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Es ist mittlerweile Allgemeingut, dass in Deutschland die Landes- und Bündnisverteidigung und die Einsätze im Rahmen des internationalen Krisenmanagements gleichrangig nebeneinanderstehen. Das Weißbuch der Bundesregierung und die Folgedokumente beschreiben – auch aufgrund der russischen Aggressionen in der Ukraine/Krim – den erforderlichen Paradigmenwechsel.

Kampffahrzeuge und Fahrzeuge der taktischen Landmobilität leisten zum Erfolg militärischer Landoperationen einen entscheidenden Beitrag, sie erfüllen in allen Fähigkeitskategorien entscheidende Aufgaben. Bei dem zukünftig möglichen Bedrohungsspektrum der Landstreitkräfte stellt der Schutz der Besatzungen und der Fahrzeuge eine besondere Herausforderung dar.

Die Bedrohung

Die militärischen Aktivitäten der Bundeswehr und der NATO-Verbündeten werden vielschichtiger. Auch die damit verbundenen Bedrohungen sind umfangreicher und gefährlicher geworden, da die Bedrohungen der symmetrischen Kriegführung durch Bedrohungen der asymmetrischen Kriegführung überlagert werden können.

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Spähwagen Fennek nach Beschuss mit RPG 7 (Foto: Bundeswehr)

Bereits im Weißbuch 2016 der Bundesregierung wird festgehalten: „Insgesamt wird das Gefährdungsspektrum für unsere Sicherheit breiter, vielfältiger und unberechenbarer.“

Landfahrzeuge sind im gesamten Aufgabenspektrum im Wesentlichen rundum durch Wirkmittel wie z. B. Sprengstoffe (Improvised Explosive Devices, IED bzw. Explosively Formed Penetrator, EFP), Minen, Splitter und Direktfeuerwaffen (u. a. Kinetische Energie-Geschosse, KE) und Panzerabwehrhandwaffen bedroht.

In den aktuellen Einsätzen im Rahmen des internationalen Krisenmanagements ist die Bedrohung durch Minen, IED und durch Panzerabwehrhandwaffen z. B. die RPG-7 besonders akut. Die Gefährlichkeit der RPG 7 resultiert aus der hohen Eindringleistung und besteht auch darin, dass sie preiswert ist, weltweit in sehr hohen Stückzahlen gebaut wurde und in allen Krisengebieten verfügbar ist.

Es entstehen auch neue Bedrohungen. So werden RPG auch von Dächern im Top-Attack-Modus eingesetzt und IED werden mit EFP-Effekt sowie mit hohen Sprengstoffmengen z. B. in Dükern (Culvert Mines) verwendet.

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Aktuelle Bedrohungsvektoren für gepanzerte Rad- und Kettenfahrzeuge (Grafik: Horst/ mawibo media)

Bei Einsätzen im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung führen auch neue russische Kampfpanzerentwicklungen (z. B. Armata T-14) und die in den vergangenen Jahren durchgeführte Modernisierung bzw. laufende Kampfwertsteigerung der russischen Kampf- und Schützenpanzer zu einer deutlichen Steigerung des Bedrohungspotenzials. Im Wesentlichen wurden die Leistungsmerkmale Feuerkraft und Schutz der Kampfpanzer erheblich verbessert. Die russische 125-mm-Glattrohrkanone erlaubt auch den Einsatz von KE-Geschossen mit bis zu 695 mm langen modernen Penetratoren, mit dem hohe Durchschlagsleistungen (mindesten 600 mm Rolled Homogeneous Armour, RHA) erreicht werden. Aus der Waffe können auch lasergelenkte Flugkörper mit Tandem-HL-Gefechtskopf verschossen werden.

Die neue Bedrohung besteht also im Einsatz großkalibriger KE-Penetratoren, der hohen Kadenz kleinerer KE-Penetratoren und lasergelenkter Flugkörper mit Tandem-HL-Gefechtskopf. Reaktive und aktive Schutztechnologien, Verbesserungen in der Feuerleitanlage sowie eine starke Bewaffnung sind die Hauptmerkmale dieser Kampfpanzervarianten. Der neue Kampfpanzer Armata T-14 und die Umrüstung der Varianten T-72, T-80 und T-90 stellen hinsichtlich der Bedrohung einen entwicklungstechnischen Sprung dar, der nicht nur eine mögliche neue Generation von westlichen Kampfpanzerentwicklungen beeinflussen wird, sondern auch die Entwicklung neuer Panzerabwehrtechnologien aller Art.

Das militärische Schutzverständnis

In der Bundeswehr wird aus militärischer Sicht der Schutz in der Teilkonzeption „Schutz von Kräften und Einrichtungen im Einsatz“ beschrieben. Hier versteht man unter Schutz alle Maßnahmen und Mittel gegen Bedrohungen, insbesondere durch gegnerische Einwirkung. Schutz dient dem Erhalt der eigenen Handlungsfähigkeit und Einsatzfähigkeit eigener Kräfte und Mittel.

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Das Gesamtschutzkonzept (Grafik: Bundeswehr WTD 91/ mawibo media)

Während der „Indirekte Schutz“ auf Maßnahmen, Verfahren und die Organisation zielt, um das Auftreten einer Bedrohung schon im Vorfeld zu verhindern, besteht der „Direkte Schutz“ aus aktiven, reaktiven und passiven Schutzmaßnahmen.

In dem folgenden Artikel geht es im Wesentlichen um den „Direkten Schutz“ und im Speziellen um passive, reaktive und abstandsaktive Schutzlösungen und deren mögliche Kombination.

Lösungsmöglichkeiten

Die Anforderungen an den Schutz sind in den letzten Jahren auch durch Mehrfachbedrohungen deutlich gestiegen. Benötigt wird immer eine stabile Grundstruktur, die die Restmengen an Energie bzw. an Projektilen/Projektilteilen sicher aufnehmen kann. Militärische Landfahrzeuge sind durch das Bauvolumen und das Gewicht hinsichtlich der Möglichkeiten zum Schutz allerdings begrenzt.

Passiver Schutz

Der Basisschutz der reinen Stahlkonstruktion reicht in der Regel nicht aus, um Schutz gegen höhere Bedrohungen zu erreichen. Reine passive Schutzlösungen und Add-on-Lösungen (neue Stahlarten, Keramik, Auskleidungsmaterial, Verbundpanzerplatten, Schott- und Beulblechpanzerung) bieten keinen umfassenden Schutz und sind wegen der oftmals geforderten Lufttransportfähigkeit in verfügbaren Luftfahrzeugmustern sowie der immer begrenzten Gewichtsreserven nicht realisierbar. Gewicht und Bauvolumen dieser Lösungsmöglichkeit sprengen selbst die Gewichts- und Bauvolumengrenzen aktueller deutscher Kampfpanzer.

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Konzepte und Schutzlösungen am LMV von Iveco (Foto: Horst)

Mit dem Einsatz von Materialien, die bei gleicher oder besserer Leistung (z.B. Titan) gegenüber Stahl eine geringere Dichte haben oder die dem hydrodynamischen Eindringen mehr Widerstand entgegensetzen (Glas, Keramik, Verbundpanzerungen), wurden teilweise große Erfolge erzielt. Doch immer wurden solche Vorteile durch ein größeres Bauvolumen und/oder einen hohen Preis erkauft, wobei die Gewichtseinsparungen in der Regel bei maximal 50 Prozent liegen. Ob Panzerstahl, neuartige Kompositwerkstoffe oder Keramikverbundsysteme zum Einsatz kommen, es sollen neben einem hohen Schutzfaktor auch deutliche Gewichtseinsparungen erzielt werden.

Selbst mit den heute verfügbaren modernsten Materialien (z. B. Nano-Werkstoffen) würden die taktischen Gewichtsobergrenzen der Plattformen überschritten. Da aber signifikante Verbesserungen in den Materialeigenschaften nicht absehbar sind, müssen alternative Ansätze gefunden werden, um den Schutz der Besatzungen zu steigern, ohne die Mobilität der Landfahrzeuge wesentlich zu beeinträchtigen.

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Passive Schutzlösung gegen große KE-Geschosse für einen Kampfpanzer (Foto: Horst)

Für Landfahrzeuge mit integriertem Schutz werden die Fahrzeughüllen – unter Verwendung möglichst großer Bauteile und damit weniger Schweißnähte oder Verbindungselemente – aus Materialien mit hohen Schutzeigenschaften von Spezialfirmen (z.B. Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, IBD Deisenroth Engineering GmbH, GEKE Schutztechnik GmbH) hergestellt. Die Produktion verlangt spezielles Know-how im Umgang mit den Sonderwerkstoffen insbesondere beim Biegen und Schweißen.

In den letzten Jahren hat IBD Deisenroth Engineering (seit 1. Juni 2019 Rheinmetall Protection Systems) Konzepte und Lösungen entwickelt, die in mehreren Fahrzeugen zur Anwendung kamen. IBD/RPS hat eine Palette von hochfesten Nano-Materialien auf Basis von Metallen, Keramik und Faserverbundstoffen entwickelt, die über eine deutlich erhöhte Energieabsorptionsfähigkeit verfügen. Durch Kombination dieser Materialien in Hybridlösungen können neue Schutzlösungen entwickelt werden, um das komplette Bedrohungsspektrum und alle relevanten Bedrohungsniveaus abzudecken. Als Hybridlösung in 3D-Faserverbundstoff-Formteile eingebettet, können Metalle und Keramik auch komplexe Fahrzeugbereiche schützen und ballistische Lücken schließen. Die neuen Schutztechnologien werden sowohl für den kompletten Bereich der STANAG 4569 Level 2 bis 6 eingesetzt als auch gegen großkalibrige Bedrohungen. Darüber hinaus bieten sie Schutz gegen alle bekannten Arten von Blast- und Splitter-IED.

Reichen diese Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzfähigkeiten nicht aus, muss man zu weiteren Schutzlösungen oder aus Kombinationen von Schutzsystemen kommen, die auch modular zur Anwendung kommen können.

Reaktiver Schutz

Bei dem reaktiven Schutz unterscheidet man grundsätzlich zwischen explosiven, reagiblen, nicht explosiven und elektrischen Panzerungen. Besonders explosive Reaktivschutzlösungen zeichnen sich durch deutliche Erfolge in der Schutzwirkung aus und sind schon seit Langem bei vielen Nationen an Fahrzeugen im Einsatz.

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Funktion des Reaktivschutzes in einer Röntgenblitzaufnahme, der Strahl des Stachels wird abgelenkt und gebrochen. (Foto: DND)

Der explosive Reaktivschutz (Explosive Reactive Armour, ERA) stellt dem Hohlladungsstrahl nicht allein Panzerungsmaterial entgegen, er stört nicht das Projektil selbst, sondern arbeitet mit einem den Hohlladungsstrahl selbst störenden Abwehrprinzip. Diese Reaktion muss natürlich sehr schnell erfolgen, da sich nach Auftreffen der Granate die Vorgänge mit sehr hoher Geschwindigkeit abspielen. Daher kommt hier als Wirkmittel wiederum Sprengstoff infrage. Zwischen zwei Platten (aus Metall oder auch aus Verbundwerkstoff) werden eine oder mehrere Schichten aus Sprengstoff angebracht. Ein auftreffender Hohlladungsstrahl löst den Sprengstoff aus, der dann die Platten unter einem Winkel dem Strahl entgegen beschleunigt und im Zwischenraum eine hohe Blastwirkung aufrechthält. Dieser Mechanismus führt zu einer drastischen Verringerung der Eindringtiefe des Hohlladungsstrahls.

Natürlich richten sich die Gesamtgröße des Aufbaus und auch die Sprengstoffmenge nach der Leistung der zu bekämpfenden Bedrohung. In der Praxis kommen Reaktivschutzelemente in Boxen zum Einsatz. Dadurch bleibt im Trefferfall die Wirkung in der Regel auf eine Box beschränkt. Die Boxen sind gewichtsmäßig so bemessen, dass sie von der Besatzung des Fahrzeuges ohne großen Aufwand montiert bzw. ausgetauscht werden können.

Für die praktische Anwendung an Fahrzeugen sind natürlich das Gewicht und das Bauvolumen einer solchen Schutzanordnung im Vergleich zu einer Stahlpanzerung interessant. Durch die Verwendung von Reaktivschutz erreicht man eine Gewichtsreduktion von bis zu 90 Prozent gegenüber einer reinen Stahllösung. Wird Reaktivschutz an einem Fahrzeug verwendet, werden nur extrem unempfindliche Sprengstoffe verwendet. Sie detonieren nur bei einem Auftreffen eines Hohlladungsstrahls und bleiben beim Beschuss mit Maschinenkanonen, leistungsstarker KE-Munition oder den Wirkungen von IED passiv. Auch benachbarte Boxen reagieren nicht, da nur die vom Hohlladungsstrahl direkt getroffenen Wirkelemente detonieren.

Der Schutz muss nicht nur hinsichtlich seiner ballistischen Wirksamkeit geprüft werden, sondern auch die sogenannte Systemkompatibilität und die Einhaltung besonderer Sicherheitsanforderungen gilt es zu berücksichtigen. Der Reaktivschutz muss genau wie das Fahrzeug unterschiedlichen Umweltbedingungen standhalten, ohne seine Wirkung und seine Unempfindlichkeit zu verlieren oder seine Eigenschaften zu ändern. Dazu gehören Standardprüfmethoden zu Temperaturwechseln, Regen, Sand, Blitzschlag, Erschütterungen und Beschuss mit unterschiedlichen Waffen und Munitionstypen.

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SPz Puma mit aufgerüsteten Reaktivschutzelementen von DND (Foto: PSM)

Vor allem wegen befürchteter Kollateralschäden stand man dem Reaktivschutz in Deutschland zunächst skeptisch gegenüber. Hier führten erst die konsequente Verwendung von nichtsplitterfähigem Material sowie der Einsatz eines speziellen sehr unempfindlichen Sprengstoffes zur Akzeptanz. Es werden Verbundstoffplatten und Kunststoffschrauben verwendet, die sich nach Umsetzung des Sprengstoffs in unmittelbarer Nähe des beschossenen Fahrzeuges zerlegen und keine gefährlichen Splitter erzeugen. Im Zuge der Qualifikation konnten bestehende Sicherheitsbedenken ausgeräumt werden, sodass nun ein effektives und ungefährliches Produkt zum Schutz militärischer Fahrzeuge (z. B. am Schützenpanzer Puma) zur Verfügung steht. Hersteller dieses Reaktivschutzes ist die Firma Dynamit Nobel Defence GmbH.

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SMART PROTech an einer Fahrzeugseite (Grafik: RPS)

Mit der Entwicklung von SMART PROTech ist es Reinmetall Protection System gelungen, einen wirksamen Schutz insbesondere gegen Hohlladungen bereitstellen zu können. Das Basiselement ist ein Modul, das einen Sensor sowie ein oder zwei Gegenmaßnahmen beinhaltet, abhängig von der Modulgröße und seiner Position auf dem Fahrzeug. Durch das Auftreffen der Bedrohung auf der Moduloberfläche wird die zugeordnete Gegenmaßnahme ausgelöst.

Der von ihr erzeugte Energiestrahl ist so ausgerichtet, dass er den Hauptgefechtskopf zerstört, bevor sich der Hohlladungsstachel entwickelt. Die Module können nicht durch klein- und mittelkalibrige Waffen ausgelöst werden.

Funktionsprinzip SMART PROTech (Grafik: RPS)

Abstandsaktive Schutzlösungen (Hard-Kill)

Der Schutz der Gefechts- und Transportfahrzeuge gegen Hohlladungsgefechtsköpfe ist eine besondere Herausforderung. Die Verwendung herkömmlicher Schutzmaterialien (Stahl, Keramik, Verbundwerkstoffe), aber auch aktiver, mit Sprengstoff wirkender Schutzelemente ist hinsichtlich des Volumens und der Gewichte bei Fahrzeugen nur schwer realisierbar, ohne die Mobilitätseigenschaften wesentlich zu beeinflussen. Dieser Art der Bedrohungen kann mit abstandsaktiven Schutzsystemen begegnet werden, die nach dem Hard-Kill-System arbeiten.

In den 1980er Jahren wurden auf russischen Kampfpanzern die ersten Hard-Kill-Schutzsysteme eingeführt. Bei anderen Armeen war man hinsichtlich des Einsatzes dieser automatischen Verteidigungssysteme weitaus zurückhaltender.

Da gelenkte und ungelenkte Flugkörper von Panzerabwehrwaffen in der Regel eine vergleichsweise geringe Geschwindigkeit (150 m/s bis 400 m/s) aufweisen, lässt die zur Verfügung stehende Zeit zwischen Abfeuern und Auftreffen des Wirkmittels am Fahrzeug die Möglichkeit zu, die Geschosse aktiv zu bekämpfen und durch Gegenmaßnahmen zu zerstören.

Abstandsaktive Schutzsysteme werden weltweit von einigen Firmen angeboten und sind teilweise auf Gefechtsfahrzeugen schon im Einsatz. Von einigen Firmen werden Systeme zur Verwendung auf Kampffahrzeugen und leichtere Systeme zur Verwendung auf Radfahrzeugen angeboten.

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Trophy von Rafael wird in Israel erfolgreich auf dem Kampfpanzer Merkava eingesetzt. (Foto: IDF)

Beim Trophy von Rafael werden mit einem Radar Bedrohungen erfasst, verfolgt und mithilfe eines Feuerleitcomputers mit einer Serie von kleinen Hohlladungen ausgeschaltet. Trophy wird in Israel erfolgreich auf Kampffahrzeugen (Merkava) eingesetzt. Die U.S. Army beschafft eine Trophy-Zwischenlösung für ihre Kampfpanzer M1 Abrams und eine Iron Fist-Zwischenlösung von Elbit (ehemals IMI-Systems) für die Bradley-Fahrzeuge. Untersuchungen der U.S. Army zur Ausstattung der Stryker-Flotte mit einem abstandsaktiven Schutzsystem konnten bisher nicht zufriedenstellend abgeschlossen werden und dauern noch an. Vermutlich sind hier Forderungen an die Fahrzeugstruktur in Verbindung mit Gewichts- und Raumherausforderungen ausschlaggebend.

Funktionsweise Trophy (Video: Rafael)

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Durch den sogenannten IS zerstörter türkischer Kampfpanzer Leopard 2 (Foto: Horst)

Der Mangel an abstandsaktiven Schutzsystemen stellt auch für die deutschen Kampfpanzer eine bereits seit Jahren bekannte Schwäche dar, die zuletzt im Januar 2017 deutlich wurde, als türkische Kampfpanzer Leopard 2 A4 aufgrund dieses fehlenden Schutzes durch IS-Kräfte zerstört wurden. Im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force Land 2023 sollen 17 Kampfpanzer Leopard 2 mit Trophy ausgerüstet werden.

Iron Curtain von Artis verwendet Radar und optische Sensoren zur Auffassung von Zielen und bekämpft diese nach Berechnung der Bedrohung mit Gegenmunition. Angriffe können in wenigen Zentimetern Entfernung vor dem Einschlag abgewehrt werden. Ein Funktionalitätsnachweis im Rahmen des U.S. Army-Testprogramms aktiver Hard-Kill-Schutzsysteme konnte für Iron Curtain nicht erbracht werden. In der Folge hat die U.S. Army entschieden, das deutsche ADS-System von Rheinmetall in das Testprogramm aufzunehmen und umfangreich zu testen.

Iron Fist von Elbit ist ein abstandsaktives Schutzsystem, das mit einem Abwehrgeschoss eine erkannte Bedrohung neutralisiert. Mit Radar- und Infrarotsensoren werden anfliegende Bedrohungen (u. a. Panzerabwehrgranaten und -raketen) erkannt. In optimaler Entfernung zum Flugkörper wird der Abwehrkörper gestartet, der in der Nähe des Ziels detoniert und mit seiner Druckwelle die anfliegende Bedrohung stört oder die Hohlladung in einiger Entfernung von der zu schützenden Plattform zur Auslösung bringt.

Funktionsweise Iron Fist (Video: Elbit Systems)

AVePS (Active Vehicle Protection System) von Diehl ist ein werferbasiertes Schutzsystem, das Effektoren gegen anfliegende Bedrohungen verschießt. Kombinierte Radar- und IR-Sensoren dienen der Detektion und Verfolgung der Bedrohung ab einer Entfernung von mehreren hundert Metern wie auch im Nahbereich.

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Abwehr eines ATGM-Angriffes aus kürzester Entfernung mit einem System von ADS (Foto: Rheinmetall)

Das Active Defence System (ADS) von Rheinmetall verfügt über radarbasierte sowie redundante elektro-optische Sensoren, die bei erkannter Bedrohung die Aktivierung eines Schutzsektors veranlassen. Bedrohungen werden durch die gerichtete (pyrotechnisch erzeugte) Blastwirkung vernichtet. Das System ist besonders effektiv in Multi-Hit-Szenarien und kann auf jede Fahrzeuggröße angepasst werden.

Flugkörper werden im Anflug detektiert und mit gerichteter Blastwirkung unmittelbar vor dem Ziel zerstört. Die Wirkladungen sind fest um das Fahrzeug angeordnet und verwenden keine drehbaren Werfer. Der Sensor verfolgt die Flugbahn, und die Abwehrlogik ermittelt, ob die Waffe treffen wird. Liegt ein Vorbeiflug vor, werden die weiteren Komponenten nicht aktiviert.

Das System ADS-Gen3 wurde mit einer gestaffelten Anzahl von redundanten Sensoren und Vernichtungsladungen entworfen, die mindestens drei Angriffe in jedem beliebigen Bereich – gleichzeitig und aus unterschiedlichen Richtungen – standhalten können. Eine Vernichtung der Bedrohung ab zehn Meter vor dem Trägerfahrzeug ist daher möglich.

Die extrem kurze Reaktionszeit – die Reaktionszeiten des ADS-Gen3 liegen im Bereich unterhalb von Millisekunden – gepaart mit der Fähigkeit, auf kürzeste Distanz Bedrohungen abzuwehren, ergibt weitere Vorteile:

Die Sensorik des ADS-Gen3 überwacht lediglich einen Radius von circa 30 Meter um das zu schützende Fahrzeug. Es wird also im Vergleich zu Werfersystemen, die eine längere Reaktionszeit haben und daher deutlich früher zuverlässig ein Ziel erkennen müssen, nur wenig elektromagnetische Energie abgestrahlt. Der geringe Überwachungsabstand des ADS-Gen3-Radars begünstigt eine hohe Auflösung, mit der sowohl Waffen mit einem geringen Radarprofil sicher detektiert werden können als auch zeitlich gestaffelte Angriffe erkannt werden. Die geringe Abstrahlenergie reduziert auch die gegenseitige Beeinflussung mit Fahrzeugen in unmittelbarer Nähe, und die präzise Bekämpfung im absoluten Nächstbereich zerstört das angreifende Fluggeschoss, ohne dass die eigentliche Zündung des Gefechtskopfes erfolgt.

Die erforderlichen Reaktionszeiten ADS-Gen3 erfordern autonome Funktionen. Dabei steht die funktionale Sicherheit bzw. die Systemsicherheit im Fokus, die anhand der DIN ISO 61508 konsequent umgesetzt wurde. Systemsicherheit bedeutet in diesem Kontext, dass eine unbeabsichtigte Auslösung mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Der Dreiklang von Funktionsnachweis, verringerten Kollateraleffekten sowie nachgewiesener Systemsicherheit muss erfüllt werden, um eine beherrschbare sowie verlässliche Einführung auf Fahrzeugen von Streitkräften gewährleisten zu können und um Vertrauen in diese Technologie zu bewirken.

Funktionsweise ADS (Video: Rheinmetall)

Abstandsaktive Hard-Kill-Systeme bieten grundsätzlich Potenzial zur Verbesserung des Schutzes der Kräfte im Einsatz, besonders bei dem Schutz gegen Geschosse von Panzerabwehrwaffen und Lenkflugkörpern. Die Abwehr von schnell fliegenden großen KE-Geschossen, KE-Geschossen mit hoher Kadenz und von IED-/EFP-Wirkungen erfordern zusätzliche Schutzmaßnahmen.

Abstandsaktive Schutzlösungen (Soft-Kill)

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MUSS-Sensoren am Schützenpanzer Puma (Foto: KMW)

Das abstandsaktive Multifunktionale Selbstschutzsystem (MUSS) von HENSOLDT ist im Schützenpanzer Puma integriert. Der SPz Puma gilt als der derzeit bestgeschützte Schützenpanzer seiner Klasse. Das System arbeitet nach dem Soft-Kill-Prinzip. Anfliegende Lenkflugkörper werden durch die Störung der Lenksysteme vom Kurs abgebracht, oder das Ziel wird für die Erfassungssysteme so verschleiert, dass Treffer vermieden werden. MUSS schützt sowohl vor laser- als auch drahtgelenkten Flugkörpern und ist für den Einsatz gegen Fire-and-Forget-Waffen geeignet. Das System schützt allerdings nicht vor ungelenkten Panzerabwehrhandwaffen, die mit rein optischen Visieren ins Ziel gebracht werden.

Die Zukunft

Die Vielzahl der möglichen Bedrohungen vom Brandsatz über IED-Wirkungen bis hin zum großkalibrigen KE-Geschoss eines modernen feindlichen Kampfpanzers erfordert die optimale Abstimmung der einzelnen Schutzkomponenten. Wobei die Auslegung der Schutzsysteme von militärischen Fahrzeugen entscheidend von der Bedrohungslage abhäng und nur in einem Gesamtsystemansatz zu realisieren ist. Landfahrzeuge müssen so ausgelegt werden, dass verschiedene Schutzmaßnahmen bedrohungsgerecht zu einem maximalen Schutzwert kombiniert werden können. Die Lösung liegt in hybriden Maßnahmen und der intelligenten Kombination von Schutztechnologien.

Darüber hinaus können die Einzelsysteme – besonders im Hinblick auf neu auftretende Bedrohungen, z. B. durch KE-Geschosse – zur Verbesserung der Schutzwirkung optimiert werden. Aktive Schutzsysteme können sowohl durch passive als auch reaktive Lösungen unterstützt werden, z. B. durch die Gestaltung der Reaktivpanzerung als Reaktion auf KE-Bedrohung (höhere Sprengstoffempfindlichkeit) oder durch die Kombination von passiven und reaktiven Lösungen. Da abstandsaktive Schutzsysteme gegen KE-Bedrohungen (symmetrische  Kriegführung) und Top-Attack-Angriffe wenig geeignet sind und reine passive Lösungen aus Gewichts- und Bauvolumen in der Regel ausscheiden, besteht hier ein Bedarf an der effektiven Kombination von passiven und reaktiven Schutztechnologien. An der deutlichen Reduzierung der Wirkung von modernen KE-Geschossen wird z. B. durch die Kombination passiver und explosiver Reaktivschutzpanzerungen bereits gearbeitet.

Passive, reaktive und aktive Schutzlösungen sollten also im Zusammenwirken verschiedener Schutztechnologien realisiert werden, weil nur so der optimal mögliche Schutz von Landfahrzeugen erreicht werden kann. Als ein deutscher Hersteller hat Rheinmetall – zuletzt mit der Eingliederung von IBD Deisenroth Engineering sowie aller im Konzern vorhandenen Schutztechnologien (Hard-Kill-Schutz, Soft-Kill-Schutz und Passivschutzfertigung) in die Rheinmetall Protection Systems GmbH – auf diese Notwendigkeit reagiert und ist erstmals in der Lage, umfassende und ganzheitliche Schutzlösungen anzubieten.

Einen hundertprozentigen Schutz kann es nicht geben. Das Restrisiko muss aber so gering wie nur möglich gehalten werden, und der Schutz hat nicht zuletzt angesichts der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen hohen Stellenwert. Es kommt jetzt auch darauf an, die militärischen Schutzforderungen in den Folgedokumenten der Konzeption der Bundeswehr so zu implementieren, dass ein mit den finanziellen Ressourcen abgestimmtes, differenziertes, realistisch erreichbares Schutzniveau gefordert und zeitnah erreicht wird.

Michael Horst