Was früher durch Schlamm und Steppe pflügte, rollt heute als Oldtimer auf deutschen Straßen: Der sowjetische GAZ-69 erlebt eine erstaunliche Wiederentdeckung – nicht zuletzt dank ukrainischer Importeure, die in ihm ein lukratives Geschäft wittern. Doch was taugt der robuste Allradler aus der Ära des Kalten Kriegs wirklich? Eine Spurensuche.
Rund 1,3 Millionen Menschen sind vor dem Krieg aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet – darüber wurde viel berichtet. Kaum bekannt ist jedoch eine andere Form der „Einwanderung“ aus der Ukraine: die von automobilen Oldtimern. Da viele ukrainische Geflüchtete in Deutschland auf die Grundsicherung angewiesen sind, entdeckten einige eine lukrative Nische. Sie importieren historische Fahrzeuge aus der Heimat und veräußern sie hierzulande mit sattem Gewinn.
Oldtimer auf neuen Wegen
Normalerweise rollen Schrottfahrzeuge auf Autotransportern gen Osten – ein vertrautes Bild auf der A4 Richtung Polen. Doch gelegentlich sieht man auf der Gegenfahrbahn Transporte mit Patina: verrostete, aber begehrte Oldtimer auf dem Weg in den Westen. Das Geschäftsmodell ist so einfach wie effektiv: In ukrainischen Scheunen und Garagen schlummern noch ungehobene Schätze, die für wenige Hundert Euro gekauft und hierzulande für das Zehnfache verkauft werden können.
An der Spitze dieser automobilen Migration steht der Barkas B1000, der als „Ossi-Bulli“ Kultstatus genießt und in gutem Zustand bis zu 20.000 Euro erzielt. Ebenfalls begehrt: die sowjetischen Wolga-Modelle GAZ-21 und GAZ-24. Doch ein besonderer Vertreter dieser Bewegung ist der GAZ-69 – der „Russen-Jeep“.
Ein kantiger Charakterkopf
Schön ist er nicht – aber auffällig. Mit seiner buckligen Motorhaube und den hochbeinigen Proportionen hat der GAZ-69 eine Präsenz, die sich von glattpolierten West-Klassikern angenehm abhebt. Heute gilt er als einer der faszinierendsten Oldtimer osteuropäischer Bauart – und als Geheimtipp für Liebhaber, die das Ursprüngliche, das Raue, das Unverstellte suchen.
Vom Lend-Lease zum Russen-Jeep
Im März 1941 verabschiedete der US-Kongress das sogenannte Lend-Lease-Gesetz. Es erlaubte Präsident Roosevelt, Rüstungsgüter an Staaten zu liefern, deren Verteidigung als lebenswichtig für die USA galt – allen voran Großbritannien und die Sowjetunion. Offiziell blieb Amerika bis Ende 1941 neutral, konnte so aber dennoch die Alliierten massiv unterstützen. Nebenbei wurde die heimische Rüstungsindustrie angekurbelt, was der US-Wirtschaft half, sich von der Depression zu erholen.
Zwischen 1941 und 1945 lieferte die USA fast 80.000 Willys Jeeps an die Sowjetunion. Die Rote Armee musste somit keine eigene Geländewagenproduktion aufbauen und konnte sich stattdessen auf Panzer und schwere Fahrzeuge konzentrieren. Doch mit dem Ende des Krieges kam der Kalte Krieg – und die transatlantische Waffenbrüderschaft war Geschichte. Die Sowjetunion hatte jedoch Gefallen am Jeep gefunden. 1947 wurde beschlossen, einen eigenen leichten Geländewagen zu entwickeln: den GAZ-69.
Ein langer Weg zur Serie
Die Entwicklung war zäh. Es dauerte sechs Jahre voller Tests, Rückschlägen und politischer Querelen, bis der GAZ-69 am 25. August 1953 in Serie ging. Doch was in dieser Zeit entstand, war mehr als ein Fahrzeug: Der GAZ-69 wurde zu einem Symbol sowjetischer Identität. Für viele Russen weckt er bis heute Erinnerungen an staubige Landstraßen, Militärparaden, Ölbohrstationen in Sibirien und mobile Arztpraxen in entlegenen Dörfern.
Wegen seiner militärischen Bedeutung wurde der Produktionsbeginn unter strengen Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt. Die Montage erfolgte in abgeschirmten Hallen, der Zugang war nur autorisiertem Personal gestattet. Schon im November 1953 rollte der GAZ-69 bei der Parade auf dem Roten Platz mit – als Zeugnis sowjetischer Ingenieurskunst.
Der GAZ-69 im Kalten Krieg
Im Kalten Krieg erlangte der kantige Allradler schnell Kultstatus und diente sowohl dem Militär als auch zivilen Einrichtungen. Bis in die 1970er-Jahre hinein war er fester Bestandteil der Armeen im gesamten Ostblock. In über 50 Länder wurde er exportiert – und in Rumänien sogar in Lizenz gefertigt.
Arbeitstier mit Ausstrahlung
Der GAZ-69 war kein Prestigeobjekt, sondern ein echter Malocher. Er ackerte sich durch Schnee, Schlamm, Flüsse und Steppe – und das bei bemerkenswerter Zuverlässigkeit. Technisch war er seiner Zeit voraus: Er kombinierte den Motor der GAZ M-20 „Pobeda“ mit einem robusten Antriebskonzept, verfügte über ein stabiles Chassis, eine durchdachte Innenraumaufteilung, Heizung, elektrische Scheibenwischer und ein synchronisiertes Getriebe – alles in einem Geländewagen der 1950er.
Zwar fehlte es nicht an Schwächen: Die Reifen waren zu schmal, die Bodenfreiheit zu gering und der Motor zu schwach. Pläne, die Leistung auf 60 bis 65 PS zu steigern, wurden aus technischen und wirtschaftlichen Gründen aufgegeben. Doch trotz dieser Mängel war der GAZ-69 ein Erfolgsmodell – vielseitig, wartungsfreundlich und fast unverwüstlich.
Lizenzbauten und Varianten
Erste Prototypen entstanden 1947, darunter auch eine viertürige Variante, die später als GAZ-69A in Serie ging. Die Produktion wurde 1954 von Gorki zum Uljanowski Awtomobilny Sawod (UAZ) verlagert. Technisch blieb alles beim Alten – nur der Schriftzug auf der Haube wechselte von GAZ zu UAZ.
Ab 1957 baute der rumänische Hersteller ARO den GAZ-69 in Lizenz. Modelle kamen auch außerhalb Europas zum Einsatz – unter anderem in Kolumbien und Nordkorea. Allein in der DDR wurden rund 2500 sowjetische und knapp 5000 rumänische GAZ-69 importiert. Bis zur Ablösung durch den UAZ-469 im Jahr 1972 entstanden über 634.000 Fahrzeuge aller Varianten – ein beachtliches Erbe.
Technische Daten
Der GAZ-69 wird von einem 4-Zylinder-Benzinmotor mit einem Hubraum von 2,1 Litern angetrieben, der eine Leistung von 55 PS entwickelt. Das Getriebe verfügt über drei Gänge. Das Fahrzeug bringt ein Leergewicht von etwa 1500 Kilogramm auf die Waage und kann bis zu 650 Kilogramm Zuladung transportieren – alternativ finden bis zu acht Personen, einschließlich Fahrer, Platz. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt rund 90 km/h. Mit einer Bodenfreiheit von 210 Millimetern ist der GAZ-69 auch für schwieriges Gelände gut gerüstet. Der Verbrauch liegt bei 12 Litern pro 100 Kilometer auf der Straße und kann im Gelände auf bis zu 16 Liter ansteigen. Der Wagen verfügt über zwei Kraftstofftanks: einen Haupttank mit 48 Litern und einen zusätzlichen Reservetank mit 27 Litern Volumen.
Der GAZ-69 heute
Für versierte Schrauber ist der GAZ-69 ein dankbares Projekt. Das dicke Blech lässt sich gut schweißen, die einfach aufgebaute Technik ist mit handwerklichem Geschick gut instandzusetzen. Die meist verrosteten Blattfedern lassen sich nachfertigen, Ersatzteile gibt es über spezialisierte Foren – auch aus Rumänien.
Einziger Haken: Der Wagen ist laut, bockig und bietet kaum Insassenschutz. Über 60 km/h wird es im Inneren ungemütlich. Dafür entschädigt der GAZ-69 mit unnachahmlichem Charakter. Kein überladener Zierrat, sondern ehrliches Metall – ein mechanisches Gesamtkunstwerk aus Gusseisen und Pragmatismus. Gut erhaltene oder professionell restaurierte Exemplare sind rar, besonders gefragt sind originale Militärversionen aus Ostblockbeständen.
Mehr als ein Geländewagen
Der GAZ-69 war mehr als ein Fortbewegungsmittel. Er war Werkzeug, Begleiter, Zeitzeuge und diente ohne große Worte, aber mit großer Ausdauer. Und vielleicht ist es genau das, was ihn heute, Jahrzehnte nach Produktionsende, so faszinierend macht. In seiner schnörkellosen Art, seiner Robustheit und Bodenständigkeit spiegelt der GAZ-69 eine Ära wider, in der Fahrzeuge rein zweckorientiert für den Einsatz gebaut wurden.
Redaktion