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Hohlladungen besitzen aufgrund des speziellen Eindringmechanismus (Hydrodynamisches Eindringen) sehr hohe Wirksamkeit gegen alle bekannten Panzerungsmaterialien, fast unabhängig von der Härte des Zielmaterials. Reaktivschutz ist hier eine geeignete Antwort.

Die Herausforderung

Um gegen solche Bedrohungen sicher zu sein, erreicht man schnell erhebliche Gewichte von Panzerungen. Bereits im Fall der weit verbreiteten Ladung des Gefechtskopfes der RPG 7 V würde man bei einer zugrundeliegenden Eindringtiefe in Stahl von ca. 320 mm für jeden Quadratmeter zu schützender Fläche mehr als 2,5 Tonnen benötigen. Demgegenüber steht die Forderung, dass der Schützenpanzer (SPz) Puma einen rundum effektiven Schutz gegen Hohlladungen sowie eine Vielzahl anderer Bedrohungen erhalten soll. Selbst die Verwendung spezieller Panzerungsmaterialien mit hoher Wirksamkeit gegen Hohlladungen bei geringer Dichte führt nicht zu den nötigen Gewichtsreduzierungen des Systems. Die erreichbare Gewichtseinsparung liegt dann bei ca. 50 Prozent.

Auch die Verwendung von sogenannten Statistischen Schutzmaßnahmen wie Netzen oder Slat Armour waren vor dem Hintergrund der Schutzanforderungen insgesamt nicht geeignet.

Reaktivschutz für den SPz Puma gegen Hohlladungsbedrohungen

Aufbau und Wirkungsweise

Der Reaktivschutz (ERA, Explosive Reactive Armour) als solcher fußt auf den Arbeiten von Professor Manfred Held und ist seit längerem bekannt. Der prinzipielle Aufbau ist sehr einfach: Zwischen zwei Platten (aus Metall oder auch aus Verbundwerkstoff) ist eine Schicht aus Sprengstoff angebracht, dieses sogenannte Sandwich oder „Wirkelement“ ist schräg zur Einfallsrichtung der Bedrohung ausgerichtet. Ein auftreffender Hohlladungsstrahl löst den Sprengstoff aus, der dann die Platten unter Winkel dem Strahl entgegen beschleunigt. So findet der Strahl immer neues zu durchdringendes Material vor, und der Blast des Sprengstoffes wirkt massiv störend auf die anfliegenden Strahlpartikel. Dieser Mechanismus führt zu einer drastischen Verringerung der Eindringtiefe. Die Funktion wird in dem Bild links dargestellt.

Funktionsweise des Reaktivschutzes in der Praxis

In den beiden Röntgenblitzbildern, die zu unterschiedlichen Zeiten nach der Initiierung aufgenommen wurden, sieht man den angreifenden Hohlladungsstrahl sowie die resultierende massive Störung durch die Platten und den Blast. Die gefährlichen schnellen Strahlanteile in der Spitze werden massiv gestört, massive Reste des Strahls werden durch Backingplatten unschädlich gemacht, ebenso der Blast der Hohlladung und der Schutzanordnung, um Rückwirkungen auf das Fahrzeug zu minimieren. Die Gesamtgröße des Aufbaus und auch die Sprengstoffmenge richten sich nach der Leistung der zu bekämpfenden Bedrohung.

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Röntgenblitzbilder zu unterschiedlichen Zeiten nach der Initiierung, man sieht die Störung des angreifenden Hohlladungsstrahs (Foto: DND)

In der Praxis kommen Reaktivschutzelemente in geschlossenen Kästen, den sogenannten Boxen oder Modulen, zum Einsatz. Sie enthalten eine bestimmte Menge an Wirkelementen in geeigneter Anordnung, und sie sind gewichtsmäßig so bemessen, dass sie notfalls von der Besatzung des Fahrzeuges ohne großen Aufwand montiert, demontiert oder auch ausgetauscht werden können.

Bei Dynamit Nobel Defence GmbH in Burbach wird Reaktivschutz seit mehr als zehn Jahren entwickelt, getestet und erprobt. Dies geschieht häufig zusammen mit Fahrzeugherstellern und Nutzern auch unter dem Aspekt der Systemkompatibilität. Erste Qualifikationen für Fahrzeuge der Bundeswehr erfolgten am Schützenpanzer Marder sowie am Fennek von Krauss-Maffei Wegmann. Die dort gewonnenen Erkenntnisse bildeten die Grundlage für die Entwicklung und Qualifikation des Reaktivschutzes für den SPz Puma.

Keine sympathetische Detonation von Nachbarelementen (weiße Pfeile), nur das direkt vom Strahl getroffene Element reagiert (roter Pfeil) (Foto: DND)

Gewichtsbilanz

Das Gewicht von Schutzsystemen wird über das sogenannte „Flächengewicht“ beschrieben. Das ist das Gewicht, das eine Schutzanordnung bei gegebener Dicke pro einem m2 Fläche wiegt. Dies wird im Bild unten verdeutlicht im Vergleich der zum Schutz gegen die jeweils angeführte Bedrohung notwendigen Dicken von Stahlplatten und den daraus resultierenden Flächengewichten.

Veranschaulichung der zum Schutz notwendigen Stahldicken und Flächengewichten (Foto: DND)

Bei Verwendung von Reaktivschutz kann man davon ausgehen, dass man eine Gewichtsersparnis von 80 Prozent gegenüber Panzerstahl erreicht, einschließlich der sogenannten „Parasitärgewichte“ z. B. für Befestigungen usw.

Sicherheitsaspekte

Bei Verwendung von Reaktivschutz am SPz Puma befinden sich erhebliche Mengen Sprengstoff an der Außenwand. Dies erfordert besondere Überlegungen zur Sicherheit und Systemkompatibilität, d.h. Verträglichkeit mit allen für das Fahrzeug geltenden Umweltbelastungen. Für Reaktivschutz werden nur extrem unempfindliche Sprengstoffe verwendet, die nur bei einem Auftreffen eines Hohlladungsstrahls detonieren und ansonsten passiv bleiben, auch bei Beschuss mit Maschinenkanonen und leistungsstarker KE-Munition. Der verwendete insensitive Sprengstoff gewährleistet, dass keine sympathetische Detonation auftritt, wenn ein Hohlladungsstrahl ein Wirkelement getroffen hat. Nur vom Hohlladungsstrahl direkt getroffene Wirkelemente detonieren, benachbarte jedoch nicht.

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Beschuss eines Seitenwanddemonstrators. Nur ein Element wird durch die Wirkung der Hohlladung zerstört. Eine Begrenzung der umsetzenden Sprengstoffmenge pro Ereignis ist eine wichtige Voraussetzung für die Integrität des Fahrzeugs sowie die Sicherheit der Insassen. (Foto: DND)

Über diese Prüfungen hinaus wurden Reaktivschutzmodule mit Schweißbrennern beflammt, heißen Auspuffgasen ausgesetzt, mit Trennscheiben bearbeitet, mit schwerem Kettengerät überfahren um nachzuweisen, dass keine dieser Beanspruchungen in der Lage ist, eine ungewollte Detonation herbeizuführen. Die Robustheit des Systems gegenüber Beanspruchungen im Fahrbetrieb sowie die Sicherheit sind erfolgreich nachgewiesen durch solche Prüfungen, die amtlich durchgeführt wurden.

In Deutschland stand man dem Reaktivschutz lange Zeit skeptisch gegenüber, vor allem weil man Kollateralschäden befürchtete. Denn normalerweise benutzt man als Platten in dem Sprengstoffsandwich Metalle sowie Schrauben aus Metall, die zu einem erheblichen Splitteraufkommen führen und auf relativ weite Entfernungen (mehrere 100 m) Personen verletzen und töten können. Diese Bedenken konnten durch Verwendung von Verbundstoffplatten und Kunststoffschrauben ausgeräumt werden, die sich nach Umsetzung des Sprengstoffs in unmittelbarer Nähe des beschossenen Fahrzeuges zerlegen und keine schnellen und gefährlichen Splitter erzeugen. Auch die Sprengstoffmenge, die zusätzlich zum angreifenden Gefechtskopf umsetzt, führt nachgewiesenermaßen nur zu weit unterkritischen Belastungen des Fahrzeuges und der Besatzung.

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SPz Puma bei Tests in heißen und kalten Klima sowie in normaler mitteleuropäischer Klimazone (Fotos: BAAINBw und Bundeswehr)

Der Schutz wurde nicht nur auf Prüfständen ausgiebig getestet, sondern auch im Fahrbetrieb in heißem Klima (Abu Dhabi) und kaltem Klima (Winter-erprobung in Norwegen).

Der Reaktivschutz kann ohne Einschränkung in allen Klimabereichen genutzt werden, die auch für das Fahrzeug gelten. Für Transport und Lagerung wurde der Reaktivschutz als 1.4 S klassifiziert.

Zukunftsfähigkeit des Reaktivschutzes

Der qualifizierte Reaktivschutz für den SPz Puma ist bewusst so ausgelegt, dass er nur auf Hohlladungsstrahlen reagiert. Man kann jedoch durch Wahl empfindlicherer Sprengstoffe und durch Mehrfachanordnungen den Schutz so gestalten, dass auch KE-Projektile (z.B. aus 120-mm-Kanonen) neutralisiert bzw. in ihrer Leistung erheblich reduziert werden können. Dass dies möglich ist, zeigen Reaktivschutzkonzepte z.B. aus Russland. Ebenfalls ist eine Abwehr von Tandem-Ladungen möglich, z.B. aus Panzerabwehrhandwaffen oder als Lenkflugkörper verschossene Hohlladungsgefechtsköpfe. Dies ist zurzeit Gegenstand der Entwicklungsarbeiten bei Dynamit Nobel Defence.

Zusammenfassung

Reaktivschutz ist schon seit langem bei vielen Nationen an Fahrzeugen im Einsatz, in Deutschland führten erst die konsequente Verwendung von Kunststoffverbundwerkstoffen sowie der Einsatz eines speziellen sehr unempfindlichen Sprengstoffes zur Akzeptanz.

Der Reaktivschutz des SPz Puma bietet bei der Hohlladungsabwehr viele Vorteile hinsichtlich des erforderlichen Gewichts, Handling und sicherer Funktion. Letzteres allein schon deshalb, weil nur das Ereignis „Hohlladungsbeschuss“ den Wirkmechanismus auslöst. Der Schutz ist darüber hinaus äußerst robust gegen die Beanspruchungen beim Betrieb der Fahrzeuge, auch bei Kollisionen mit z.B. Bäumen und Hindrnissen im Gelände.

Der qualifizierte Reaktivschutz fügt sich in das Gesamtschutzkonzept des SPz Puma ein und bietet darüber hinaus noch Potential zur Leistungssteigerung, um höheren Bedrohungen zu begegnen.

 

 

 

 

 

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