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Die Digitalisierung hat unsere Welt verändert, sie ist das dominierende kultur- und gesellschaftsbestimmende Merkmal der Gegenwart. „Digitalisierung“ ist der Megatrend unserer Zeit. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen. Laut Global Risk Report 2018 wird das „Internet der Dinge“ von rund 8,4 Milliarden Geräten 2017 auf ungefähr 20,4 Milliarden Geräte in diesem Jahr weltweit wachsen. Diese Zahlen sprechen für sich.

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Foto: CIR

Digitalisierung und eine nahezu grenzenlose Vernetzung ermöglichen enorme Verbesserungen. Prozesse und Kommunikation sind schneller und effizienter, vieles ist bequemer und einfacher geworden. Wann fährt der nächste Bus? Wie wird das Wetter heute Abend? Schnell noch von unterwegs die Heizung ein wenig herunterregeln. All dies erledigen wir mobil per Smartphone oder Tablet. Diese Möglichkeiten gehören längst zum Alltag, sind nicht mehr wegzudenken. Wirtschaft und Zivilgesellschaft, genauso wie Staat und Bundeswehr, können sich dieser Entwicklung nicht entziehen. Und natürlich können wir Menschen uns dieser Entwicklung nicht entziehen. Die Digitalisierung wirkt sich bereits heute konkret auf den beruflichen Alltag eines jeden Einzelnen aus.

Der Einfluss auf Organisation und Prozesse ist deutlich sichtbar, wenn man die Entwicklungen in der Arbeitswelt 4.0 betrachtet. Wesentliche Schlagworte sind hierbei: Digital Workplace, New Ways of Working, moderne Büro- und Gebäudekonzepte sowie agiles Arbeiten und agile Methoden. Der Begriff Arbeit 4.0 umfasst also alle möglichen veränderten Arbeitsweisen, die durch Digitalisierung entstanden sind. Es geht dabei intensiv darum, Organisationsstrukturen weiter zu entwickeln, lernfähig und flexibel zu sein. Flexibilität umfasst daher die Freiheit festzusetzen, wann, wo, wie schnell, mit wem und woran als nächstes zu arbeiten ist. Genau das versucht das Kommando Cyber- und Informationsraum (Kdo CIR) der Bundeswehr für alle Bereiche der Bundeswehr umzusetzen – von der Stabsarbeit bis zum Einsatz. Das Kdo CIR hat es sich zum Ziel gesetzt, in diesem Kontext Wegbereiter für die Streitkräfte zu sein.

Der Infanterist der Zukunft nutzt im Einsatz das Tablet (Foto: Bundeswehr)

Aufstellung des Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum (CIR) als Reaktion auf veränderte Rahmenbedingungen durch die Digitalisierung

Die Bundesregierung hat 2016 die aktuelle Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland in Kraft gesetzt. Hierin wird die Zuständigkeit der Bundeswehr für die Cyber-Verteidigung festgelegt. Vor diesem Hintergrund hat die Bundeswehr im April 2017 den neuen Militärischen Organisationsbereich CIR aufgestellt. In diesem militärischen Organisationsbereich wurde die bereits in der Bundeswehr vorhandene Expertise zu den Themen Cyber-IT, Militärisches Nachrichtenwesen und Aufklärung, Operative Kommunikation und Geoinformationsdienst gebündelt. Der herausragenden Bedeutung der neuen Dimension CIR wurde damit auch organisatorisch Rechnung getragen.

Das Selbstverständnis unseres Organisationsbereichs wird von unterschiedlichen Aspekten geprägt: Wir verteidigen Deutschland im Cyber- und Informationsraum – das ist unser Auftrag. Zudem haben wir die Aufgabe, die Digitalisierung in den Streitkräften voranzutreiben und dafür bei speziellen Projekten eine Pilotfunktion für die gesamte Bundeswehr einzunehmen. Wir denken den Cyber- und Informationsraum als eigenständige Dimension ganzheitlich aus einer Hand. Dabei verstehen wir Digitalisierung als Teil unserer DNA und gehen in diesem Bereich als Trendsetter in der Bundeswehr voran.

Konsequenzen der Digitalisierung für das Arbeiten in der Bundeswehr

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Digitalisierung ermöglicht eine virtuelle Ausbildung (Foto: Bundeswehr)

Die Digitalisierung beeinflusst sowohl die Arbeitskultur als auch die Führungsprozesse in der Bundeswehr und zwar in der Stabsarbeit wie auch in der militärischen Führung, beispielsweise in Einsätzen.

Darauf stellt sich das Kdo CIR ein. Wir nutzen – wie alle anderen staatlichen Institutionen, Wirtschaftsunternehmen und Privatpersonen auch – an möglichst vielen Stellen die Vorteile der Digitalisierung. Gerade im Rahmen der täglichen Stabsarbeit setzen wir dabei, wo immer es geht, auf schlanke Prozesse und unkonventionelle Lösungen und Denkansätze – ebenenübergreifend, aber ohne hierarchische Strukturen zu ignorieren. Unser tägliches Arbeiten unterscheidet sich schon von der herkömmlichen Stabsarbeit. Ganz konkret verwenden wir im Kdo CIR Groupware, also Werkzeuge für Kollaboration. Ein Beispiel hierfür ist die Software Microsoft Sharepoint. Mit dieser Software ist es möglich, über Hierarchieebenen hinweg gemeinsam und zeitgleich an Projekten und Dokumenten zu arbeiten. Vorgänge werden vorrangig elektronisch bearbeitet, Gittermappen und Hardcopies werden auf das unbedingt erforderliche Maß reduziert. Durch den Einsatz dieser kollaborativen Werkzeuge entfällt die Notwendigkeit, Vorgänge sequentiell über alle Führungsebenen zu schleusen, die sich dann jeweils erstmalig damit befassen. Statt der Hierarchie ist die Fachlichkeit der entscheidende Faktor. Im Kdo CIR werden zudem die Möglichkeiten der Telearbeit und des mobilen Arbeitens überall dort genutzt, wo es die Inhalte der Arbeit und die Flexibilität es erlauben.

Ein Beispiel aus der Praxis: das Gemeinsame Lagezentrum

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Die Risiken der Digitalisierung erheben Cyber-Awareness zu einer Führungsaufgabe (Foto: Baskerville Ltd)

Die Digitalisierung hat vor allem bedingt durch die mit ihr einhergehenden schnellen Innovationszyklen gravierende Auswirkungen auf unsere Arbeitsprozesse. Ein Bereich im Kdo CIR, in welchem neue, innovative Lösungsmethoden bereits erfolgreich angewendet werden, ist das Gemeinsame Lagezentrum. Dort werden unterschiedliche Informationen, strukturierte und unstrukturierte Daten sowie Lagen aus verschiedenen Sicherheitsdomänen korreliert und zu einer „Gesamtlage Cyber- und Informationsraum“ zusammengefasst. Diese Lageübersicht gab es zuvor nicht. Die dahinterstehende technische Software-Lösung wurde in enorm kurzer Zeit entwickelt, unter enger Einbindung der Industrie und unter Anwendung des Scrum-Verfahrens. Dieses Verfahren wurde im Kdo CIR erstmalig angewendet. Unsere Anforderungen an die Software werden in vier Wochenzyklen mit den Entwicklern gemeinsam überprüft und dann umgesetzt. Dieser Prozess ermöglicht, einen größeren Nutzen aus moderner, leistungsfähiger Software zu ziehen.

Das bisherige Vorgehen ist dagegen nicht nur deutlich zeitaufwändiger, sondern kann im Ergebnis Produkte hervorbringen, die bereits mit ihrer Einführung veraltet sind – gerade bei den rasanten Innovationszyklen in der IT. Bei der Analyse des Lagebildes kommen auch Methoden der Künstlichen Intelligenz zum Einsatz. Wir sind also auch auf diesem Gebiet erste Schritte auf dem Weg in die Zukunft gegangen: Agile Methoden zur Entwicklung neuer Produkte für die bzw. in der Bundeswehr. Basis dafür ist natürlich auch der regelmäßige Austausch und die enge Zusammenarbeit mit der Industrie – anders funktioniert es nicht.

Veränderte Ansprüche an Soldaten im Einsatz: Fallbeispiel Infanterist der Zukunft

Wie stark der Einfluss der Digitalisierung auf das militärische Kerngeschäft – den Einsatz – ist, lässt sich an einem konkreten Fallbeispiel verdeutlichen: dem Infanteristen der Zukunft. Der Infanterist steht hier stellvertretend für das klassische Bild des Soldaten im Einsatz. Mit der Digitalisierung des Gefechtsfeldes änderte sich beispielsweise für die Panzergrenadiere weitaus mehr als nur durch die Einführung eines neuen Schützenpanzers, den Puma. Die neue Ausrüstung des Infanteristen der Zukunft vernetzt die abgesessenen Soldatinnen und Soldaten mit der Besatzung des Schützenpanzers und bildet einen geschützten Kommunikationsverbund. Sie können uneingeschränkt miteinander kommunizieren, Kurznachrichten schreiben, und sie verfügen mit Hilfe ihres Tablets über dasselbe taktische Lagebild. Sie wissen damit auch ohne Sichtverbindung genau, wo sich ihre Kameraden befinden. Head-up Displays unterstützen durch eine Brille bzw. Maske die Sicht und gleichen Lagesymbole mit der realen Umwelt ab.

Digitale Cockpit-Tablets gehören längst zur Ausrüstung des Soldaten (Foto: Bundeswehr)

Dies verändert die Anforderungen an die Arbeit und das Know-how des Infanteristen fundamental. Denn der moderne Infanterist muss nicht nur seine Waffe, sondern auch die umfangreiche elektronische Ausrüstung beherrschen. Nur diese Ausrüstung ermöglicht es ihm, den Kampf zukünftig erfolgreich zu führen und seine technisch bedingte taktische Überlegenheit auszuspielen. Der heutige Infanterist muss also nicht nur „geländegängig“ sein, sondern er muss auch „smart“ sein. Den Effekt nennt man „upskilling“. Das bedeutet, dass sich hinter der gleichen Berufsbezeichnung mitunter ein deutlich anderes Berufsbild mit völlig neuen Anforderungen entwickelt. Das Fähigkeitsprofil unseres Panzergrenadiers muss somit zukünftig deutlich höheren Ansprüchen genügen, um seine Durchsetzungs- und damit seine Überlebensfähigkeit im Gefecht zu wahren.

Konsequenzen der Digitalisierung für das Führen in der Bundeswehr

Die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung bringt natürlich auch erhebliche Veränderungen für das Führungsverhalten mit sich. „Digital Leadership“ bedeutet aber nicht, dass Führungskräfte denken und handeln wie ein Computer.

Es geht auch in der digitalen Welt weiterhin um die Führung von Menschen, allerdings unter Nutzung digitalisierter Informationen und mit digitalisierten Prozessen. Der größte Fehler wäre, die Menschen, die in digitalen Lagekarten als Symbole auf Bildschirmen erscheinen, auch als virtuelle Objekte zu sehen. Führen bleibt ein Prozess zwischen Menschen, der möglichst synchron bleiben sollte und nicht der digitalen Kommunikation zum Opfer fallen darf.

Veränderte Ansprüche an das Führen in der Bundeswehr: Fallbeispiel Infanterist der Zukunft

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Das gemeinsame Lagezentrum des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) (Foto: BBK)

Die Konsequenzen der Digitalisierung auf das Führen in der Bundeswehr lassen sich ebenfalls am Fallbeispiel des Infanteristen der Zukunft gut verdeutlichen. Für die taktische Führungsebene gilt zunächst dasselbe wie für das Fähigkeitsprofil des einzelnen Infanteristen: Die Ansprüche werden deutlich höher. Der Führer eines Zuges kann seinen Zug heute ganz anders einsetzen und führen, nicht mehr nur auf Grundlage von Sichtzeichen oder Funk, sondern mittels seines Tablets. Er kann schneller und umfassender auf Lageänderungen reagieren oder die Schwerpunkte des Einsatzes kurzfristig verschieben. Es gilt auch hier: Digitalisierung ermöglicht bessere Leistung bei gleichzeitig höheren Ansprüchen an den Menschen. Diese neue Anforderung birgt eine weitere Herausforderung für das Führen auf der operativen oder strategischen Ebene und damit für unser Prinzip des „Führens mit Auftrag“ mit sich. Wenn aufgrund der Digitalisierung das Gefechtsfeld zunehmend gläsern wird, haben theoretisch alle beteiligten Führungsebenen ein gleich detailliertes Lagebild. Damit werden die Bedingungen für das Führen der eigenen Kräfte grundsätzlich verbessert, weil führungsrelevante Informationen auf allen Ebenen gleichermaßen vorliegen.

Aber, das Führen mit Auftrag begründet sich auf das Delegationsprinzip. Es entlastet den Führer von der Komplexität, es übergibt dem Geführten Teilaufträge und Handlungsfreiheit, gewährleistet aber ein Wissen um das gemeinsam zu erreichende Ziel. So vermeidet dieses Prinzip einen Stillstand beim Geführten im Falle der Unterbrechung der Kommunikation zur vorgesetzten Führungsebene. Gleichwohl bleibt die Komplexität für den militärischen Führer der höheren Führungsebene natürlich bestehen, trotz oder gerade wegen des beliebig detaillierten Lagebildes auf seiner Ebene. Er muss sich fokussieren und darf nicht der Informationsüberflutung unterliegen. Zugleich gibt es vor allem im Einsatz bzw. auf dem Gefechtsfeld eine Menge an relevanten Informationen, die weiterhin nur vom militärischen Führer vor Ort eingeschätzt oder bewertet werden können und seine Entscheidung zur Reaktion erfordern. Nur der militärische Führer vor Ort weiß genau, welche seiner Soldatinnen und Soldaten gerade ausgeruht sind oder nicht. Nur er weiß um die physische und psychische Belastung durch Umwelteinflüsse vor Ort. Er kennt die Stimmungslage aufgrund der Geschehnisse des Vortags im Einsatzgebiet oder bei der Familie zu Hause an der „Heimatfront“.

Cyber-Sicherheit ist oberstes Gebot in der Bundeswehr (Foto: BMVg)

Fazit: Man kann sicherlich darüber nachdenken, aufgrund der Digitalisierung die eine oder andere Zwischenebene einzusparen – aber das Prinzip des „Führens   mit Auftrag“ bleibt genauso aktuell wie vor der Digitalisierung. Übrigens hat sich mit dem Einsatz von Link 11 bereits vor vierzig Jahren in der Marine bestätigt, dass trotz gleichem Lagebild auf dem Schnellboot und im Flottenkommando, der Befehlshaber der Flotte sich dennoch besser zurückhält, dem Kommandanten in See die Ruderlage vorzugeben …

Vom Befehlsgeber zum Navigator

Im Rahmen der Stabsarbeit sind die Gegebenheiten durch die Digitalisierung verändert. Führungskräfte können (müssen?) sich wieder deutlich stärker darauf einstellen, selbst substantielle Facharbeit zu leisten, sich beschleunigenden digitalisierten Prozessen zu öffnen und klare und strukturierte Aufträge in kollaborativer Umgebung zu formulieren. Die Führungskraft im Zeitalter der Digitalisierung wird dabei mehr zum Navigator seiner Unterstellten, als dass er klassischer „Befehlsgeber“ ist. Es vollzieht sich ein Übergang vom „Führen“ zum „Anleiten“. Innovatives Denken ist erforderlich, aber auch zuzulassen und zu reflektieren – und nicht durch Konformitätszwang zu unterdrücken. Delegieren und vertrauen bleiben ganz wichtige Stichwörter. Schnelle, hierarchieübergreifende Kommunikation muss akzeptiert und gelebt werden.

Konsequenzen für die „Unternehmenskultur“

Gerade das Fallbeispiel des Infanteristen der Zukunft hat verdeutlicht: Die Digitalisierung verändert das Berufsbild des Soldaten. Die Digitalisierung erfordert damit auch die Anpassung der „Unternehmenskultur“ in den Streitkräften. Hierbei stehen nicht nur die technischen Aspekte im Fokus. Entscheidend ist, die Menschen mitzunehmen und ihnen Bedeutung, Chancen und Risiken der Digitalisierung bewusst zu machen. Gerade mit Blick auf die Risiken ist das Schaffen einer Cyber-Awareness und einer Cyber-Sicherheitskultur eine wichtige Führungsaufgabe, die eine permanente Sensibilität im Arbeitsalltag erfordert.

Die Chancen liegen in einer deutlich höheren Flexibilität, Agilität und damit Produktivität. Um diese erfolgreich zu nutzen, ist es nicht mit der Einführung moderner Technik oder der Digitalisierung von bestehenden Prozessen getan. Eine stete Anpassung des Menschen an die Arbeitsumwelt ist zwingend erforderlich. Um alle möglichen Potenziale erfolgreich heben zu können, müssen wir uns von alten, lieb gewonnenen Denkmustern lösen. Wir müssen Veränderungen zulassen, uns den neuen Herausforderungen stellen. Ansonsten werden wir selbst obsolet.

Zusammenfassung

Die Digitalisierung hat erhebliche Auswirkungen auf jeden Einzelnen von uns, damit ebenso auf die Angehörigen der Bundeswehr. Die Digitalisierung verändert den Arbeitsalltag im Allgemeinen und beim Führen im Speziellen. Die Digitalisierung verändert nicht Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr, sehr wohl aber die Art der Auftragserfüllung – in allen Bereichen, auf dem Gefechtsfeld und am Büroarbeitsplatz. Digitalisierung ist ein Prozesstreiber, dem wir uns alle stellen müssen. Wir müssen bestehende Prozesse kritisch evaluieren und neu gestalten. Wir müssen viele unserer liebgewonnenen Gewohnheiten und Grundsätze („das war noch nie so, das war schon immer so“) in Frage stellen und nötigenfalls über den Haufen werfen. Dies ist eine Führungsaufgabe, die wahrgenommen werden muss, um die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr sicherzustellen. Wir im Organisationsbereich CIR nehmen dabei als Treiber der Digitalisierung der Bundeswehr eine Vorreiterrolle ein.

Konteradmiral Dr. Thomas Daum ist Chef des Stabes im Kommando Cyber- und Informationsraum.