Print Friendly, PDF & Email

Digitalisierung ist zwar auf jeder Prioritätenliste ganz weit oben, ohne entsprechende Hard- und Softwarebeschaffungen bleibt dies allerdings ein reines Lippenbekenntnis ohne Mehrwert für die Soldaten.
Da die VJTF (L) 2023 keine ähnliche Blamage – bezogen auf moderne Kommunikationstechnologie – erleben soll wie die VJTF 2019, befinden sich eine Reihe von Vorhaben in Arbeit. Über den Sachstand der aktuellen (Digitalisierungs-)Vorhaben sowie die Entwicklungen in anderen Streitkräften sprach ES&T mit Sven Trusch, Vice President Business Development bei Systematic.

blank
Sven Trusch ist Vice President Business Development bei Systematic (Foto: Systematic)

ES&T: Vergangenes Jahr gab der Inspekteur des Heeres den Startschuss zur Digitalisierung. Was hat sich seitdem entwickelt?

Trusch: Das Heer hat sich aus unserer Wahrnehmung heraus intensiv mit den konzeptionellen Grundlagen zur Digitalisierung beschäftigt und damit die Ausgangslage für konkrete Projekte geschaffen. Personell und strukturell kann man beobachten, dass der Bereich Digitalisierung wächst und an Bedeutung gewinnt. Ein Paradebeispiel hierfür ist der Test- und Versuchsverband des Heeres in Munster, der innerhalb kürzester Zeit aufgestellt wurde und die Arbeit aufgenommen hat. Das haben wir in dieser Qualität nur selten gesehen und wir sind uns sicher, dass hier ein wesentlicher Baustein für zukünftige Digitalisierungs-Projekte geschaffen wurde.

ES&T: Welche Vorhaben – so weit Sie es überblicken können – wurden gestartet?

blankTrusch: Für Systematic steht derzeit insbesondere das Vorhaben „BMS VJTF(L) 2023“ im Vordergrund. Nachdem die verlegefähigen Gefechtsstände des Heeres mit SitaWare Headquarters bereits über ein State of the Art-Führungsinformationssystem verfügen, ist es nun an der Zeit, mit einem BMS die Fähigkeiten bis in die Gefechtsfahrzeuge hinein zu erweitern. Ein wichtiger und konsequenter Schritt in Richtung Digitalisierung. Zugleich wurde mit dem deutsch-niederländischen Programm TEN der Beginn der multinationalen Zusammenarbeit in der Digitalisierung der Landstreitkräfte beschlossen. Wie sich das auf die konkreten Rüstungsvorhaben auswirken wird, ist für uns derzeit noch nicht absehbar.

ES&T: Welche neuen Möglichkeiten bietet SitaWare?

Trusch: SitaWare Frontline bietet als BMS ein umfassendes und aktuelles Lagebild auf der mobilen Ebene. Neben Friendly Force Tracking steht die taktische Operationsplanung und -führung im Vordergrund. Die Fähigkeiten werden unter anderem durch Chat, Meldungen und logistische Funktionalitäten ergänzt. Insbesondere bietet SitaWare Frontline als C4I-Ökosystem auch die Möglichkeit zur herstellerunabhängigen Erweiterung und Integration mittels vorhandener Programmierschnittstellen sowie des Software Development Kits. Genau das macht SitaWare einzigartig!

ES&T: Was passiert mit den aktuell vorhandenen FüInfoSys der TSK?

Trusch: Im streitkräftegemeinsamen Bereich muss es das Ziel sein, die einzelnen FüInfoSys der TSK im Mission Enabling Service der Bundeswehr zusammenzufassen. Im Rahmen von HaFIS wurden hier bereits erste Maßnahmen dahingehend umgesetzt. Für das Heer ist es wiederum wichtig, die einzelnen FüWES schrittweise in das BMS-Ökosystem zu überführen bzw. darin neu zu implementieren. Die Nutzung der im Ökosystem zentral vorhandenen Dienste verringert die Servicevielfalt und steigert die Effizienz. Das Heer bewegt sich damit hin zu einer echten serviceorientierten Architektur, in der die einzelnen IT-Services modular sind und lageabhängig bereitgestellt werden können.

ES&T: Welche Verbesserungen sind zu erwarten durch die Einführung des neuen BMS?

Trusch: Die Einführung des BMS wird ein wesentlicher Meilenstein für die Digitalisierung landbasierter Operationen sein. Es bildet den Ausgangspunkt, um Sensoren und Effektoren miteinander zu vernetzen und damit den Einsatzwert der Kräfte signifikant zu steigern. Es wird nicht nur einen technologischen Fortschritt bringen, sondern auch Grundlage für die Anpassung der operationellen Prozesse – also der Doktrin – geben. Damit einher geht eine Veränderung in der Art und Weise, wie unsere Landstreitkräfte zukünftig kämpfen werden. Wie sie sehen, ist das weit mehr als nur ein technologischer Fortschritt.

ES&T: Wie könnte ein möglicher Zeitplan zur Einführung aussehen?

Trusch: Die Bundeswehr möchte eine marktverfügbare Software beschaffen, welche Systematic unmittelbar nach Vertragsschluss liefern kann. Eine Erstbefähigung kann also innerhalb kürzester Zeit hergestellt werden. Die Anbindung an die vorhandenen Funkgeräte der SEM-Familie sowie die Kompatibilität mit der eingeführten Hardware wurde bereits nachgewiesen. Für die weiteren Schritte der Implementierung empfehlen wir eine iterative und agile Vorgehensweise. Damit haben wir bereits in anderen IT-Projekten mit der Bundeswehr gute Erfahrungen gemacht. Dies bedingt das Vorhalten entsprechender Kompetenzen seitens der Bundeswehr sowie einen offenen und agilen Ansatz seitens aller involvierten Industrieunternehmen.

ES&T: Was würde das neue BMS – sollte es SitaWare werden – für die Zusammenarbeit in der VJTF bedeuten?

Trusch: SitaWare Frontline ist für das Heer eine sinnvolle Ergänzung zu dem eingeführten Produkt SitaWare Headquarters, welches schon heute die Interoperabilität der verlegefähigen Gefechtsstände des Heeres in multinationalen Einsätzen sicherstellt. Das hat das Heer dieses Jahr erneut auf der Interoperabilitätsübung CWIX 2019 der NATO mit Erfolg getestet. Sollte man sich nun für SitaWare Frontline als BMS entscheiden, kann der nahtlose und effiziente Austausch von Informationen über alle Führungsebenen hinweg sichergestellt werden. Das geht dann weit über den reinen Austausch von Friendly Force Tracking-Informationen hinaus und ermöglicht ein durchgängiges Lagebild auf allen Führungsebenen – national und international.

SitaWare Headquarters wird bereits in den verlegefähigen Gefechtsständen des Deutschen Heeres eingeführt. (Fotos: Systematic)

ES&T: Welche Reaktionen haben Sie aus anderen Streitkräften nach der Einführung Ihres BMS erhalten?

Trusch: Wir haben mittlerweile 30 Nationen mit SitaWare ausgestattet. Gerade die Nutzer von SitaWare Frontline bezeichnen die Einführung eines BMS oftmals als Game Changer, auf den man nicht mehr verzichten möchte. Der Sprechfunkanteil kann signifikant verringert werden, die Geschwindigkeit und Präzision in der Operationsführung wird gesteigert bei einer zeitgleichen Verringerung von Fehlern in der Übermittlung von taktischen Informationen. Wir bekommen viel Feedback zu unseren Produkten aus Einsatz und Übung der Nutzernationen, die wir dann wiederum in die kontinuierliche Weiterentwicklung einfließen lassen. Auf diesem Weg kommt die Erfahrung einzelner Nationen der gesamten User-Community zugute.

ES&T: Wo würden sie sagen steht die Bundeswehr in Bezug auf die Digitalisierung verglichen mit anderen Streitkräften?

Trusch: Als Armee einer führenden Industrienation hat die Bundeswehr gute Voraussetzungen, wenn man Personal und verfügbare Technologie betrachtet. Zugleich wurde in die Streitkräfte, und insbesondere in die Digitalisierung, in den vergangenen Jahren zu wenig investiert. Das spürt man deutlich, betrachtet man den Status quo der eingesetzten IT. Für mich wirkt es jedoch so, als hätte in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt, und die Weichen wurden deutlich in Richtung Zukunft gestellt. Eine Strategie zur Digitalisierung ist heute vorhanden und das Bewusstsein ist geschärft. Jetzt muss man den Worten noch Taten folgen lassen und mit der konkreten Umsetzung beginnen.

ES&T: Aus ihrer Erfahrung heraus, in welche Richtung bewegt sich die Digitalisierung der Streitkräfte in Deutschland und der Welt?

Trusch: Wir sehen derzeit, wie sich die Mega-Trends der kommerziellen IT, also zum Beispiel Augmented Reality, Cloud Computing, Artificial Intelligence sowie Big Data in Richtung des IT-Systems der Streitkräfte bewegen. Diese Technologien enthalten viel Potenzial für militärische Anwendungen, wenngleich die konkreten Anwendungsfälle oftmals noch zu definieren sind. Im Bereich Command & Control forschen wir intensiv, auch gemeinsam mit Partnern, wie die Führungssysteme der Zukunft aussehen werden. Wir sind der Meinung, dass derzeit noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft werden und gezielte Forschung im Zusammenspiel zwischen den Streitkräften und der Industrie intensiviert werden sollte. Einrichtungen wie der Bundeswehr Cyber Innovation Hub sind hierfür sicherlich hilfreich.

Die Fragen stellte Dorothee Frank.