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Obwohl die Panzerabwehr der Bundeswehr in nächster Zeit grundlegend modernisiert werden muss, haben die deutschen Streitkräfte jetzt die Herstellung und Lieferung von insgesamt 1.087 rückstoßfreien Panzerabwehrsystemen (RGW 60) in Auftrag gegeben. Der Auftrag umfasst die Herstellung und Lieferung von 689 Systemen des Typs RGW 60 HEAT (DM 52) und 398 Systemen RGW 60 HESH (DM 62).

Spezialkräfte der Bundeswehr sowie seit kurzem auch spezialisierte Kräfte nutzen die Waffe als leichte Panzerfaust im Kaliber 60 mm. Sie ist in den Versionen Hohlladung (HEAT, DM52), Hohlladung/Splitter (HEAT-MP, DM42) sowie Quetschkopf (HESH, DM62) eingeführt.

 

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Die neue RGW 90 HH A2 (oben), der Prototyp der RGW 90 HH-T (Tandemhohlladungsgefechtskopf) mit dem Feuerleitvisier 4×30 (Mitte) und der Prototyp der RGW 110, hier mit dem Feuerleitvisier 4×30, (unten) im Größenvergleich (Foto: DND)

RGW 60

Die RGW 60 besteht aus Einwegpatronen mit integrierter Abfeuerungseinrichtung (Rohr, Griffstück und Optik). Die Patronen werden schultergestützt und rückstoßfrei (Davis-Kanonenprinzip mit ausgestoßener Gegenmasse) verschossen. Auch ein sicherer Verschuss aus geschlossenen Räumen mit einem Mindestvolumen von 15 m³ ist möglich. Die Waffen verfügen über eine Standardoptik mit einer 1,5-fachen Vergrößerung und sind unter Zuhilfenahme von Nachtsicht- bzw. Wärmebildvorsatzgeräten nachtkampftauglich.

 

Die Zukunft der Panzerabwehr

Die Panzerfaust 3 (PzFst 3) muss in absehbarer Zeit ersetzt werden. Grundsätzlich sind die Nutzer mit der Leistung der Panzerfaust zwar zufrieden. Allerdings muss die Ergonomie (Länge, Gewicht, Gleichgewicht, Bedienbarkeit) an die heutigen Anforderungen angepasst und die Aufwuchsfähigkeit (z.B. Sprengkopf gegen APS) sichergestellt werden. Die Herstellerfirma Dynamit Nobel Defence (DND) behauptet, dies könne die RGW110-Systemfamilie lösen. Jetzt muss noch auf die offiziellen Fähigkeitsanforderungen der Bundeswehr gewartet werden. DND-Mitarbeitern meinen, das Basissystem, das auch auf internationale Märkte ausgerichtet ist, sei fast fertiggestellt.

Der RGW 110 in seiner Basisversion (RGW110 HEAT/HESH-T) verfügt über einen verbesserten Tandemsprengkopf, der kürzer ist, weniger Integrationsraum benötigt, einen ergonomisch besseren Sporn aufweist und eine höhere Durchschlagskraft bietet. Die effektive Reichweite beträgt bis zu 800 m. Im Vergleich zur PzFst 3 ist sie kürzer (ca. ein Meter) und leichter (ca. drei kg). Er kann auch Entfernungen messen und verfügt über einen automatischen Haltepunkt für sich bewegende Ziele. Dynamit Nobel arbeitet dabei mit Hensoldt zusammen.

Die Entwicklung des Prototyps wurde nach Herstellerangaben bis Ende 2019 nahezu abgeschlossen. Dieses Jahr sollen die ersten Schusstests stattfinden. Eine Serienversion wird Ende 2021 oder Anfang 2022 erhältlich sein. Der Tandemsprengkopf des RGW 110 HEAT/HESH-T soll mehr als 1.000 mm modernen Panzerstahls mit zusätzlichem Reaktivschutz (Explosive Reactive Armor/ERA) durchdringen können. Parallel zur Fertigstellung der Basisversion werden derzeit weitere Versionen wie eine Counter-APS-Variante und eine Extended Range-Variante entwickelt.

Die RGW110-Systemfamilie soll dann mittelfristig die Panzerfaust 3 sowie die RGW 60 und RGW 90 ersetzen, um den heutigen Anforderungen auf dem Gefechtsfeld zu entsprechen. Offen ist, ob die anderen Systeme komplett abgelöst oder durch ein zweites paralleles System ergänzt werden sollen. Offen ist auch, ob es ungelenkte und gelenkte Systeme geben kann. Bei mehreren Systemen würden die jetzt schon vorhandenen von den Truppenanteilen verwendet, die nicht ganz vorne eingesetzt sind – wenn es so etwas auf dem hybriden Gefechtsfeld überhaupt noch gibt. Das neue System – RGW 110 – würde dann nur der Infanterie und den Spezialkräften zur Verfügung stehen.

Im Bereich gelenkter Systeme wurde für die Spezialkräfte jüngst das „Leichte Wirkmittel 1800+“ von MBDA Deutschland beschafft. Gemäß einer Aussage des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) soll das Leichte Wirkmittel 1800+ die eingesetzten Spezialkräfte befähigen, ihren Auftrag in einem Wirkbereich bis über 1.800 Meter unter allen auftretenden Einsatzbedingungen bei Tag und bei Nacht sowie daraus abgeleiteten spezialisierten Aufgaben mit einer hohen Ersttrefferwahrscheinlichkeit zuverlässig durchführen zu können. Das Zielspektrum umfasst sowohl stationäre als auch sich bewegende Ziele, weiche Ziele in und hinter Deckungen sowie in Infrastrukturen, gegen die reaktionsschnell und präzise die erforderliche Wirkung erzielt werden muss.

Technische Daten gemäß Herstellerangaben

 

RGW 60 HEAT

High Explosive Anti-Tank (DM 52)

RGW 60 HEAT

High Explosive Squash Head (DM 62)

Gefechtskopf Mono-Hohlladung Quetschkopf
Kaliber 60 mm
Länge 88 cm
Gewicht 5,8 kg 6,1 kg
Kampfentfernung 20 bis 300 m 20 bis 200 m
Wirkleistung Wirkung gegen gepanzerte Ziele: >300 mm RHA (gewalzte homogene Panzerung) Wirkung gegen Strukturziele: ~400 mm Öffnungsgröße in Stahlbeton

 

MBDA hat für das System Vertriebskampagnen u.a. in Polen und Australien gestartet. Außerdem soll die Grundversion in eine ganze Produktfamilie überführt werden. Vorgesehen ist die Integration oder Adaption auf unterschiedlichsten Plattformen, „zu Land, in der Luft oder zu Wasser“. Der Enforcer könne z.B. auf leichtere Waffenstationen als MELLS (Mehrrollenfähiges Leichtes Lenkflugkörper-System) integriert werden. Zunächst sei eine Integration auf dem GTK Boxer vorgesehen. Es kämen aber auch Einsätze auf Unmanned Ground Vehicles (UGV) oder in Remote Controlled Posts (ReCoP) in Frage.

Der Enforcer Air wurde auf den letzten beiden Symposien in Bückeburg – 30. (2017) und 31. (2019) Internationales Hubschrauberforum – durch MBDA angesprochen. Dieser wird erheblich höhere Reichweiten haben, bis zu 20 km+, da er auch gleitfähig sei und eine stabile Flugbahn habe. In bodennahen Anwendungen liegt die Reichweite wohl bei drei bis acht km. So soll der Enforcer von Unmanned Aerial Vehicles (UAV) oder Light Utility Helicoptern (LUH) eingesetzt werden können. Bei den UAVs ist u.a. der Euro Male sowie eine Reihe anderer kleinerer UAVs angedacht. MBDA kann sich zu einem späteren Zeitpunkt auch Einsätze im maritimen Umfeld sowie als Panzerabwehr vorstellen.

André Forkert