Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats (NSR) als zentrales Organ zur Koordination sicherheitspolitischer Entscheidungen zählt zu den wesentlichen Neuerungen der neuen Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz. Laut Koalitionsvertrag soll dafür der bestehende Bundessicherheitsrat zu einem „Nationalen Sicherheitsrat light“ in Form eines einfachen Kabinettsausschusses aufgewertet werden.
Der Antrag zur Einrichtung eines solchen Gremiums steht im Kontext der Forderungen nach einer verbesserten ressortübergreifenden Zusammenarbeit und einer kohärenteren Außen- und Sicherheitspolitik. Forderungen, die unter anderem in der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan“ deutlich artikuliert wurden. Doch während der Rat theoretisch das Potenzial besitzt, die sicherheitspolitische Entscheidungsfindung in Deutschland effizienter zu gestalten, gibt es aus parlamentarischer Perspektive erhebliche Bedenken.
Die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats scheiterte über Jahre am Widerstand des Auswärtigen Amts. Im AA überwog die Sorge, ein solches Gremium könne die außenpolitische Rolle und Kompetenzen des Hauses schwächen – nicht unbegründet.
Der Afghanistan-Einsatz hat die Fehler offengelegt
Inzwischen scheint dieser Konflikt entschärft: Friedrich Merz hat das Vorhaben vorangetrieben und durch die Besetzung des Außenministeriums neben dem Kanzleramt jeglichen politischen Widerstand aus dem AA neutralisiert.
Der Afghanistan-Einsatz hat eindrücklich gezeigt, wie fehlende institutionelle Koordination und divergierende Lageeinschätzungen zu unklaren Entscheidungsgrundlagen führten. Es mangelte nicht nur an Strukturen, sondern auch am politischen Willen, Reformen anzugehen – insbesondere eine Wirksamkeitskontrolle der Maßnahmen blieb aus. Obwohl die USA und Großbritannien über nationale Sicherheitsräte verfügen, konnten auch hier gravierende Fehleinschätzungen nicht verhindert werden. Ein Nationaler Sicherheitsrat ist daher kein Garant für bessere Entscheidungen.
Ressortübergreifende Koordination und vernetztes strategisches außenpolitisches Handeln sind zweifellos notwendig. Doch sie funktionieren nur, wenn Strukturen sinnvoll verankert sind und sich durch alle Ebenen der Ressorts ziehen. Daher sind besonders bestehende Formate wie die Sicherheitspolitische Staatssekretärsrunde sinnvoll, sie ist ressortübergreifend und vernetzt alle Arbeitsebenen.
Auch eine „Light-Version“ handelt auf fragwürdiger Grundlage
Demgegenüber wirkt das Konzept eines aufgewerteten Bundessicherheitsrats – wie von Friedrich Merz forciert – wenig durchdacht. Mit Blick auf die begrenzte Sitzungszeit und fehlende Spiegelstrukturen, wie etwa eigener Arbeitseinheiten in den Ressorts, ist weder strategische Tiefe noch operative Effizienz zu erwarten. Ein solcher „zahnloser Tiger“ mag harmlos erscheinen – birgt aber dennoch große Gefahren.
Denn auch die geplante „Light-Version“ des Sicherheitsrats wird weitreichende Entscheidungen ohne ausreichende demokratische Legitimation treffen. Die zentrale Rolle eines nichtgewählten Sicherheitsberaters wirft Fragen nach Machtkonzentration im Kanzleramt und fehlender Kontrolle auf. Zudem droht eine Überfrachtung: Entscheidungen, die auf Fachebene getroffen werden könnten, würden auf die höchste Regierungsebene verlagert – mit dem Risiko von Entscheidungsverzögerungen, Substanzverlust und im Fall der Uneinigkeit zwischen den Koalitionspartnern – Blockade.
Gerade in sicherheitspolitischen Fragen gilt: Eine starke Exekutive braucht ein starkes Parlament. Bereits die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan“ hat einen besseren Informationsfluss und mehr Kontrollrecht des Bundestags gefordert, insbesondere für den Fall der Einsetzung eines Nationalen Sicherheitsrats. Denkbar sind ein regelmäßiger Sicherheitsbericht an den Bundestag sowie ein parlamentarisches Begleitgremium, um demokratische Kontrolle langfristig zu sichern.
Angesichts der AfD ist Wachsamkeit geboten
Angesichts der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und ihrer wachsenden Nähe zu realer Macht ist besondere Wachsamkeit geboten. Der Aufbau machtvoller, demokratisch schlecht kontrollierter Strukturen wäre ein Einfallstor für autoritäre Tendenzen. Sicherheitspolitik darf nicht zur Spielwiese parteipolitischer Machtstrategien werden.
Der Nationale Sicherheitsrat kommt – ob wirksam und effizient oder nicht. Entscheidend ist: Mit ihm droht eine Machtverschiebung zugunsten der Exekutive, bei der demokratische Kontrolle schnell zum Feigenblatt werden kann. Ein ineffizienter Sicherheitsrat mag langsam sein – aber nicht ungefährlich. Gerade weil zentrale Fragen offenbleiben – etwa zur Rolle des AA und weiteren möglichen Kompetenzverschiebungen aus dem Haus – muss das Parlament jetzt Haltung zeigen. Denn in Zeiten autoritärer Gefahr von innen und außen ist parlamentarische Stärke keine Option – sie ist Pflicht.
Schahina Gambir
Zur Person: Schahina Gambir ist Politikwissenschaftlerin und Mitglied des Bundestags für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen