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Es war ein Thema für sicherheitspolitische Sonntagsreden. Jeder dachte, eine Epidemie würde uns ja wohl sicherheitspolitisch nicht wirklich herausfordern, aber es ist ja ganz nett, darüber akademisch-redend nachzudenken. Und nun das!

Plötzlich erleben wir, dass sich unsere Welt wegen eines Ereignisses, das wir nicht beeinflussen können, verändert. Aus sicherheitspolitischer Sicht muss man sich die Frage stellen, ob ein solches Ereignis nicht herbeigeführt werden kann. Es gibt ausreichend Verschwörungstheorien: Die Viren seien von den USA nach China gebracht worden. Oder Russland habe sie nach Europa gebracht, was ja die Tatsache zeige, dass Russland selbst nicht davon betroffen sei. Das allerdings kann auch daran liegen, dass in Russland keinerlei Untersuchungen stattfinden. Und dann kommt diese Pandemie genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die NATO-Staaten die Verlegung von US-Truppen nach Europa üben. Das sind Verschwörungstheorien, die nichts mit der Realität zu tun haben. Aber ist nicht manch ein Science-Fiction-Szenario in den letzten Jahrzehnten Wirklichkeit geworden?

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Rolf Clement ist Chefredakteur der Europäischen Sicherheit & Technik

Erinnern wir uns: Es gab schon Angriffe mit biologischen Stoffen. Hier sei nur die Aun-Sekte in Japan erwähnt, die mit entsprechenden Stoffen U-Bahn-Stationen verseucht hat. Das war damals eine Terrorgruppe. Ein professionell gestarteter Angriff kann andere Ausmaße haben. Eine Variante erleben wir zurzeit. Stelle man sich aber einmal vor, durch einen Angriff fällt das Stromnetz aus. Jetzt können wir vielleicht ein wenig erahnen, was das für eine Gesellschaft wie die unsrige bedeutet.

Aber man muss auch aufpassen, dass im Schatten der Pandemie nicht politische Entscheidungen gefällt werden, die langfristig Schaden für die freien Gesellschaften anrichten. Im Dezember noch gab es Stimmen, dass China mit der Absperrung von ganzen Städten die Corona-Epidemie nutzt, um zu erproben, wie das auch zu politischen Zwecken genutzt werden kann. Das hat dort offensichtlich geklappt. US-Präsident Donald Trump hat im Verlauf der Pandemie, die er zunächst leugnete, den Notstand über die USA verhängt. Dies erlaubt massive Eingriffe in die Rechte der Bürger. Dies erlaubt Beschränkungen der Pressefreiheit. Es eröffnet die Möglichkeit, die Gesetzgebung, z.T. auf dem Verordnungswege, zu verändern. Die deutschen Behörden versuchen einen Weg zwischen Zwangsmaßnahmen und Appellen mit eindeutigem Vorrang für Appelle. Dieses Ringen verdient Respekt, es ist Ausdruck unserer Gesellschaftsordnung. Aber das bedeutet auch, dass die Bevölkerung mitmacht – und keine ausgelassenen „Corona-Partys“ feiert. Andere Regierungen gehen da weniger sorgsam um. Sie schwanken zwischen Ignorieren des Problems und massiven Eingriffen.

Was wir jetzt auch erleben, sind Eingriffe von außen, um zusätzliche Unsicherheit zu bringen. In sozialen Medien wurden Nachrichten gepostet, die offensichtlich von außerhalb Deutschlands gesteuert wurden. Im Verdacht stehen wiederum Moskau und Peking. Das zeigt, dass man in einer solchen Krise krisenunterstützende Angriffe abwehren muss. Wie schwer das in den sozialen Medien ist, kann sich jeder selbst vorstellen. Ob ich einem Facebook-Eintrag glaube, hängt nur von mir ab. Er erreicht mich unkontrolliert. Das ist ein Problem, dem sich die Sicherheitspolitik auch stellen muss. Die traditionellen Medien haben da eine besonders große Verantwortung, dass sie nicht der Schlagzeile und der Auflagenhöhe wegen solche Desinformationen – oder neuenglisch: Fake News – verbreiten.

Die Pandemie zwingt uns, ein Szenario durchzuspielen, das wir sicherheitspolitisch in seinen möglichen Ausmaßen bisher wahrscheinlich nicht richtig einschätzen konnten. Daraus müssen nun konzeptionell und dann planerisch Konsequenzen gezogen werden, nicht mit heißer Nadel und sehr kurzfristig, aber zügig und wohl überlegt. Sind wir auf solche Lagen im Bereich des Zivilschutzes hinreichend gut aufgestellt? Verfügen wir über ausreichende Vorsorge im Gesundheitswesen, bei der Energieversorgung, bei der Versorgung mit Lebensmitteln und vor allem Medikamenten? Bei Arzneimitteln müssen wir schnell die immense Abhängigkeit von China eindämmen, vielleicht nicht nur da.

Wir erkennen auch, was wir theoretisch wussten, wie eng Europa zusammengewachsen ist. Wir müssen also die Überlegungen, die wir anstellen, nach Europa tragen. Es müssen gemeinsame Lösungen gefunden werden. Die EU-Kommission müsste hier eine Führungsrolle übernehmen. Auch wenn sie formal nicht zuständig sein sollte, kann sie durch entsprechendes politisches Agieren einiges bewirken. Das wäre eine wichtige Aufgabe für die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie könnte wenigstens versuchen, so das europäische Boot, in dem wir alle sitzen, ein wenig flott zu machen.

Es gibt viel zu tun für die Planungsstäbe in den Ministerien und für Thinktanks. Dort könnte man beginnen – Denken und Schreiben geht auch im Homeoffice.

Rolf Clement