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Sicherheitspolitik, Bauerndemo und Karawane, diese Begriffe scheint erstmal wenig miteinander zu verbinden. Dennoch bezeichnen sie ein neues Phänomen: Durch mobile Kommunikation gestartete Massenbewegungen, denen die Staaten begegnen müssen. Sie zeigen eine Tendenz, die Auflösung der bisher üblichen Mobilisierungen. Gewerkschaften stehen außen vor, die Menschen organisieren sich selber. Wodurch sie auch unvorhergesehener auftreten als bisher. Die Verbindung zwischen Allem sind Messenger-Dienste wie bspw. WhatsApp.

Am 22. Oktober legten Landwirte mit ihrem Protest mehrere deutsche Städte lahm. „Die Demonstrationen sind Ausdruck für Enttäuschung und Unzufriedenheit unserer Bauern. Ich habe vollstes Verständnis dafür“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, in einer am Tag der Proteste bei Youtube veröffentlichten Videobotschaft. Der Deutsche Bauernverband ist eigentlich die größte landwirtschaftliche Berufsvertretung und die Dachorganisation der 18 Landesbauernverbände in Deutschland. An diesem deutschlandweiten Protest weder beteiligt noch involviert zu sein zeigt, dass die Ära der Gewerkschaften zu Ende geht.

Als Alternative treten sich spontan bildende Gruppe auf den Plan. Im Falle der Bauernproteste war es die Gruppe – Organisation wäre aufgrund der geringen Zahl an beteiligten Menschen zu viel gesagt, laut Impressum sind es sechs Verantwortliche – „Land schafft Verbindung“. Diese Gruppe besteht aus einer Internetseite, einer Facebookseite, einer Facebookgruppe und besitzt eine gute Vernetzung über verschiedene WhatsApp-Gruppen. Das Startsignal kam von „Land schafft Verbindung“, im weiteren sehr kurzfristigen Verlauf meldeten sich regionale Organisatoren, die sich um Anmeldung der Demonstrationen vor Ort, Parkplätze sowie die Marschrouten für die Trecker kümmerten.

Diese Organisatoren waren meistens Landwirte, keine politischen Akteure, schon gar keine Gewerkschaftler. Sie gründeten WhatsApp-Gruppen, in denen sich die Landwirte vernetzten und Informationen zu Treffpunkten, Fahrtrouten und Terminplänen erhielten. Die Organisation fand schnell und effektiv statt, zumindest wenn der Maßstab die Blockade mehrerer deutscher Städte ist. Es stellt sich die Frage, was nun geschieht. Gibt es neue Proteste, bleiben die Gruppen lebendig, oder war es eine Eintagsfliege? Die Politik kann kaum reagieren, da es sich um eine Gruppe ohne konkrete Forderungen handelte. Und die Gewerkschaften, der Deutsche Bauernverband, waren allenfalls Zuschauer.

Das berühmtere Beispiel für eine Massenbewegung, die durch WhatsApp entstand und am Leben gehalten wurde, ist wiederum die „Karawane“ (Selbstbezeichnung). Jener Zug von tausenden mittelamerikanischen Migranten, die sich im Herbst 2018 auf den Weg in die USA machten. Durch die dezentrale Vernetzung über Chats und Gruppen verbreitete sich das Gerücht, es müssten nur genug Menschen zusammen kommen, dann könnte die amerikanische Regierung nicht anders handeln als alle mit offenen Armen zu empfangen. Die Routen wurden über WhatsApp und andere Chat-Apps wie Discord geteilt. Weitere Mitglieder lassen sich schnell hinzufügen, selbst tausende sind bei administrierten Gruppen kein Problem. Und am Ende führte diese spontane mobile Vernetzung zur international besetzten Karawane, die sogar das mächtigste Land der Welt unter Druck setzen konnte.

Auch wenn das Gleichsetzen der Bauerndemo mit der Karawane vielleicht übertrieben erscheint, beides folgte demselben Prinzip. Es gibt keinen Gegenspieler, keinen Verhandlungspartner mehr, es gibt keinen Organisator oder Leiter, mit dem man sich verständigen könnte. Es gibt noch nicht einmal Forderungen. Was existiert ist ein Schwarm von Unzufriedenen, die als Masse spontan, in der Spontanität aber gut organisiert auftreten. Mit allen Konsequenzen für die Innere Sicherheit eines Landes.

Schließlich bleiben die Motive der Ursprungsorganisatoren meistens im Unklaren. Wollten die Initiatoren der Karawane wirklich Mitbürger ins gelobte Land führen oder lag ihnen an einer Destabilisierung der amerikanischen Grenze, wie von der U.S. Regierung mehrfach gesagt? Wären die Proteste der Russlanddeutschen gegen Flüchtlinge (2016) heute effizienter? Können Akteure Gruppen gezielt infiltrieren, um Massenbewegungen zu einem Zeitpunkt auszulösen, wenn ein Land eigentlich andere sicherheitspolitische Themen behandeln müsste? Man stelle sich nur mal ähnliche Bauernproteste während einer Eskalation an der NATO-Ostflanke vor. Diese wären zum Beispiel durchaus geeignet, die Verlegung von Einheiten im Transitland Deutschland empfindlich zu stören.

Wenn ein kleiner Dominostein also in der Lage ist eine Lawine auszulösen, dann steigen die Möglichkeiten von Informationskampagnen bzw. -operationen. Und der (angegriffene) Staat kann nur reagieren, ohne die Situation wirklich im Vorfeld abschätzen zu können. Wie beim Sturm auf die Area51, zu dem statt der bei Facebook angemeldeten 1,5 Millionen dann doch nur eine Handvoll Menschen kamen. Es hätten aber auch eine Million sein können.

Dorothee Frank