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Der Gesamtumfang des Geräts und damit die materielle Basis, auf welche die Truppe zurückgreifen kann, hat sich im Zeitraum Mai bis Oktober 2021 weiter erhöht. Dies sei unter anderem auf die Auslieferung von ungepanzerten und gepanzerten Transportfahrzeuge der Zulassungsklassen 5 bis 15t, den Abschluss der Serienauslieferung beim Schützenpanzer Puma im August sowie den Zulauf von Hubschraubern des Typs NH90 Sea Lion an die Deutsche Marine zurückzuführen, heißt es im aktuellen Bericht zur „Materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“, der am 13. Januar veröffentlicht wurde. Mit dem Papier setzt das Bundesministerium der Verteidigung die in den vergangenen Jahren etablierte Berichterstattung fort.

Der Bericht II/2021 umfasst 71 Hauptwaffensysteme und bildet damit das gleiche Portfolio ab wie der vorangegangene Bericht vom 1. Juni 2021. Für die Öffentlichkeit einsehbar ist lediglich der offene Teil I des Berichts, während der als geheim eingestufte Teil II eine Gesamtschau über die materielle Einsatzbereitschaft enthält, die aufgrund der hohen Detailtiefe der Informationen konkrete Rückschlüsse auf aktuelle Fähigkeiten der Bundeswehr zulässt und deshalb nicht veröffentlicht wird.

Zur Lage der materiellen Einsatzbereitschaft

Die materielle Einsatzbereitschaft aller 71 Hauptwaffensysteme hat sich im Berichtszeitraum insgesamt verstetigt und in einigen Bereichen leicht verbessert. Sie liegt mit durchschnittlich 77 Prozent geringfügig über den 76 Prozent aus dem vorangegangenen Bericht. Die Zielgröße von 70 Prozent durchschnittlicher materieller Einsatzbereitschaft übertrafen hierbei 38 Hauptwaffensysteme, 11 lagen unter 50 Prozent (davon 6 Altsysteme). Die durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von Kampffahrzeugen lag bei 71 Prozent, für Kampfeinheiten der Marine bei 72 Prozent, für die Kampf- und Transportflugzeuge bei 65 Prozent, für alle Unterstützungsfahrzeuge (Logistik, Sanität und CIR) bei 82 Prozent und bei den Hubschraubern weiterhin bei nur 40 Prozent.

Äußere Einflussgrößen

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, kommt in dem Bericht zum Schluss, dass die Bundeswehr in der Lage ist, ihre Aufgaben kurzfristig, flexibel und gemeinsam mit unseren Verbündeten innerhalb sowie auch außerhalb Deutschlands zu erfüllen. Er betont darüber hinaus, dass angesichts der vielfältigen Aufgaben der Streitkräfte im Berichtszeitraum –  wie den Unterstützungsaufgaben im Zuge der COVID-19-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021, der Beendigung des Einsatzes und Rückführung des Materials aus Afghanistan, der Evakuierung deutscher und ausländischer Staatsangehöriger, afghanischer Ortskräfte sowie weiterer Personen aus Kabul –  die Bundeswehr ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt habe.

In besonderem Maße beeinflusst die Pandemie weiterhin die materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Der Ausbildungs- und Übungsbetrieb hat im Berichtszeitraum zwar wieder zugenommen, industrieseitige Einschränkungen wirken sich jedoch weiterhin verzögernd auf Umrüstungsmaßnahmen einzelner Waffensysteme aus.

Schützenpanzer Puma

In einem Fokus-Projekt für den Generalinspekteur, den Schützenpanzer Puma, konnte die Einsatzbereitschaft im Berichtszeitraum erneut verbessert werden. Die materielle Einsatzbereitschaft des Kettenfahrzeugs wurde mit durchschnittlich 65 Prozent (+11 Prozent) und in der Spitze sogar 75 Prozent (+15 Prozent) gegenüber dem vorangegangenen Berichtszeitraum deutlich gesteigert. Die zwischen der Industrie und der Bundeswehr fortgeschriebene Zielvereinbarung hatte offenbar einen wesentlichen Anteil an dieser positiven Entwicklung. Auch konnte im Februar 2021 mit der erfolgreichen „Taktischen Untersuchung“ die Gefechtstauglichkeit des Pumas und damit dessen Eignung für den Einsatz im Rahmen der Eingreiftruppe der NATO für den Zeitraum 2022 bis 2024 nachgewiesen werden.

Fliegende Systeme – die Sorgenkinder

Im Bereich der Drehflüglersysteme wurde als ursächlich für die niedrige Einsatzbereitschaft der Sachverhalt bewertet, dass insbesondere bei den „komplexen“ Hubschraubern, wie dem NH 90 TTH, NH 90 Sea Lion oder dem Kampfhubschrauber Tiger, die zeitaufwändigen Wartungs- und Inspektionsmaßnahmen sowie die laufenden Umrüstungsmaßnahmen zur Vereinheitlichung der Konstruktionsstände pandemiebedingt durch Einschränkungen bei der Industrie verzögert sind. Bei den „alten“ Hubschraubern, wie dem mittleren Transporthubschrauber CH-53 der Luftwaffe oder den Bordhubschraubern Sea King und Sea Lynx der Marine, wird die Einsatzbereitschaftslage durch die altersbedingte Störanfälligkeit und eine stellenweise schwierige Ersatzteillage beeinflusst, die nur noch mit hohem Aufwand und unter großen Anstrengungen aufrecht zu erhalten ist.

Insbesondere beim weiterhin unbefriedigenden Niveau der Verfügbarkeit beim Tiger werde durch Maßnahmen zum Abbau des Inspektionsstaus frühestens Ende 2023 Wirkung erzielt werden, so die Prognose. Mit der vollständigen Beseitigung des Staus sei aber nicht vor Ende 2026 zu rechnen. Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind unter anderem der Aufwuchs einer weiteren militärischen Wartungsstaffel zur Stärkung der Eigenbefähigung für den Tiger bis 2025.

Auch mit Mitteln zur Erhöhung der Verfügbarkeit, wie beim Kampfflugzeug Eurofighter mit der Umsetzung des Performance-Based-Logistics (PBL)-Ansatzes im internationalen Vertrag oder dem geschlossenen Standardisierten Instandhaltungsleistungsvertrag (SILV) für den TTH, sind dem Bericht zufolge ab 2022 Verbesserungen zu erwarten.

Die Lage in den Clustern

Bei den 14 Systemen in der so genannten Einführungs- bis Wachstumsphase, wie beispielsweise dem Puma, dem Transportflugzeug A400M, den NH90-Mustern sowie den geschützten und ungeschützten Transportfahrzeugen der Zuladungsklassen 5t und 15t sei im Berichtszeitraum eine durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von 88 Prozent (gegenüber 85 Prozent im vorangegangenen Berichtszeitraum) zu verzeichnen. Dabei ist allerdings zur berücksichtigen, dass bei den in großen Stückzahlen ausgelieferten neuen marktverfügbaren LKW ein hoher Einsatzbereitschaftsstand von 96 Prozent zu verzeichnen ist.

Bei den 32 Systemen im Cluster der Reife- bis Sättigungsphase mit den prominenten Vertretern Kampfpanzer Leopard 2, GTK Boxer, Transportpanzer Fuchs und anderen bewährten Systemen ist eine stabile materielle Einsatzbereitschaft von durchschnittlich 76 Prozent erreicht worden. Dies wird auf die langjährige Versorgungsreife, die vorhandenen logistischen Grundlagen (Daten und Dokumentationen) und etablierten Verfahren und Prozesse zurückgeführt.

Für die 25 Systeme in der Sättigungs- bis Degenerationsphase, wie beispielsweise den Schützenpanzer Marder, das Kampfflugzeug Tornado, der CH-53, dem Seefernaufklärer P-3C Orion und den schwimmenden Systeme – dazu zählen unter anderem Flottendienstboote, Tender und Betriebsstoffversorger –  konnte im Berichtszeitraum eine durchschnittliche materielle Einsatzbereitschaft von 68 Prozent erreicht werden. Damit wurde der im vorangegangenen Berichtszeitraum festgestellte, rückläufige Trend (von 69 Prozent auf 65 Prozent) aufgefangen und stabilisiert.

Es wurde aber auch dargestellt, dass bei sieben Systemen diese allerdings unter 50 Prozent liegt. Positiv herausgestellt wurde, dass im Berichtszeitraum in dieser Hinsicht durch die parlamentarische Billigung wichtiger Nachfolgeentscheidungen, zum Beispiel für die Flottendienstboote ein positiver Weg in die Modernisierung zu erkennen ist.

Es ist aber auch festzuhalten, dass die weiteren notwendigen Entscheidungen zu den Nachfolgesystemen, beispielsweise des Tornados und der CH-53, derzeit noch auf sich warten lassen – nicht zu vergessen das 2. Los Puma. Und es darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass die betreffenden Systeme mit zunehmend hohem materiellen, personellen und finanziellen Aufwand viele Jahre weiterbetrieben werden müssen, bis Nachfolgesysteme eingeführt werden.

Verfügbarkeit der Systeme für Ausbildung, Übung und Einsatz

Im Bericht wurde auch die Differenz zwischen Gesamtbestand und verfügbaren Bestand herausgestellt. Der Gesamtbestand umfasst sämtliche Systeme, die im Bestandsnachweis der Bundeswehr erfasst sind. Zum verfügbaren Bestand werden die Systeme gezählt, die für Einsatz, einsatzgleiche Verpflichtungen, Übung und Ausbildung in der Truppe tatsächlich nutzbar sind. Die Differenz an Systeme befindet sich vor allem in langfristigen Instandsetzungen,  Umrüstungsmaßnahmen oder zur Anpassungen der Konstruktionsstände in der Industrie. Als Beispiel hierfür wurde der Leopard 2 genannt, bei dem dieses Verhältnis bei 183 zu 289 Systemen liegt, da der Panzer auf den Stand A7V hochgerüstet wird. In Zukunft wird die Entwicklung bei Puma mit der geplanten „S1“ genannten Konstruktionsstandanpassung der gesamten Flotte auf Basis des Rüststandes „VJTF“ zu beobachten sein. In einem ersten Schritt wurde die Modernisierung von 154 Schützenpanzern auf diesen Stand bereits beauftragt.

Positiv entwickelt sich die Situation diesbezüglich bei der Gefechtsfeldbrücke Leguan mit sechs von sieben Systemen (Delta: 14 Prozent) sowie beim GTK Boxer mit 259 von 333 Systemen (Delta: 22 Prozent), bedingt durch einen hohen Stand der Einsatz- und Versorgungsreife beziehungsweise dem Ausbau von Ersatzeil- und Kreislaufvorräten.

Insbesondere der Inspekteur des Heeres konzentriert seine Anstrengungen im Rahmen der Initiative Einsatzbereitschaft auf den Kräftebeitrag zur NRF (L) 2022-2024 und damit auf die Einsatzbereitschaft dieser Brigade, die bislang stabil mit über 80 Prozent bei den eingesetzten Hauptwaffensystemen ausgewiesen wird und fordert für das Heer unter anderem einen ausreichenden materiellen Handlungsspielraum.

Weiteres Vorgehen

Der Generalinspekteur gibt im vorgelegten Bericht einen Ausblick in dem er feststellt, dass die Einsatzbereitschaft für die Landes- und Bündnisverteidigung sowie für weitere Aufgaben und Aufträge der Maßstab sei, an dem die Bundeswehr auch international und durch die Bündnispartner gemessen werde.

Einsatzbereitschaft erfordert aber auch mehr als nur materiell einsatzbereite Waffensysteme. Sie bedarf vielmehr einer vernetzten Betrachtung aller Ressourcen- und Planungskategorien, die sich auf die Gesamteinsatzbereitschaft der Streitkräfte auswirken.

Dazu sind aber verfügbare Haushaltsmittel ein, die personellen und betrieblichen weitere Aspekte, die darauf einen erheblichen Einfluss haben.

Der Generalinspekteur beabsichtigt in der Lage zur Einsatzbereitschaft künftig Zielhöhen für Fähigkeits- und Kräftebeiträge vorzugeben, die – unter Berücksichtigung der Bündnisverpflichtungen – für konkrete Aufgaben und Einsätze zur Verfügung stehen sollen. Auf dieser Basis können dann Aussagen zur Aufgaben und Auftragserfüllung getroffen werden und nach seiner Bewertung noch gezieltere Steuerungsimpulse abgeleitet werden.

Mit einem neuen Ansatz, an dessen Ausgestaltung dem Bericht zufolge aktuell mit Hochdruck gearbeitet wird, soll sich ein erweitertes Bild der Einsatzbereitschaft ergeben, über das in einem weiterentwickelten Bericht zur Einsatzbereitschaft der Streitkräfte informiert werden soll.

Man darf also gespannt sein auf den Mitte des Jahres bereits weiterentwickelten Bericht zur Einsatzbereitschaft, der neben dem bewährten Format die „Befähigung zur Auftragserfüllung“ bereits in einem umfassenderen Ansatz, gegebenenfalls mit Fokus auf ausgewählte Truppenteile, darstellen soll. Und es wird abzuwarten sein, wie sich die neue Leitung des BMVg hinsichtlich der Finanzfragen, der personellen Stärke und auch der materiellen Erneuerung und Modernisierung positioniert, wobei die strukturellen Überlegungen des Eckpunktepapiers vom Mai 2021 ebenfalls noch auf ihre Umsetzung warten.

Wolfgang Gelpke