Die Firma Lockheed Martin will eine aufgerüstete Variante des F-35-Jägers bauen, die beinahe die Leistung eines Jägers der 6. Generation besitzt.
Unter der Bezeichnung Next Generation Air Dominance (NGAD) initiierte die U.S. Air Force (USAF) 2014 den Wettbewerb für ein Jagdflugzeug der 6. Generation. Dieser Technologiesprung verspricht eine exponentielle Leistungssteigerung gegenüber den fortgeschrittenen heutigen Jagdflugzeugen, darunter auch die von Lockheed Martin gebaute F-35 der 5. Generation. Im März 2025 gab das Pentagon bekannt, dass der NGAD-Beschaffungsauftrag an Boeing vergeben wurde. Das zukünftige Kampfflugzeug wird die Bezeichnung F-47 führen.
Modernisierung der F-35 – Brückentechnologie zur 6. Generation
Die F-35 gilt derzeit als leistungsstärkstes Jagdflugzeug der Welt – mit unübertroffenen Stealth-Eigenschaften und hochentwickelter Sensorik. Zwischen ihrer Grundvariante und dem zukünftigen F-47-Jet der sechsten Generation liegt jedoch ein Entwicklungssprung von rund 20 Jahren. Flugzeuge der sechsten Generation versprechen maximale Letalität und Überlebensfähigkeit – durch eine Kombination aus nochmals gesteigerter Tarnkappentechnik, Sensorfusion, weitreichenden Abstandswaffen und effizienteren Triebwerken, die mehr Schubkraft und elektrische Leistung liefern. Sie sind dafür konzipiert, tief in den gegnerischen Luftraum einzudringen, ohne von moderner Flugabwehr erfasst zu werden.
Gleichzeitig wird die F-35 kontinuierlich modernisiert. Aktuell steht die Einführung der sogenannten Block-4-Konfiguration bevor, die rund 75 Neuerungen umfasst. Dazu zählen eine erhöhte interne Nutzlast, leistungsfähigere Sensoren, verbesserte elektronische Kampfführungssysteme (EloKa) sowie optimierte Zielerfassung – sowohl aktiv als auch passiv. Basis dieser Modernisierung ist der Tech Refresh 3 (TR-3), also ein neuer Kernprozessor mit der 25-fachen Rechenleistung sowie eine darauf abgestimmte Softwarearchitektur. Ergänzend ist ein Engine Core Upgrade (ECU) des F135-Triebwerks von Pratt & Whitney vorgesehen, das mehr Schub und elektrische Energie bereitstellt – notwendig für modernisierte Avionik, Sensorik und Waffensysteme.
Ein Teil der Block-4-Komponenten dürfte erst in den frühen 2030er-Jahren verfügbar sein und könnte dann gemeinsam mit NGAD-Technologien in die Weiterentwicklung der F-35+ einfließen.
Potenzielle Konfiguration einer F-35+
Die F-35+ soll als Übergangsplattform zwischen der fünften und sechsten Generation von Kampfflugzeugen dienen. Sie wird voraussichtlich sowohl modernste Block-4-Komponenten als auch ausgewählte Technologien aus dem NGAD-Programm integrieren. Auch wenn Details des NGAD weitgehend geheim sind, erlauben militärische Zielvorstellungen sowie erste öffentlich bekannte Entwicklungen Rückschlüsse auf die künftige Ausgestaltung der F-35+.
Flugwerk
Es ist davon auszugehen, dass Änderungen am äußeren Flugzeugentwurf vorgenommen werden. Diese könnten sowohl neue Werkstoffe als auch die „Geometrie” des Flugzeugs betreffen. Neuen Materialien könnten einerseits eine verbesserte radarabsorbierende Wirkung aufweisen und so die Stealth-Eigenschaften weiter steigern – die Weiterentwicklung der Tarnkappentechnologie gilt als zentrales Merkmal der Flugzeuge der 6. Generation. Andererseits könnten leichtere, gleichzeitig widerstandsfähigere Werkstoffe in Rumpf, Tragfläche und Verstrebungen integriert werden. Die damit verbundene Gewichtseinsparung könnte sich positiv auf Nutzlastkapazität, Reichweite oder Geschwindigkeit auswirken. Auch Eingriffe in die „Geometrie” – etwa durch veränderte Oberflächenwinkel oder eine Neuausrichtung der Tragflächen – könnten die Radar- und Wärmesignatur weiter reduzieren und zugleich die aerodynamischen Eigenschaften verbessern. Die Priorisierung auf eine mögliche geringe Radarsignatur könnte sogar zum Verzicht auf das klassische Heckleitwerk führen. Konzeptdarstellungen von Lockheed Martin zu Jägern der 6. Generation weisen häufig eine solche Konfiguration auf. Die Kehrseite dieser Konfiguration wäre eine reduzierte Manövrierfähigkeit – sofern diese nicht anderweitig kompensiert wird.
Sensoren, Abstandswaffen und elektronische Kampfführung
Der Stellenwert klassischer Luftkampfmanöver wird künftig geringer bewertet. Die Steigerung der Letalität sowie der Überlebensfähigkeit der F-35+ basiert vielmehr auf der Fähigkeit, gegnerische Flugzeuge in großer Entfernung zu erfassen und zu bekämpfen, ohne dabei selbst geortet zu werden. Der Schlüssel dazu liegt in der Kombination aus weiterentwickelten Stealth-Eigenschaften und der Integration neuer Sensoren und Bordwaffen. Neben modernster Radartechnologie kommt eine neue Generation weitreichender Infrarot-Passivsensoren zum Einsatz, die Ziele in wesentlich größerer Entfernung und mit höherer Auflösung erfassen sollen als die heutigen Systeme der F-35. Diese Sensoren sollen sogar gegnerische Tarnkappenflugzeuge auf großer Distanz erkennen. Analog zu heutigen Laserzielsuchern werden Ziele im Infrarotbereich „markiert.” Die F-35+ kann diese Ziele mit eigenen Abstandswaffen bekämpfen oder als Zieleinweiser für Raketen anderer Flugzeuge fungieren. In diesem Zusammenhang wird allgemein davon ausgegangen, dass sowohl die F-47 als auch die F-35+ über neue stör- und abhörsichere Kommunikationssysteme sowie über einen erweiterten Datenverbund verfügen werden.
Die F-35+ wird zudem eine größere Auswahl an Luft-Luft- und Luft-Boden-Waffen führen. Durch eine Neuausrichtung der Nutzlastkammer sollen auch mehr Waffen intern mitgeführt werden. Um die Reichweite der neuen Sensoren voll auszuschöpfen, ist der Einsatz neuer Abstandswaffen erforderlich. Zu diesem Zweck entwickelt Lockheed Martin unter anderem die AIM-260 Joint Advanced Tactical Missile mit einer Reichweite von rund 200 Kilometern. Die AIM-260 befindet sich derzeit in der Erprobung. Auch der elektronischen Kampfführung – sowohl offensiv als auch defensiv – wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Hier sind leistungsgesteigerte Systeme vorgesehen.
Im Rahmen der Block-4-Nachrüstung der F-35 werden zudem leistungsfähigere Avionik- und Führungssysteme eingeführt. Diese fließen auch in das F-35+-Konzept ein oder werden durch noch leistungsfähigere Komponenten aus dem NGAD-Programm ergänzt. Dazu gehört mutmaßlich auch der Einsatz fortschrittlicher KI-Systeme zur Automatisierung zahlreicher Abläufe sowie die Fähigkeit zur Führung unbemannter Begleitjäger.
Auswirkungen auf FCAS und GCAP
Fraglich ist, ob Lockheed Martin die F-35+ tatsächlich als Ergänzung zur F-47 betrachtet oder ob das Unternehmen eine Alternative zum Jäger der 6. Generation schaffen will – für den Fall, dass sich die Entwicklung der F-47 verzögert oder die Kosten erheblich steigen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass auch in Europa zwei Jagdflugzeuge der 6. Generation entwickelt werden: Der GCAP-Jäger (Global Combat Air Programme, Großbritannien/Italien/Japan) soll etwa 2035 in Dienst gestellt werden, während FCAS (Future Combat Air System, Deutschland/Frankreich/Spanien) frühestens 2040 einsatzbereit sein dürfte.
Wie könnte sich die Einführung der F-35+ auf die europäischen Beschaffungsprogramme auswirken? Dies hängt maßgeblich davon ab, ob eine sogenannte „Generation 5.5” überhaupt eine Exportgenehmigung erhält. Zwar strebt Lockheed Martin eine Exportfreigabe für verbündete Staaten an, doch diese Entscheidung wird in Washington getroffen. Bislang verweigert die U.S. Air Force Auskünfte über Größe oder Reichweite der F-47 aus Sorge, dass daraus Rückschlüsse auf eingesetzte Technologien gezogen werden könnten. Auch die veröffentlichten Konzeptbilder geben nur wenig preis. Sollte die F-35+ tatsächlich wesentliche Technologien aus dem NGAD-Programm übernehmen, könnte dies eine Exportfreigabe zusätzlich erschweren.
Vorausgesetzt, eine Ausfuhrgenehmigung würde erteilt – wäre der Erwerb überhaupt erschwinglich? Die genauen Kosten der F-47 sind noch unbekannt, doch wurde zuletzt ein Preis von bis zu 300 Millionen US-Dollar pro Flugzeug genannt. Demnach könnte die F-35+ bei etwa 150 Millionen US-Dollar liegen. Zum Vergleich: Die durch Deutschland beschaffte F-35A kostete 2024 durchschnittlich 82,5 Millionen US-Dollar pro Stück.
Vom Preis abgesehen stellt sich die Frage nach der operativen Sinnhaftigkeit des Erwerbs. Tatsächlich besteht bis zur Indienststellung von GCAP und FCAS eine Fähigkeitslücke, die angesichts der aktuellen Bedrohungslage kritisch erscheint. Auf dem Kontinent soll der technologische Übergang bis zur Einführung des FCAS durch den Eurofighter LTE (Long Term Evolution) überbrückt werden. Im Rahmen dieser Weiterentwicklung wird auch die Integration unbemannter Begleitflugzeuge mitgedacht. Diese Fähigkeiten befinden sich jedoch noch in der Entwicklung. Mit einer Markteinführung ist realistisch erst in der ersten Hälfte der 2030er-Jahre zu rechnen. Sollte die F-35+ wie geplant bereits Anfang der 2030er verfügbar sein, hätte das US-System sowohl zeitlich als auch technologisch einen Vorsprung gegenüber den europäischen Vorhaben.
Könnte eine F-35+, die hält, was Lockheed Martin derzeit verspricht, langfristig den Fortbestand der GCAP- und FCAS-Projekte gefährden? Rein operativ hinge dies davon ab, ob ein Flugzeug, das 80 Prozent der angestrebten Fähigkeiten erbringt, ausreicht. Hier dürfte die Antwort „nein“ lauten. Erst am 28. April gab die Royal Air Force (RAF) bekannt, dass der im Rahmen von GCAP entwickelte Tempest-Jäger den Atlantik ohne Tankstopp überqueren kann und die doppelte Nutzlastkapazität der F-35A haben soll. Diese Leistungen wird auch eine aufgerüstete F-35+ nicht erreichen, sie werden aber von der RAF als zwingend erforderlich angesehen. Zudem wäre ein Abbruch der europäischen Entwicklungsprogramme weder wirtschaftlich noch politisch vermittelbar. Die eigenständige Entwicklung von Fightern der 6. Generation wird der europäischen Flugzeugindustrie neue Impulse verleihen – auch über den militärischen Bereich hinaus.
Umsetzung der F-35+
Als Übergangslösung bis zur Einführung von GCAP oder FCAS könnte die F-35+ hingegen eine sinnvolle Option darstellen. Die F-35 gilt bereits als kampfstärkstes Jagdflugzeug der Welt. Die Ausstattung mit einem wesentlichen Anteil der für die F-47 vorgesehenen Technologien würde diesen Vorsprung weiter ausbauen, bis vollwertige Systeme der 6. Generation in Serienproduktion gehen. Für das Konzept spricht auch die Tatsache, dass Produktionsanlagen, Wartungsinfrastruktur und Ersatzteilversorgung bereits etabliert sind. Und zwar nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Die Ausbildung von Piloten und Bodenpersonal könnte auf bestehenden Verfahren aufbauen, was eine vergleichsweise unkomplizierte Einführung ermöglichen würde.
Letztlich bleibt – wie so oft – die Frage, ob der vorgesehene Zeitplan eingehalten werden kann. Die Entwicklung eines Großteils der Komponenten für die Block-4-Konfiguration der F-35 sowie der „Generation-6-Technologien” für die F-47 ist noch nicht abgeschlossen. Einige Block-4-Elemente liegen bereits mehrere Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan, bedingt durch technische Komplikationen. Auch Verzögerungen bei einzelnen Schlüsseltechnologien aus dem NGAD-Programm sind nicht auszuschließen. Andererseits verspricht Lockheed Martin einen modularen Ansatz für das F-35+-Konzept. Demnach wäre zu erwarten, dass auch hier ein Block-Ansatz gewählt wird: Eine „F-35+ Block 1” mit spürbaren Leistungssteigerungen könnte bereits Anfang der 2030er-Jahre eingeführt werden; weiterentwickelte Technologien würden in einer nachfolgenden „Block 2“-Variante ergänzt.
Sidney E. Dean