Print Friendly, PDF & Email

Während der NATO-Speerspitze (Very High Readiness Joint Task Force/VJTF) 2019 waren die dort eingesetzte Truppen darauf angewiesen, Personal und Material aus anderen Verbänden zusammenzuziehen – und nach der Phase der Führung dieser Eingreiftruppe auch wieder zurückzugeben. Dass diese Mangelverwaltung bei der nächsten Übernahme der Führungsrolle durch Deutschland 2023 nicht mehr erforderlich sein soll, ist das formulierte Ziel der Bundeswehrführung. Auf allen Ebenen sollte die Ausgangslage besser sein. Dass dieses Ziel nicht erreicht werden wird, sickerte schon zur Jahreswende 2019/2020 durch.

Das räumte nun der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Alfons Mais, auf einer digitalen Veranstaltung des Förderkreises Deutsches Heer am 4. November ein. Vor einer Zuhörerschaft, die vorwiegend aus dem politischen Raum kam, sagte Mais: „Den noch vor drei Jahren postulierten Anspruch, die nächste VJTF aus einer Brigade des Deutschen Heeres autark alimentieren zu können, haben wir nicht erreicht. Das damit verbundene Ziel des Rüstens einer sogenannten „Standardbrigade“ musste frühzeitig aufgegeben werden. Sachgerechtes Erwartungsmanagement zu den Konsequenzen dieses Engagements ist daher notwendig. Es wird erneut zu zahlreichen Materialbewegungen aus dem gesamten Heer in diese Brigade kommen müssen, auch wenn in deutlich geringerem Umfang als 2015 und 2019.“

Die NATO-Speersitze 2023 befände sich in der Umsetzungsphase und sei planerisch fertig. 2020/21 würden noch einige Rüstungsvorhaben mit Heeresbezug beschlossen werden. So ist noch mit weiterem Material für die designierte Truppe zu rechnen.

Es gibt bereits „signifikante Fortschritte“, die auch in der Truppe zu spüren sind. Als Beispiel nannte Mais die Einrichtung des Battle Management Systems – SitaWare Frontline von Systematic – in die Panzergrenadierbrigade 37. Dadurch werde „die Daten- und Informationsverarbeitung im Führungssystem dieses Großverbandes auf eine neue Stufe“ gehoben. Es gebe aber auch Schatten. Es zeichne sich bereits heute ab, dass nicht alles für die VJTF 2023 zu beschaffende Material  die Truppe rechtzeitig erreichen wird.

Ein deutscher Soldat der 9. Panzerbrigade macht seinen Schützenpanzer Marder während einer Übung in der Nähe von Eystrup, einsatzbereit. Die Neunte Panzerbrigade ist Teil der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF), der ersten schnellen Eingreiftruppe der NATO. Die 5.000 Mann starke Gruppe besteht aus Land-, Luft-, See- und Spezialkräftekomponenten und kann innerhalb weniger Tage nach einer Krise eingesetzt werden. Deutschland hat die VJTF im Jahr 2019 geführt. Foto: NATO

Mängelliste

Nach Angaben des Inspekteurs werden beispielsweise die Aufklärungsdrohne mittlerer Reichweite Husar sowie die Fähigkeit zur qualifizierten Fliegerabwehr nicht rechtzeitig fertig oder stünden nur mit einer „abgestuften Qualität“ zur Verfügung.

HUSAR

Die Bezeichnung Husar bedeutet Hocheffizientes, unbemanntes System zur abbildenden Aufklärung in mittlerer Reichweite und basiert auf der Luna Next Generation des bayerischen Herstellers EMT Penzberg. Husar soll das in die Jahre gekommene Kleinfluggerät Zielortung (KZO) des Heeres ablösen. Ursprünglich wurden drei dieser Systeme beschafft, die 2019 der Truppe zulaufen sollten. Im Juni 2019 hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages rund 130 Millionen Euro für die Beschaffung von neun zusätzlichen Systemen freigegeben.

Zum einem System Husar gehören neben jeweils fünf Fluggeräten zwei Bodenkontrollstationen mit zugehörigen Antennenmastsystemen, zwei Startkatapulte, zwei Netzlandesysteme sowie eine Werkstattausstattung. Aus den Bodenkontrollstationen werden die Fluggeräte gesteuert und deren Aufklärungsergebnisse ausgewertet. Die Husar soll eine Flugdauer von mehr als zwölf Stunden und Aufklärungsreichweite von 80 auf 100 km besitzen. Der Sensor soll ein Feld von 100 x 100 Meter abdecken können.

Qualifizierte Fliegerabwehr

Da die zunehmende Verbreitung und Nutzung von Kleinstdrohnen im zivilen sowie militärischen Bereich bis hin zu Drohnenschwärmen als Aufklärungs- und Wirkmittel eine besondere Gefährdung für die Landstreitkräfte darstellen und die Luftwaffe die Fähigkeiten zum Schutz gegen kleinste Ziele zum derzeitigen Zeitpunkt nicht sicherstellen kann, wurde quasi aus der Not heraus die Idee der Qualifizierten Fliegerabwehr geboren. Für die Qualifizierte Fliegerabwehr des Deutschen Heeres wurde daher in einem Sofortprogramm eine Lösung entwickelt, die ursprünglich spätestens für den Einsatz im Rahmen der Speerspitze 2023 verfügbar sein sollte. Die Lösung besteht aus einem GTK Boxer, in dessen Missionsmodul eine fernbedienbare Waffenstation Protector von Kongsberg integriert ist. Als Effektor ist ein 40 mm Granatwerfer mit Airburst-Munition vorgesehen. Airburst-Munition wird so programmiert, dass sie in definierter Nähe zum Ziel detoniert und das Ziel mit einer dichten Wolke von Projektilen zerstört. Diese Bekämpfungsform ist besonders gegen weiche Ziele wie unbemannte Flugobjekte erfolgreich. Wichtigstes Aufklärungselement wird das Spexer 2000 3D MkIII-Radar von Hensoldt.

blank
blank
blank

Einsatzreife des Puma für Anfang 2021 erwartet

Da der Schützenpanzer Puma in seiner eingeführten Form die Schwelle der Einsatzbereitschaft noch nicht erreicht hat, hat die Bundeswehr die Entwicklung von 41 Systemen mit einem Konstruktionsstand „VJTF“, der von der Serie losgelöst ist, beauftragt.

Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hatte Mitte 2019 ca. 730 Million Euro für das sogenannte „System Panzergrenadier“ gebilligt. Das System besteht aus den Kernelementen „Infanterist der Zukunft erweitertes System (IdZ – ES)“  und dem Schützenpanzer Puma. Der Kampfwert des Schützenpanzer Puma soll u.a. durch Maßnahmen zur besseren Vernetzung von Schützenpanzern und abgesessenen Panzergrenadieren gesteigert werden. Das soll bis zum Einsatz bei VJTF 2023 erfolgen.

Ursprünglich sollte die Einsatzreife im Sommer 2020 erreicht werden. Dies gelang nicht in allen Punkten. Der Heeresinspekteur Mais gab sich hoffnungsvoll, dass dies bis Anfang 2021 nachgeholt werden kann. Die Bundeswehr plant nach derzeitigem Stand die Nachprüfung im Februar 2021 durchzuführen.

Zweites Los Puma

Die Erreichung der Einsatzreife hat neben der VJTF auch eine rüstungspolitische Dimension, da die mögliche Beauftragung eines zweiten Loses an die Erreichung der Einsatzreife des Pumas für die VJTF gekoppelt wurde. Um die derzeitige Mischausstattung der Panzergrenadiertruppe mit Puma und Marder zu beseitigen, bestünde ein zusätzlicher Bedarf von insgesamt 229 Schützenpanzern.

In dem Konstruktionsstand VJTF werden Entwicklungen vorgezogen, die in der Serie erst später im Zuge einer konsolidierten Nachrüstplanung vorgesehen sind. Für die Verbesserung der Führungsfähigkeit erhalten die insgesamt 41 Puma neue Tagsicht- und Wärmebildkameras sowie Farbdisplays. Durch die optimierte Tag- und Nachtsicht wird die Aufklärungsreichweite gesteigert und der Besatzung ein erweiterter Sichtbereich gegeben. Damit eng verknüpft ist die „Sichtmittelverbesserung Fahrgestell“, deren Entwicklung bereits angelaufen ist. Neue digitale Funkgeräte und das einheitliche Führungs- und Informationssystem (Battle Management System) „TacNet“ werden Basis der Kommunikation der Puma-Besatzung mit den abgesessenen Panzergrenadieren, den benachbarten Schützenpanzern und den nächsthöheren Führungsebenen.

Die Feuerkraft der 30mm-Airburst-Kanone und des koaxial-MG wird durch Einrüstung des Mehrrollenfähigen Leichten Lenkflugkörpersystems (MELLS) von EuroSpike erweitert. Das gibt den Pumas einen erheblichen Fähigkeitszuwachs. Darüber hinaus ist mit dem Auftrag die komplette logistische Versorgung der VJTF-Pumas über einen Zeitraum von fünf Jahren vereinbart. Das beinhaltet Ersatzteile und Sonderwerkzeuge sowie die Ersatzteillogistik.

Neben den 41 Pumas werden auch zehn Zugsysteme des Soldatensystems IdZ – ES weiterentwickelt. Im Konstruktions-Stand VJTF 2023, auch als „Plus“ bezeichnet, ist der elektronische Rücken durch einen universellen USB-Hub ersetzt worden, der die Anpassung an unterschiedliche Einsatzerfordernisse erleichtert. Ein neuer Tablet-Computer zur Steuerung des Systems und für die visuelle Kommunikation sowie digitale Funkgeräte – beide in Verbindung mit TacNet – verbessern die Möglichkeiten im vernetzten Kampf. Puma-Besatzung und abgesessener Schützentrupp sollen durch die bessere Vernetzung ein gleiches, aktuelles und umfassendes Lagebild erhalten.

Waldemar Geiger