acht Einheiten), ebenfalls französische Marine, werden auf 800 Millionen bis zu einer Milliarde Euro pro Einheit angesetzt.

Italien gibt für seine FREMM (144,6 m Länge, 6.700 t Verdrängung, zehn Einheiten) 598 Millionen Euro (Finanzjahr 2016) pro Einheit aus. Wobei die realen Kosten höher liegen dürften, da die Exportversionen bereits ab 750 Millionen Euro gehandelt werden.

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Die französischen Frégates de défense et d’intervention werden mit einem Stückpreis von rund 750 Millionen Euro veranschlagt (Grafik Naval Group)

Trotz aller Probleme bei solchen Vergleichen liegen die Kosten für das Mehrzweckkampfschiff 180 im Rahmen. Letztendlich macht nicht der Stahl ein Schiff teuer, sondern die komplexen Systeme und ihre Integration. Und, wie beschrieben, bestimmte die Funktionalität sowie anzuwendende Standards die Dimensionierung – sie wurden nicht in einen vorhandenen Entwurf hineingebaut.

Fazit

Angesichts des sicherheits- und verteidigungspolitischen Rahmens steht das Mehrzweckkampfschiff 180 für die konsequente Rückbesinnung auf alte Qualitäten mehrdimensionaler Seekriegführung unter Anwendung moderner technologischer Lösungen, ohne die Grenzen des Machbaren zu überschreiten. Das Mehrzweckkampfschiff 180 soll kein kleines Schiff werden, es wird vielmehr „so groß wie nötig“. Mit seinen Fähigkeiten bietet es den politischen Entscheidern eine Bandbreite von Möglichkeiten bei der Umsetzung deutscher Interessen.

Dabei drängt die Zeit, das Schiff, dem die Typisierung als F126 zustünde, zur Verfügung zur stellen. Im Interview mit der „ES&T“ 4/19 hatte der Inspekteur der Marine die Dringlichkeit einer Entscheidung zum Mehrzweckkampfschiff 180 unterstrichen: „Ich erwarte diese Schiffe jetzt 2027 in der Marine. Diese Zeitlinie ist wichtig, um zu vermeiden, dass wir in eine Fähigkeitslücke hineinlaufen, weil wir dann, 2027, mit der Fregatte 123 ja auch so langsam an das Ende der Lebenszeit kommen.“

Autor: Hans Uwe Mergener