Print Friendly, PDF & Email

In der Südkaukasusregion Berg-Karabach ist es am 5. März zu einem Schusswechsel zwischen aserbaidschanischen Soldaten und armenischen Polizisten gekommen. Dabei sollen drei Polizisten der international nicht anerkannten Republik Arzach getötet worden sein, wie das Innenministerium in Jerewan mitgeteilt hat. In Baku hieß es, zwei aserbaidschanische Soldaten seien gefallen. Während die armenische Seite dem Feindstaat im Osten die Schuld an dem Zwischenfall zuweist, behauptet die aserbaidschanische Seite das genaue Gegenteil.

Im Windschatten der Weltpolitik kommt es fast ständig zu Scharmützeln zwischen Armenien und Aserbaidschan, die bisher international so gut wie keine Beachtung gefunden haben. Das hat sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine grundlegend verändert, schließlich versteht sich Russland seit der Zarenzeit traditionell als Schutzmacht der christlichen Armenier und betrachtet den gesamten Südkaukasus als seinen „Hinterhof“. Nachdem spätestens am 24. Februar des vergangenen Jahres die imperialen Ambitionen Wladimir Putins für alle Welt offenkundig geworden sind, sorgt man sich in den westlichen Hauptstädten nicht nur um Georgien, sondern auch zunehmend um Armenien.

blank
Armenian infantry. Photo: Ministry of Defense of the Republic of Armenia

3.300 russische Soldaten sind dauerhaft in Armenien stationiert. Unterdessen wird das muslimische Aserbaidschan für Putins Russland immer wichtiger: Es hat mehr als dreimal so viele Einwohner als das christliche Nachbarland. Vor allen Dingen ist die Wirtschaftskraft Aserbaidschans wesentlich größer als die Armeniens.  Dessen Bruttoinlandsprodukt übersteigt das armenische um fast das Vierfache. Dies hat es insbesondere seinen Erdöl- und Erdgasvorkommen zu verdanken: Bei den Ölförderstaaten steht Aserbaidschan weltweit immerhin auf Platz 24 und bei den Ölvorkommen auf Platz 20. Bei den Gasförderstaaten steht es auf Platz 23 und bei den Gasvorkommen auf Platz 19. Das ist der Grund, warum Russland im Nagorny-Karabach-Konflikt nicht mehr – wie in der Vergangenheit – uneingeschränkt auf der Seite Armeniens steht.

Gezeigt hat sich das im Krieg von 2020: Nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten im Juli endete dieser Waffengang im November mit der aserbaidschanischen Rückeroberung weiter Teile des zuvor armenisch besetzten Gebietes. Nach einer von der Staatsführung in Moskau vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung sind knapp 2.000 russische Friedenstruppen im Latschin-Korridor stationiert, durch den eine Straße von Armenien in die Exklave und dessen Hauptstadt Stepanakert führt.

Armenien hat diesen Krieg verloren, weil Russland – anders als in der Vergangenheit – seinem christlichen „Brudervolk“ nicht beigestanden hat. Entsprechend belastet sind seither die Beziehungen zwischen Jerewan und Moskau. Jüngstes Beispiel: Im Januar dieses Jahres hat Armenien es abgelehnt, dass – wie von Russland vorgeschlagen – auf seinem Staatsgebiet Manöver der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) abgehalten werden. Diesem 2002 gegründeten Militärbündnis gehören neben Armenien und Russland auch Belarus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan an.

blank
Azerbaijani main battle tanks of the Soviet type T-72.
Photo: Ministry of Defense of the Republic of Azerbaijan

background

In der Folge der Oktoberrevolution von 1917 entstanden ein Jahr später die „Demokratischen Republiken“ von Georgien, Armenien und Aserbaidschan als souveräne Völkerrechtssubjekte. Zwischen April 1920 und Februar 1921 beendete die Rote Armee Leo Trotzkis die Eigenstaatlichkeit im Südkaukasus. Die drei Sozialistischen Sowjetrepubliken wurden im März 1922 zur Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik zusammengefasst und gingen im Dezember desselben Jahres in der UdSSR auf. Seit 1923 bis kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion besaß Berg-Karabach einen Autonomiestatus innerhalb der Sowjetrepublik Aserbaidschan.

Nach blutigen Unruhen in den Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan unterstellte die Regierung der UdSSR 1989 Nagorny-Karabach der Direktverwaltung Moskaus. Daraufhin wüteten im Januar 1991 anti-armenische Pogrome in Aserbaidschan, die als Anlass für den vorübergehenden Einmarsch sowjetischer Truppen in Baku dienten. Im September desselben Jahres proklamierte Armenien seine Unabhängigkeit; einen Monat später folgte die Unabhängigkeitserklärung Aserbaidschans.

Ab Februar 1992, das heißt kurz nach der Implosion der UdSSR, brach ein offener Krieg aus, in dem armenische Truppen in die Offensive gingen und drei Monate später den Landkorridor eroberten, der die Exklave mit Armenien verband. Erst im Mai 1994 gelang ein durch Russland vermittelter Waffenstillstand.

Gerd Portugall