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Ende vergangener Woche war es in Berlin wieder soweit: Die jährliche Bundeswehrtagung mit rund 400 hochgestellten Teilnehmern aus Verteidigungsministerium, Streitkräften und externen Einrichtungen fand statt – diesmal ganz im Zeichen des russischen Großangriffs auf die Ukraine. Deshalb lautete der Titel der diesjährigen zweitägigen Veranstaltung: „Die Bundeswehr in der Zeitenwende – eine kritische Bestandsaufnahme in Zeiten des Krieges in Europa.“

Bundeskanzler Olaf Scholz begann seine Ansprache mit dem Satz: „Klartext wollen Sie heute von mir hören.“ Deshalb machte er unmissverständlich deutlich: „Wir werden jeden Quadratmeter des Bündnisgebietes verteidigen.“ Dies bedeutet im Umkehrschluss natürlich, dass Staaten, die nicht Mitglied der NATO sind – neben der Ukraine also beispielsweise auch Moldawien oder Georgien – nicht auf direkten militärischen Beistand Deutschlands hoffen können.

Angesichts der „dramatischen Verschiebung der Sicherheitsarchitektur in Europa“, so der Regierungschef, sei die Landes- und Bündnisverteidigung fortan der absolute Kernauftrag der Bundeswehr. Unter Bezugnahme auf seine Zeitenwende-Rede im Bundestag drei Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges betonte er, dass diese Zeitenwende mehr sei als Geld und Material für die Streitkräfte, sondern vor allem einen Wandel im Denken von Politik, Bundeswehr und Gesellschaft bewirkt habe. An die Adresse des Führungspersonals der Bundeswehr gerichtet forderte der Kanzler, dass das Primat der Landes- und Bündnisverteidigung „auch Ihr Denken und Handeln als militärische Vorgesetzte“ bestimmen solle.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte in diesem Zusammenhang: „Zeitenwende ist jedoch – parallel zu allem anderen – eine Frage der inneren Einstellung. Sie muss dort stattfinden, wo wir uns mit Veränderungen häufig sehr schwertun: in den Köpfen.“ Auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, betonte in seiner Ansprache: „Wir müssen das ‚Mindset‘ Landes- und Bündnisverteidigung auf allen Ebenen durchgängig leben.“

Deutsche Führungsrolle

Als bevölkerungsreichste Nation mit der größten Wirtschaftskraft und als großflächiges Land in der Mitte des Kontinentes, so Kanzler Scholz, sei „Deutschland bereit, an führender Stelle Verantwortung zu übernehmen für die Sicherheit unseres Kontinentes.“ Deshalb müsse die Bundeswehr zum „Grundpfeiler konventioneller Verteidigung in Europa“ werden, zur „am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa“, forderte der SPD-Politiker.

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Seine Parteifreundin Lambrecht bezeichnete die Beschaffung von Ausrüstung als den entscheidenden Faktor für die Einsatzbereitschaft der Truppe. „Genau hier haben wir angesetzt und bereits wichtige Weichen gestellt.“ Konkret sei mit dem Bundeswehr-Beschaffungs-Beschleunigungsgesetz ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht worden. Doch was Deutschland zunächst brauche, so die zuständige Ministerin, sei eine Bundeswehr, die in der Lage sei, Einheiten und Verbände kurzfristig verlegen zu können.

Vor dem Hintergrund des Sondervermögens für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro erklärte General Zorn: „Es ist nun an uns, für die Truppe geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, Prozesse und Strukturen zu überprüfen und anzupassen und radikal Bürokratiehemmnisse und eigene, selbstgemachte Regeln abzubauen.“ Die größte gemeinsame Aufgabe der Bundeswehr sei, die personelle wie materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu verbessern. Die gesamte Bundeswehr, so der Generalinspekteur, müsse „kaltstartfähig“ werden: Kaltstartfähigkeit bedeute voll ausgebildetes, einsatzbereites Personal inklusive einer starken Reserve. Kaltstartfähigkeit bedeute zudem materielle Vollausstattung, inklusive Munition, Ersatzteilen und Verbrauchsgütern im großen Umfang.

Umfangreiche Waffenlieferungen

Wegen des Ukraine-Krieges, so der Bundeskanzler, habe die deutsche Politik mit ihrer bisherigen Staatspraxis bei Waffenlieferungen gebrochen. Er sei dankbar, dass die Bundeswehr dafür auch auf ihre knappen Bestände zurückgegriffen habe, wo immer das vertretbar gewesen sei.

Bei der Bundeswehrtagung verkündete Ministerin Lambrecht die Lieferung von zwei weiteren Mehrfachraketenwerfern vom Typ MARS II (inklusive 200 Raketen und Ausbildung durch die Bundeswehr) sowie von 50 Allschutz-Transportfahrzeugen vom Typ „Dingo“ (wir berichteten). Die SPD-Politikerin versicherte, dass diese Lieferungen die Bundeswehr nicht schwächen. Weiter zeigte sie sich zuversichtlich, dass im Zuge des Ringtausches mit Griechenland 40 Schützenpanzer BMP-1 sowjetischer Bauart an die Ukraine und dafür 40 Schützenpanzer „Marder“ aus deutschen Industriebeständen an den NATO-Verbündeten in der Ägäis gehen würden. Am Ende der Tagung konstatierte die Ministerin sichtlich zufrieden: „Es ist uns gelungen, den Begriff ‚Zeitenwende‘ durchzudeklinieren.“

Gerd Portugall