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Bei der Rüstungskooperation mit Frankreich zur Beschaffung von zwölf konventionell angetriebenen U-Booten gab es in Canberra schon seit geraumer Zeit Irritationen. Nun hat Australien entschieden, die Kooperation mit dem französischen Unternehmen Naval Group im Rahmen des „Future Submarine Program“ einzustellen. Stattdessen einigte sich die australische Regierung auf eine Zusammenarbeit mit London und Washington zum Bau von atomgetriebenen U-Booten.

Am Ende einer zwölfminütigen virtuellen Pressekonferenz mit dem US-Präsidenten Joe Biden, dem britischen Premierminister Boris Johnson und Australiens Premierminister Scott Morrison am 15. September hatte sich die australische Verteidigungslandschaft von Grund auf verändert. Denn Australien schließt sich einer neuen indopazifischen Sicherheitspartnerschaft mit den USA und Großbritannien unter dem Kurznamen AUKUS an. Diese soll nächste Woche in Washington unterzeichnet werden.

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USS Santa Fe schließt sich im westaustralischen Übungsgebiet den Collins-Klasse-U-Booten der Royal Australian Navy HMAS Collins, HMAS Farncomb, HMAS Dechaineux und HMAS Sheean in Formation an. Die U-Boote der Collins-Klasse der Royal Australian Navy haben eine Länge von 77,8 m und eine Verdrängung von 3051 ts über Wasser / 3353 ts unter Wasser. Foto mit freundlicher Genehmigung von US Navy

Biden sagte in der Pressekonferenz, bei der Partnerschaft gehe es darum, amerikanische Allianzen (‚alliance networks‘) zu aktualisieren. Damit solle sichergestellt werden, dass „den Bedrohungen von heute und morgen besser begegnet“ werde. Er fügte hinzu: „Die Zukunft jeder unserer Nationen und sogar der Welt hängt von einem freien und offenen Indopazifik ab, der in den kommenden Jahrzehnten bestehen und gedeihen wird“.

Win-Win-Win für alle

AUKUS fällt in eine Zeit Säbelrasselns durch Beijing und der Ausdehnung des chinesischen Einflusses im asiatisch-pazifischen Raum. Dennoch richte sich die Partnerschaft, so die Washingtoner Lesart, nicht gegen China oder ein anderes Land. Die Länder beabsichtigen im Rahmen des Abkommens ihre verteidigungs- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit in den Bereichen Cybersicherheit, Quantentechnologie und künstlicher Intelligenz zu verstärken.

Australien im Club der Nationen mit nuklearangetriebenen U-Booten

Die erste Initiative dieser „neuen erweiterten trilateralen Sicherheitspartnerschaft“, werde die Lieferung einer nuklearbetriebenen U-Boot-Flotte für Australien sein, gab Premier Morrison bekannt. Weiter kündigte er an, dass innerhalb der nächsten 18 Monate die grundsätzlichen Rahmenbedingungen für die neuen U-Boote zwischen den drei Nationen geklärt werden. Die Boote werden konventionell bewaffnet. Australien strebe keine Atomwaffen an, so Morrison. Seinen Worten zufolge sollen die U-Boote in Adelaide gebaut werden und ab 2040 verfügbar sein.

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Die US-amerikanischen Uboote der Los-Angeles-Klasse haben eine Länge von 110 m bei einer Verdrängung von 6300 tn.l. aufgetaucht / 6900 bis 7100 tn.l. getaucht. Foto: US Navy

Der Deal ist für alle Seiten ein bedeutender Schritt. Australien wird damit die siebte Nation, die über nuklearangetriebene U-Boote verfügt. Mehr noch: Für Canberra bedeutet das Abkommen eine Vertiefung der Bindung an die USA, mit denen sie bereits über ANZUS und den quatrilateralen Sicherheitsdialog QUAD (zwischen Australien, Indien, Japan und USA) alliiert ist. Der Pazifikpakt ANZUS feierte am 1. September seinen 70. Geburtstag.

AUKUS zeigt nach Meinung von Beobachtern in Washington die Bereitschaft der Biden-Administration, ihre Zurückhaltung bei der Beteiligung anderer Partner an fortschrittlicher Militärtechnologie abzulegen. Das Know-how um nukleare Antriebstechnologie teilen die USA bisher nur mit Großbritannien seit einem Abkommen im Jahr 1958.

Großbritannien kann mit AUKUS seine neue strategische Perspektive ‚Global Britain‘ untermauern. Für die britische Verteidigungsindustrie und ihre Beziehungen zu Australien und den USA dürfte der Pakt ebenfalls ein wichtiger Schritt sein.

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HMS Ambush, ein englisches Uboot der Astute-Klasse. Das Boot hat eine Länge von 97 m bei einer Verdrängung von 7400 tn.l. (getaucht). Foto: Royal Navy

Bedauern in Paris

In einer gemeinsamen Pressemitteilung von Jean-Yves Le Drian, Frankreichs Minister für Europa und Auswärtige Angelegenheiten, und der französischen Verteidigungsministerin Florence Parly äußerten beide ihr Bedauern über den Abbruch des gemeinsamen Rüstungsprogrammes. In der Pressemitteilung heißt es: „Diese Entscheidung steht im Widerspruch zu Geist und Buchstaben der bisherigen Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Australien, die auf einem politischen Vertrauensverhältnis und der Entwicklung einer hochrangigen industriellen und technologischen Verteidigungsbasis in Australien beruhte.“

Am 11. Februar 2019 hatten Australien und Frankreich in Canberra eine strategische Partnerschaft unterzeichnet, in dessen Mittelpunkt der Vertrag zum Bau von 12 U-Booten der ‚Attack‘-Klasse stand. Mit dem damaligen Vertragsschluss ging ein langes und zähes Ringen um den Ersatz der sechs Collins-Klasse U-Boote der Royal Australian Navy zu Ende. Naval Group konnte sich bei dem ca. 49,5 Milliarden Euro schweren Geschäft (80 Milliarden AU$) gegen japanische, schwedische, spanische und deutsche Konkurrenz durchsetzen. Australien hatte sich zum damaligen Zeitpunkt einen Know-How-Transfer sowie Arbeitsplatzerhaltung in einer stark gebeutelten Werftenlandschaft versprochen. Fast 200 australische Zulieferer wurden für das Programm mit der in Adelaide ansässigen Naval Group Australia vorqualifiziert.

Allerdings knirschte es in dem Programm schon länger. In Canberra wurden die Kosten-Nutzen-Kalkulation der U-Boote sowie deren mögliche Alternativen – einschließlich der Prüfung des Kaufs der  Barracuda-Klasse mit Nuklear-Antrieb von  Naval Group und der Bewaffnung und Elektronik aus den USA – mehrfach in Frage gestellt (ESuT berichtete). Nach australischen Medien kam bereits Mitte Januar 2021 der damals veröffentlichte Bericht des Australian National Audit Office (ANAO) über den Stand der Beschaffung der zwölf U-Boote, zu dem Schluss, dass mit erheblichen Abstrichen bei Kosten, Leistungsfähigkeit und Lieferzeit gerechnet werden müsse (ESuT berichtete).

Demnach hatte das Programm, damals noch in der Entwurfsphase (design phase), eine Verzögerung von neun Monaten gegenüber den Vorentwurfsschätzungen. Zwei wichtige vertraglich vereinbarte Meilensteine, die Überprüfung der Konzeptstudien und der Systemanforderungen, wurden verlängert. Infolgedessen konnte das australische Verteidigungsministerium den Mittelabfluss in Höhe von 396 Mio. US-Dollar für das Design nicht fristgerecht sicherstellen. Die Gesamtbewertung des Risikos durch das Verteidigungsministerium sei „hoch“, hieß es damals. Es wurden laut dem Bericht der ANAO Vorkehrungen zur Risikominderung getroffen. Nach der geänderten Planung wurde das erste U-Boot, HMAS ‚Attack‘, 2034 erwartet, drei Jahre später als früher beabsichtigt. Die Collins-Klasse sollte ab 2036 ausgemustert werden.

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Künstlerische Darstellung des Entwurfs von Naval Group für die australischen U-Boote, Foto: Naval Group

Betroffen: Naval Group und auch Atlas Elektronik

Die französische Naval Group trat als Vertragspartner des australischen Verteidigungsministeriums in Vorleistungen. Im Oktober 2019 gab das Pariser Unternehmen den Start der Naval Group Pacific, verantwortlich für die kommerzielle Entwicklung und F & E-Aktivitäten in Australien und Neuseeland, mit Sitz in Sydney bekannt. Naval Group Pacific vermeldete im Dezember 2019 mit der Unterzeichnung von neun verschiedene Memoranda of Understanding (MoUs) mit australischen Unternehmen erste Erfolge. Dabei geht es unter anderem um CANTO, ein System von Gegenmaßnahmen gegen Torpedos für die U-Boote und die Überwasserschiffe der Royal Australian Navy.

In der Reaktion auf den Abbruch der Kooperation teilte Naval Group mit, dass die australische Entscheidung „eine große Enttäuschung“ sei. Man habe Australien ein überlegenes konventionelles U-Boot mit außergewöhnlichen Leistungen angeboten. Dabei habe das Unternehmen konkurrenzlose Zusagen in Bezug auf Technologietransfer, Arbeitsplätze und lokale Beteiligung gemacht. „Fünf Jahre lang haben die Teams der Naval Group, sowohl in Frankreich als auch in Australien, sowie unsere Partner ihr Bestes gegeben und die Naval Group hat alle ihre Verpflichtungen erfüllt“, betont das Unternehmen.

Die zu thyssenkrupp Marine Systems gehörende Atlas Elektronik, Entwickler und Hersteller von Sonarsystemen für U-Boote, Minenjagd-Boote und Kampfschiffe sowie von Torpedos und autonomen Systemen, wurde von Lockheed Martin Australia (LMA) mit dem Entwurf der Bug-Sonar-Basis für die zukünftigen U-Boote der Attack-Klasse beauftragt, wie australische Medien im Frühjahr 2021 berichteten. Atlas Elektronik wollte mit seiner in Sydney ansässigen australischen Tochtergesellschaft Sonartech Atlas als Subunternehmer für die Entwurfsphase zusammenarbeiten.

Europäische Dimensionen

Der amerikanisch-amerikanisch-britische Deal sattelt auf dem Nexus aus Wachstumsambitionen und Bedrohung im Indopazifik auf. Im Kern postulieren Washington, London und Brüssel sowie Paris dasselbe: Sie versprechen Beistand bei der Wahrung von Sicherheitsinteressen wie Erhaltung freier Seezugänge sowie Technologietransfer und Rüstungsverkäufe zur Streitkräftemodernisierung, Hilfen bei Naturkatastrophen wie auch zur Cyber- und Terrorabwehr. Zudem geben alle an, in der Region Treuhänder westlicher und europäischer Sicherheitsinteressen zu sein. Dieser Einsatz, so das Kalkül, soll als Hebel für vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen wirken. So hat das schon Björn Müller für ESuT bereits 2019 analysiert.

Industriepolitisch bedeutet die Aufkündigung des australisch-französischen U-Bootbauprogramms einen Rückschlag für die EU. Auch (sicherheits-)politisch verpasst AUKUS den europäischen Bemühungen im Indo-Pazifik einen gehörigen Dämpfer. Fällt doch die amerikanisch-australisch-britische Initiative fast auf den gleichen Zeitpunkt, zu dem auch die EU ihre Indo-Pazifik-Strategie veröffentlicht. Sie wird ihre Tragweite beweisen müssen. Frankreich, das Überseegebiete im Indischen Ozean und im Pazifik unterhält, ist zwangsweise in einer vorteilhafteren Situation und bringt mit seiner Indo-Pazifik-Strategie konkretere Elemente zur Gestaltung.

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Überblick über die französische Militärpräsenz im Pazifik, Grafik: Ministère des Armées

Großbritannien ist vordergründig ein Gewinner. Es wird abzuwarten sein, wieweit sich die britischen Konstrukteure im U-Bootbauprogramm einbringen können. Ausgehend von den zu erwartenden Dimensionen der Nachfolge der australischen Collins-U-Boote könnten hier für sie ein Vorteil liegen. Sicherheitspolitisch waren Anzeichen eines stärkeren Londoner Engagements im Indo-Pazifik schon länger bekannt. Der Flottenstützpunkt Mina Salman in Bahrain wurde für Trägeroperationen im Indischen Ozean ausgebaut. In Südostasien soll zu Singapur und Brunei eine dritte Basis hinzukommen. Treiber der britischen Bemühungen ist die Hoffnung, langfristig die Brexit-Handelsverluste in Europa in Asien auszugleichen. Dabei planen die Briten, vor allem auf ihre postkolonialen Bündnisse zu setzen, wie das Commonwealth und das Fünfmächte-Verteidigungsabkommen, eine lockere Sicherheitskooperation mit Australien, Neuseeland, Malaysia und Singapur. Großbritannien wirbt für sich im Indopazifik mit dem Bild eines Premium-Dienstleisters der internationalen Politik mit einem leistungsstarken militärischen und diplomatischen Werkzeugkasten.

Brüssel – Washington

Der US-Präsident wird in den kommenden Tagen Gastgeber des ersten persönlichen Treffens mit den Staats- bzw. Regierungschefs der Quad-Gruppe sein. Er sieht die neue Partnerschaft als Teil „einer größeren Konstellation“ in der Region und stellt vertiefte bilaterale Beziehungen zu den langjährigen Verbündeten Japan, Südkorea, Thailand und den Philippinen sowie stärkere Engagements mit neuen Partnern wie Indien und Vietnam in Aussicht.

Ohne auf Details einzugehen, soll der amerikanische Präsident während eines Telefonats mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping in der vergangenen Woche den beabsichtigten Pakt angesprochen haben. Nach Verlautbarungen aus Washington stand im Mittelpunkt dieser Konsultation Pekings (mangelndes) Engagement in bilateralen und globalen Fragen wie dem Klimawandel und der Covid-19-Pandemie.

Die USA verfolgen ihren Kurs eines stärkeren Fokus des Westpazifik unbeirrt weiter. Für Brüssel sollte der Vorgang ein weiteres Wecksignal sein, dass die sicherheitspolitischen Implikationen Europas in Washington eine untergeordnete Rolle spielen. Entsprechend laufen die Erwartungen der USA darauf hinaus, dass sich Europa der Herausforderungen im seinem Umfeld selbst zu stellen hat. Inwieweit Brüssel in die sich abzeichnende Dreierkonstellation mit Australien und Großbritannien eingebunden war, ist hier nicht bekannt.

Hans Uwe Mergener